304 Wurm „Sterblichkeit,“ dem seine Kugeln bei Andern bald auf der lauten Wahlstatt, bald auf dem stillen Richtplatze ein Stück Arbeit erspart haben. Und wie furchtbar schmer¬ zen vielleicht die Bisse seines Wurmes, während Herzblut und Leben den Ueberwundenen kühlend aus Todeswunden floß, in deren noch warmen Spalt schon die Weltgeschichte segnend und heiligend ihre Finger legte! Ich predige keinen Haß, aber ich klage. Ich beklage die Blindheit der Gewaltigen, welche die Hand der bleichen Furcht reichen, während ihnen von allen Seiten die Liebe winkt, mit Rosen auf den Wangen. Ich beklage die Wuth der Starken und die Feigheit der Gerechten, und wie deutscher Muth und die uraltstolze Vaterlandsliebe erstickt und begraben liegen unter Waarenballen und staubigen Aktenbündeln. Ich beklage die Träume dieses Frühlings und die Opfer des nächsten, die Verwüstung prächtiger Städte, das Wanken alter Throne und den Mangel eines Mannes in Deutschland! Aler. Jul. Schindler. Ein Blick in die Zukunft der deutsch=österreichischen Provinzen in Folge der §§. 2 und 3 Art. II. der deutschen Reichsverfassung. (Schluß.) Diesen Einwendungen gegenüber ist es vor Allem nothwendig, daß wir uns über den Begriff von „Patrio¬ tismus“ überhaupt und eines österreichischen Patriotismus insbesonders klar werden. Der Patriotismus besteht in der warmen Vorliebe eines Bürgers zu den Einrichtungen, Gesetzen, historischen Erinnerungen und zur Sprache seines Landes. So ist der Amerikaner begeistert für seine freie Union, der Franzose für sein „schönes Frankreich,“ der Engländer für „Alt=England“ und der Italiener für sein Italien, das zwar politisch vielfach getheilt, jedoch gleiche Sprache, gleiche Sitten, gleiche Geschichte und klimatische Lage ein Ganzes darbietet. Nicht so ist es jedoch mit der Gesammtmonarchie Oesterreich. Da dieselbe aus vier durch Sprache, Geschichte, Sitten und Einrichtungen von Grund aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt ist, so leuchtet ein, daß es in Oesterreich wohl Patriotismen, jedoch keinen „gesammtösterreichischen“ Patriotismus geben kann, eben weil das Gesammtösterreich kein gleichgeartetes Land, sondern ein Kompler von verschiedenartigen Ländern ist. So spricht den Magyaren gewiß Niemand Patriotis¬ mus ab, und doch stehen sie jetzt als Feinde dem Gesammt¬ österreich gegenüber, so hat der Italiener im Verlaufe des letzten halben Jahres gezeigt, wie wenig „österreichischen“ Patriotismus er besitze, und wir Deutsche, wie steht es mit uns? Wenn wir auch allerdings eine Vaterlandsliebe fühlen, dehnt sich diese auf Ungarn aus, deren Bewohner uns verachten, oder auf Italien, wo Kind und Greis in den Ruf einstimmen: Morte ai Tedesci — oder auf die Slaven, deren Uebergriffe wir fürchten? — So weit wären nur noch die Slaven übrig, als Träger des „gesammt¬ österreichischen“ Patriotismus. Und wirklich hat ihr Patrio¬ tismus, der erst im Juni unter dem slavischen Banner gegen die schwarzgelbe Fahne eine blutige Revolution unter¬ nahm, plötzlich selbst die schwarzgelbe Fahne aufgesteckt, und trägt eine warme Begeisterung für die Einheit der österreichischen Monarchie, für ein ungetheiltes Gesammt¬ österreich zur Schau. Der Umstand jedoch, daß bei dieser Einheit des österreichischen Gesammtstaates augenfällig aller Vortheil rein auf Seite der Slaven, alle Gefahr aber auf Seite der übrigen Nationalitäten besteht, erlaubt einen billigen Zweifel daran, ob das Feuer des von den Slaven zur Schau getragenen Patriotismus wohl aus einer so reinen Flamme bestehe, wie sie uns gerne glauben machen möchten. Ich einmal gestehe, daß ich an einem solchen Patriotismus viele Aehnlichkeit zu entdecken glaube, mit dem Interesse, das etwa Meister Reinecke Fuchs für einen wohlbesetzten Hühnerstall fühlt, oder wenigstens mit der Sorgfalt, mit der ein Gutsherr über die Vollständigkeit seiner Herde wacht, die ihm Milch, Wolle und am Ende auch ihr Fleisch liefern muß. Die Slaven müßten in der That viel einfältiger sein als wir sie kennen, wenn sie nicht einsehen sollten, daß gegen ihre Ueberzahl, die noch durch die hohe Stellung und Energie vieler ihrer Mit¬ glieder an Bedeutung gewinnt, die andern Nationalitäten in Oesterreich nicht aufkommen können, sondern früher oder später den Slaven zur Beute werden müssen. Nur der Furcht, es möchte ihnen diese lockende Beute entrissen wer¬ den, läßt sich die hartnäckige Weigerung der Czechen zu¬ schreiben, das Frankfurter Parlament zu beschicken; nur daraus läßt sich der Ingrimm erklären, mit dem sie, welche doch die März= und Mairevolutionen in Wien mit Jubel begrüßten und im Juni sogar nachahmten, den letzten Aufstand in Wien (am 6. Oktober) behandelten, weil er die Vormundschaft, in der bis dahin von ihnen die deutsche Parthei gehalten wurde, vernichtete, und der deutschen Sache Vorschub zu leisten schien. Daß Wien fast nur durch slavische Truppen bezwungen wurde, ist nicht zu übersehen, und es wäre auch der Mühe werth, daß der deutsche Michel etwas aufmerksamer wäre, als bisher auf die Herzensergießungen so mancher slavischen Organe, welche die Hoffnungen der Slaven, die sie sich auf un¬ sere Kosten machen, (hoffentlich etwas voreilig) an den Tag legen. Ich führe hierüber nur eine Stelle aus dem zu Paris herauskommenden Blatte: „La Pologne, Organ der gemeinschaftlichen Interessen der Slaven von Polen, Böhmen, Ungarn und des Ostens“ an. Dieses Blatt enthält am 1. November, am nämlichen Tage, an welchem Jellachich in Wien einzog, — wörtlich Folgendes: „Die Slaven kommen! Im Norden, im Süden, im „Osten sieht man ihre Fahnen flattern!“ so rief vor einigen „Tagen die deutsche Schildwache auf der Spitze des Ste¬ „phansthurmes, und dieser fürchterliche Ruf rollte mit
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