Zwanglose Blätter, Nr. 76, vom 6. Dezember 1848

Zwanglose Blatter aus Oberösterreich. Nro. Steyr am 6. Dezember 1848. 76. Le roi est mort, vive le roi. La France. Ein junger Kaiser — ein junges Oesterreich! Die in Olmütz erscheinende Zeitschrift „die neue Zeit“ bringt in ihrem Blatte vom 3. d. M. die Nachricht, daß am verflossenen Sonnabend, den 2. d. M., zum größten Erstaunen der auf dem eben statthabenden Wochenmarkte versammelten Landbewohner ein kaiserlicher Kommissär unter Trompetenschall verkündet habe: „Seine Majestät der Kaiser Ferdinand I. habe soeben die Regierung aller kaiserl. österreichischen Kronländer niedergelegt, auch Erzherzog Franz Karl habe auf sein Erbfolgerecht zu Gunsten seines ältesten Sohnes Franz Joseph verzichtet, und die¬ ser habe somit die Zügel des Reiches als konstitutioneller Kaiser ergriffen.“ Wenn wir es auch längst erwartet haben, so bleibt dieses immer ein höchst überraschendes Ereigniß. Wir wußten wohl, daß die Erstürmung Wiens es unvermeidlich gemacht habe; daß man es aber eben jetzt mußte eintreten lassen, beweist nur die Unzulänglichkeit der grausamen, weit außerhalb der Grenzen jeder konstitutionellen Berech¬ tigung liegenden Maßregeln, es beweist nur, daß nicht jene, die blos mit dem Herzen auf dem Kampfplatze waren, sondern auch die geistigen Lenker der siegenden Heersäulen die gefallenen Opfer beklagen; es nothwendig fanden, daß nicht nur der Kalabreser, sondern auch eine Krone als Sühnopfer falle und als Bürgschaft einer friedlichen segens¬ vollen Zukunft, und daß man in den Straßen Wiens wohl Leiber, nicht aber den Geist der neuen Zeit überwand, deren Herold und Armee die deutsche Jugend ist, die hier nicht das Erstemal einem Gewaltigen im Besitze aller seiner Macht und Herrlichkeit zurief: „Du mußt fort, deine Zeit ist abgelaufen.“ Ueber die Beweggründe des Rücktrittes des Kaisers Ferdinand ist noch nichts Offizielles verlautet, wir dürfen von daher auch nichts Anderes als eine allgemeine Wen¬ dung erwarten. Einen desto bunteren Spielraum hat die Vermuthung. Wenn man die Verurtheilungen des Wiener Blutgerichtes betrachtet, wo der Beschuldigte immer nach drei verschiedenen Gesetzen (den Kriegsartikeln, der There¬ siana, dem Civilstrafgesetzbuche) und obendrein noch nach drei verschiedenen Proklamationen verurtheilt wurde, wenn man ferner betrachtet, daß die eine Parthei über die an¬ dere zu Gerichte sitzt, die verbürgte Mißachtung aller kon¬ stitutionellen Prinzipien durch Gewaltthaten, die schamloseste Wühlerei einer feigen Reaktionsparthei, die eine eigene Fabrik von Denunziation und Mißtrauensvoten an volks¬ thümliche Vertreter angelegt zu haben scheint, die Bestür¬ zung der deutschen Provinzen über die Befestigung Wiens und ähnliche Schritte, so darf man doch füglich nicht ver¬ muthen, daß die daraus entsprungene, keineswegs loyale Volksstimmung, dem Ministerium verborgen bleiben konnte. Das neu organisirte Spitzelwesen mußte die Symptome seiner eigenen Verwesung, sowie der Agonie des Systems, das es noch einmal vor seinem gänzlichen Hinscheiden wach¬ rief, allzuhäufig berichten, und die kundigen Steuermän¬ ner, die am Staatsruder stehen, erkannten die glatte Stille der See für das was es war: den Vorboten eines schreck¬ lichen Sturmes. Es war grauenhaft stille in den letzten Tagen, als das Staatsschiff Austria die Flagge wechselte, und niemand Anderer als der Kanonier an's Steuerruder treten durfte. Nur am Kiel kräuselten sich die Wellen, und wo es hindurchschnitt zischten sie leise und leiser und behutsam rauschte das Spottlied Die Zeit ist um, die Zeit ist um, Die Zeit ist nicht mehr ferne 2c. 2c. vor den Stucklucken. — Mit einem Worte, das Schweigen des Volkes drang dießmal ebenso entschieden durch, wie im März seine zornig erhobene Stimme, man ließ sich aber in lobenswerther Weisheit durch die Bücklinge des Wiener Gemeinderathes, des Handelsstandes, der Bank¬ gouverneure u. dgl. nicht täuschen, man sah wie die Leute, die man immer für die Gewalt haben konnte, sprachen, aber das Volk schwieg und schwieg beharrlich. Wer je im Hochgebirge war, der kennt das unheimliche Gefühl, wenn man plötzlich in jener Höhe angelangt ist, wo keine Blume mehr blüht, kein Vogel mehr singt. Eine öde Stille, die vernichtend auf das Herz fällt, und den Menschen sich selbst als Wurm erscheinen läßt, der nur zum Menschen ward durch die Nähe und die Liebe seiner Brüder. Da fällt der Haß und das Gefühl der Schwäche löst sich auf

316 in eine liebevolle Sehnsucht nach einem Menschenangesicht. Und ebenso unheimlich wie auf einem kahlen Felshorn, das über die Wolken in's Leblose ragt, mag es sein auf dem hohen Throne, wenn man über das Volk sich so hoch er¬ hoben hat, daß es sich nicht mehr vernehmen läßt. Das brach den starren Rathschluß der Gewaltigen, und ein sanftes Gefühl — ein Bedürfniß der Liebe gab dem jungen Oesterreich einen jungen Kaiser. Er blühe! Ferdinand tritt nach einer Scene voll Trotz und Blut vom Schauplatze ab, er entkleidet sich der Krone und des Purpurs und wird ein Mensch wie wir. Sprechen wir daher nicht mehr von der Rolle, die er zuletzt spielte, und lassen wir ihm den schönen Nachruf eines guten Herzens in sein einsames Privatleben nachfolgen. Der italienischen Amnestie, der Herabsetzung der Militärdienstzeit wollen wir gedenken, und alle Partheien sollen ihm versöhnt häus¬ lichen Frieden und die zufriedene Ruhe eines schlichten Bürgers wünschen, nach der sein Herz sich wohl schon lange sehnte. Nun aber wenden wir uns dem jungen Kaiser zu, der blühenden Hoffnung unserer Tage. Wird er seine Regierung beginnen, während die alte Residenz seiner Väter für die unvermeidlichen Fortschritte und Ueberstürzungen der Zeit seufzet unter der unbarm¬ herzigen Strenge eines tief gekränkten und ebenso tief krän¬ kenden Feldherrn? Wird er schon in den ersten Tagen seiner Herrschaft im Widerspruche mit dem Begriffe einer beschränkten Mon¬ archie den wichtigsten Theil seiner Gewalt unbeschränkt einem Diener überlassen, und nicht gedenken des Evange¬ liums, das da spricht vom guten Hirten und vom Miethling? Wird er den streitenden Nationen noch länger den Der Dienst der Weg des Friedens den einenden Völkertag vorenthalten, und das Wohl von Millionen noch länger auf der Spitze des Degens ruhen lassen? Ein tiefwurzelndes Mißtrauen im Volke hat ihm den Thron erledigt, war es gegen ein Wollen, war es gegen ein Können — der Oheim und der Vater wichen von der glänzendsten Stelle, die dem Sterblichen bereitet ist, so schmerzlich auch die Augen der Mutter sich mögen losge¬ rissen haben vom Glanze der Krone und der Pracht des Purpurs. Jetzt ist die Zeit, in der der junge Sohn, der junge Kaiser, ein Saamenkorn des Vertrauens säen muß in die Herzen des Volkes. Er gebe uns den Frieden, durch einen beide Theile ehrenden Vertrag, durch eine freie Verfassung und wir fordern unsere Vertreter auf ihrerseits schnell und tüchtig Hand an das Werk zu legen, oder fühlen sie sich an Kraft und Kenntnissen zu schwach, Würdigern ihre Plätze zu räumen, bevor auch sie des Volkes Mißtrauen von ihren Sitzen drängt. Franz Joseph — zeige dich würdig des Namens der hier mitklingt. Mache uns frei vom Fluche, heile uns von den eiternden Wunden der alten Zeit. Erneuere und befestige jedem Stamme sein Recht und seine Nationalität, und während Andere herrschen über ein Volk, so werde du ein Beglücker der Völker! Keiner komme je wieder als Büttel in die Felder und Städte des Anderen, sondern als Bruder, dann wird dein Thron auf festeren Stützen stehen als je einer stand. Dann wird dein Wink alle Stämme für das Vaterland und dich bewaffnen und der Ruf „für das Vaterland und den Kaiser“ aufhören die Losung einer Parthei zu sein. Ein junger Kaiser — ein junges Oester¬ Aler. Jul. Schindler. reich! Hoch!! □- Bürgerwehr. Die Ordnung der Dinge, wofür sich die überwiegende Mehrzahl der von der Nation erwählten Vertreter ausge¬ sprochen hat, wird jetzt nicht selten bedroht. Unreife republikanische Bestrebungen gähren in vielen Städten. Mit ihnen suchen sich häßliche Leidenschaften des Hasses und der Schadenfreude zu verbinden, und das Kleinod der Freiheit ist schon vielfach durch muthwilliges Toben und Zerstören und durch blutige Straßenkämpfe besudelt worden. Man vergißt, daß selbst die volksfreundlichsten Staats¬ männer bei dem redlichsten Willen nicht im Stande sind es allen Partheien recht zu machen und die Gebrechen der Gesellschaft durch einen Machtspruch auf einmal zu besei tigen. An die Stelle des Gemeinsinnes droht allgemeine Zersplitterung treten zu wollen. Folgt ein Deputirter, der früher mit Fackelzügen gefeiert wurde, seiner reiflichen Ueberlegung und stimmt darin mit Einzelnen, die sanguinische Hoffnungen hegen, nicht überein, gleich werden Massen aufgeregt, die an jedem Straßenlärm Freude haben, und es werden dem Manne die Fenster eingeworfen, so daß Frau und Kinder ihres Lebens nicht sicher sind. Der Un¬ fug geht so weit, daß man irgend einer mißliebigen Aeuße¬ rung, irgend einer unbedeutenden Handlung wegen Pri¬ vatpersonen thätlich mißhandelt und ihre Habe zerstört. Diejenigen, welche solchen Frevel gleichgültig ansehen und geschehen lassen, wo sie ihn verhindern können, be¬ denken nicht, daß, wenn er einreißt, derselbe bei erster Gelegenheit sie selbst betreffen kann; denn die entfesselte Bosheit greift wie eine Feuersbrunst immer weiter um sich. Hier ist es die Aufgabe der Bürgerwehr, welche den Kern der redlichen und ehrenhaften Bürgerschaft in sich schließt, mit Ernst und Entschiedenheit einzuschreiten, wenn die ganze Einrichtung der Bürgerwehr nicht leeres Spiel werden soll. Ich verkenne es nicht, wie die Manneswürde dabei gehoben wird, daß sich der sonst den Künsten des Friedens nachgehende Bürger und Bauer wieder des Waffenschmuckes bemächtigt hat, der ihm entzogen war. Es ist höchst er¬ freulich, wie sich in der Bürgerwehr, wo Jeder denselben schlichten Waffenrock trägt und der Beamte neben dem

312 Handwerker, und der Unbemittelte neben dem Reichen in's Glied tritt, der schroffe Unterschied der Stände ausgleicht. Das allzu unterthänige Wesen einer= und der Hochmutl andererseits, welcher sich im Geschäftsleben zwischen höheren Beamten und Subalternen, Arbeitgebern und Arbeitsuchen¬ den zeigte, muß verschwinden, wo es leicht kommen kann, daß der Untergebene den Vorgesetzten als gewählter Offi¬ zier und Unteroffizier höflich kommandirt und dieser gern und verbindlich gehorcht. Allein die Hauptsache darf dabei nicht außer Acht ge¬ lassen werden. Man hat sich nicht um dieser Nebensachen willen, sondern darum vereinigt, die sittliche und gesell. schaftliche Ordnung in dem Augenblicke zu schirmen, wo die obrigkeitlichen Handhaben beider im Neubau begriffen sind. Als vernünftige Menschen haben wir uns verbun¬ den die neue Gesetzgebung, welche wir allgemein wün¬ schen, durch unsere Vertreter in geordnetem Geschäftsgange ausarbeiten zu lassen. Diese Vertreter dürfen unmöglich in ihrer Arbeit gestört werden, denn wir wollen in Frieden und Eintracht die neuen Verträge schließen und nicht jede bürgerliche Ordnung, das Werk unserer Väter, die auch zu leben wußten, über den Haufen werfen. Vor allen Dingen haben wir als besonnene, als christlich erzogene Menschen den Personen und dem Eigen¬ thume Schutz zu gewährleisten. Selbst der Gegner hat diesen Schutz zu beansprechen: wo bleibt sonst die so oft gelobte Toleranz? Selbst dem ehrlichen Feinde ist der Schutz zu gewähren, wenn ihm die Gelegenheit zum Einlenken und zur Versöhnung nicht abgeschnitten wer¬ den soll. Wo in dieser Hinsicht gefrevelt wird und die Trom¬ mel durch die Straßen tönt, da sei Jeder am Platze, da fehle Niemand, unter welchem kleinlichen oder egoistischen Vorwande es sei. Furcht wird sich Niemand nachsagen lassen, der Säbel und Flinte ergriff. Nebenrücksichten dürfen nicht gelten, wo Alle sich einander gelobten zusam¬ menzustehen. Und stehen Alle wirklich zusammen, so ist es ein Leichtes, Einzelne und selbst einen ganzen Haufen, der sich in der Uebereilung, in einem muthwilligen Gelüste oder gar nach einem listig angelegten Plane zum Frevel fortreißen ließ, zur Ruhe zu bringen und zur Anerkennung der allgemeinen Ordnung zu zwingen. Bedingung muß sein, daß, wenn die Trommel der Bürgerwehr durch die Straßen tönt, alle bewaffneten Männer erscheinen, alle Weiber und Knaben zu Hause bleiben müssen. Da, wo sich Haufen sammeln, um der Bürgerwehr zu widerstehen, oder im Dunkel der Nacht - denn am Tage schämt man sich und fürchtet man, erkannt zu werden — ihren Zerstörungsplan auszuführen, da mag zwei= oder dreimal zum Auseinandergehen aufgefordert werden, damit Niemand sage, er habe nichts gehört. Dann aber muß die Bürgerwehr die Strenge der Waffen an¬ wenden, und ohne Gnade den Platz säubern. Wer ge¬ fangen, verwundet oder gar getödtet wird, der hat es sich selbst zuzuschreiben. Man muß es selbst gesehen haben, wie Buben unter dem Deckmantel der Nacht aus bloßem Muthwillen Steine gegen die Bürgerwehr schleudern und Männer treffen, von denen sie am Tage ehrerbietigst die Mütze abnehmen, und sie im Gesichte, auf den Händen verwunden oder gar lebensgefährlich treffen, — um auf die größte Strenge gegen so nichtswürdige Thoren zu dringen. Erscheint die Bürgerwehr in Masse, so wird sie da¬ durch schon Respekt einflößen. Erscheint sie dagegen nach¬ läßig, spät und vereinzelt, so daß die Wenigen, denen es Ernst ist um die Ruhe der Stadt oder des Dorfes und die Muth haben, verlassen dastehen: und dann werden diese und die Behörden, denen die Sicherheit ihrer Mit¬ bürger anvertraut ist, von selbst das stehende Heer zu Hülfe rufen. Const. Bote. Auch ein Ministerpräsident. Graf Brandenburg, der höchst unpopuläre Minister¬ präsident Preußens ist geboren im Jahre 1789. Sein Vater war König Friedrich Wilhelm II., seine Mutter die Gräfin Döhnhoff. Der König, schwankend und den Ge¬ nuß ebenso in dem Wechsel der Personen als der Systeme suchend brach dieses Verhältniß ab, nachdem ihm noch eine Tochter geboren war. Es ist das die Gräfin Julie, welche zuerst zur Gemahlin des älteren Fürsten Lichnowsky bestimmt, später mit dem Prinzen von Pleß, dem nach¬ herigen Herzog von Köthen, vermählt, in derangirten Ver¬ mögensverhältnissen nebst ihrem Gemahl durch Adam Müller für die katholische Kirche in Paris gewonnen ward — ein eigenthümliches Schicksal — das auch anderen natürlichen Kindern des Königs zu Theil geworden, wie denn na¬ mentlich der Geheimerath von Ingenheim, der Sohn des Königs und des Fräulein von Voß, in den dreißiger Jahren in Rom zum Katholizismus übergegangen ist. Graf Bran¬ denburg wurde frühzeitig Soldat. Man glaubte damals noch, daß dem Soldaten eine wissenschaftliche Bildung wenig nützen könne. Dieß und die bewegten Zeiten, in welche seine Jugend fällt, mögen dazu beigetragen haben, daß seine Erziehung vernachläßigt, daß seine ohnehin nicht eminenten geistigen Kräfte nicht genügend ausgebildet wurden. Vom Lieutenant bei den Gardes du Korps zum Rittmeister avancirt, wurde er später, zugleich mit dem Herrn von Schack, dem nachherigen General und Adjutant des Kö¬ nigs, Adjutant des Generals York bei dem ersten Armee¬ korps. Hier wurde er besonders zum Rekognosciren ver¬ wendet, ein Dienst, zu dem er, wie durch Muth, Ent¬ schlossenheit, Kaltblütigkeit und Umsicht, so durch sein überaus scharfes Auge besonders befähigt schien. Die Be¬ schäftigung im Kriege ist nicht geeignet, um die Lücken einer vernachläßigten Erziehung auszufüllen. Die Waffen¬ übung, das Kommandowort, des Dienstes immer gleich¬ gestellte Uhr, sie lassen den Geist unerquickt. Durch seine

318 Lebensart und durch die Manieren des Hofmannes suchte jedoch der Graf zu ersetzen, was ihm an Kenntnissen ab¬ ging; durch Ehrlichkeit des Charakters bemühte er sich, vergessen zu machen, daß sein Blick nur zu be¬ schränkt sei. Bald nach dem Kriege zum Kommandeur der Gardes du Korps ernannt, verheirathete er sich mit einem Fräulein v. Massenbach, der Tochter eines alten Dragonergenerales aus dem Jahre 1806. Aufgezogen als eine Art Menin mit der Prinzessin Charlotte, der jetzigen Kaiserin von Rußland, ist dieselbe durch alle Verhältnisse hindurch mit dieser in inniger Verbindung verblieben, wie sie denn auch jetzt noch mit der kaiserlichen Freundin einen lebhaften Briefwechsel unterhalten soll. Der Graf Bran¬ denburg ist somit ein hoffähiger Kavalier von reinstem Wasser — und solche Herren scheinen heute den Kronen¬ trägern die besten Ministerpräsidenten. Wenn sie nur auch Recht haben! Rundschau eines politischen Thürmers. Ach Gott, wie hat sich die Welt verändert, seit ich das Letztemal (2. September d. J.) von meinem Thurme auf sie niedersah! Ich stehe wie in einem schweren Traume und frage mich: ist der große März schon vorüber, oder haben wir ihn noch vor uns? — Windischgrätz hat das Standrecht in Wien aufgehoben und versprach in Zukunft jedem Kriegsgerichte Civilbeisitzer für Civilpersonen beizu¬ geben. Der Generalgouverneur Welden, der dieses kund¬ macht, zwackt aber schon wieder davon ab, und sagt im Widerspruche mit dem Erlasse Windischgrätzs: „Civilbeisitzer werden nur beigezogen, wo das die Militärgesetze erlau¬ ben.“ Wer von Beiden hat Recht? — Eine Deputation des Wiener Gemeinderathes hat dem Fürsten Windischgrätz eine Dankadresse überreicht, in der unter Anderem gesagt wird: „Der Gemeinderath habe die Milde und Humanität dankbar verehren gelernt, welche Se. Durchlaucht zu üben nicht ermüdeten.“ Diese Adresse ist vom 24. d. M. — Der berühmte Darsteller des Parapluiemacher Staberl, Theaterdirektor Karl Bernbrunn, ist eines der einflußreich¬ sten Mitglieder des Wiener Gemeinderathes. — Am 23. d. M. wurden die Dr. Becher und Jellinek erschossen, unter Anderem auch darum, weil sie die Proklamationen und Maßregeln des Fürsten Windischgrätz als ungesetzliche er¬ klärten. Was hat der Reichstag zu erwarten, der dasselbe Vergehen beging? — Das Morning=Chronicle nennt Blum (in Wien) den Vertreter einer fremden Macht. Das Frankfurter Parlament eine fremde Macht für Oester¬ reich! und doch scheint jene Zeitung Recht zu haben. — Der Abgeordnete Simon sagte neulich im deutschen Parlamente: Wenn man z. B. dem Könige von Preußen die Steuern verweigerte, so daß er Militär, Hofstaat u. dgl. nicht mehr zahlen könnte, werde er bald einsehen, ob er von Gottes Gnaden, oder von wessen Gnaden König sei. Der Kaiser von Rußland soll hierauf einen Flügeladjutanten mit einem Schreiben an Herrn Simon gesendet haben, das diesem das allerallerhöchste Mißfallen zu erkennen gibt. — Wien wird immer mehr befestigt zur Befestigung der Freiheit. — Thiers und Louis Philipp bauten auch um Paris forts détachées — Louis Philipp wohnt jetzt in Richmond. Der Kaiser hat dem Banus Jellachich einen Orden für sein schnekes Vorrücken nach Wien verliehen. War vielleicht schon sein Ausmarsch aus Kroatien ein Vorrücken gegen Wien? — Die steyermärkischen Stände haben an den Für¬ sten Windischgrätz ein Ersuchschreiben erlassen, er möge womöglich von der Befestigung des dortigen Schloßberges ablassen. — In Preußen ist Alles janz stille und jemüth¬ lich. Der jute Mond schaut vom Himmel herab wie ein weißes Plakat, von dem der Belagerungszustand den In¬ halt löschte, und die Minister sagen, sie wären zwar ver¬ antwortlich, aber sie hätten ihre Verantwortlichkeit einst¬ weilen dem General Wrangel zum Aufbewahren gegeben, und an den habe sich das Volk zu wenden. Unterdessen liebäugelt die Frankfurter Rechte mit dem König von Preußen, der aber, wie eine spröde Schöne, kokettirt mit den mann¬ schaftsreichen Generalen an der russischen Grenze. Alle fürchten sich. Auch der politische Thürmer, der sich hiemit in sein Thurmstübchen zurückzieht. ∆ Pfefferkörner. Auch bei uns in Steyr fangen die Rückwirkungen der Wienerzustände an sichtbar zu werden. Zum Beispiele war neulich an einem heiteren Spätherbstmorgen die deutsche Fahne vom Giebel des Berggerichtes verschwunden. Und schnell war ihre Spur verloren, Sobald sie wieder Abschied nahm. Da dieses Amtsgebäude unter allen übrigen hier das letzte war, welches sich den Schmuck der deutschen Fahne beilegte, so war es ganz konsequent, daß es sich das erste desselben wieder entledigte. Wir erstatten dem sich in be¬ scheidene Dunkelheit hüllenden Veranstalter der erwähnten Ueberraschung unter Anerkennung seiner echt deutschen Ge¬ sinnung hiemit unseren ergebensten und tiefgefühlten Dank. Mit einem Ergänzungsblatte Nr. 15. Verantwortlicher Redakteur Alex. Jul. Schindler; Mitredakteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Haas in Steyr.

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