Zwanglose Blätter, Nr. 66, vom 1. November 1848

— 232 — Radetzky und unsere Zeit. Der Feldmarschall Graf Radetzky hat aus dem Haupt¬ quartiere Mailand den 16. Oktober an die Soldaten der Garnison von Wien folgende Worte gerichtet: „Ich bin nicht Euer commandirender General, Ihr seid nicht gewohnt auf meine Stimme zu hören und ihr im Kampfe zu folgen; aber als Feldmarschall und ältester Soldat der Armee steht mir das Recht zu ein ernstes Wort an Euch zu richten. Unerhörte Dinge haben unter Euern Augen stattgefunden, Oesterreichs makellose Fahne ist durch Verrath und Blut befleckt. Zum Zweitenmale hat Euer Kaiser aus seiner Hauptstadt fliehen müssen? der Kriegs¬ minister Feldzeugmeister Graf Latour ward grausam und schändlich ermordet, sein Leichnam entehrt. Ein tapferer General fiel, wie man sagt durch die Hand eines Grena¬ diers! Ein Grenadier=Bataillon vergißt in Orgien und schändlicher Trunkenheit seine Pflicht, verweigert den Ge¬ horsam, und feuert o ewige Schmach! auf seine eigenen Waffenbrüder. Soldaten der Wiener Garnison, sagt mir, im Namen der Armee von Italien, Eurer Waffenbrüder, frage ich Euch — habt ihr Eure Pflicht gethan? Wo war die Wache die den Feldzeugmeister Latour vertheidigen sollte, die eher zu seinen Füßen sterben mußte als ihn der Wuth eines blutdürstigen aufgereizten Pöbels preiszugeben? Wo weilen die Verräther, die unsere Fahne mit Schmach be¬ deckten? Hat sie die gerechte Strafe schon ereilt? Oder schleppen sie ihr verächtliches Daseyn noch in den Reihen der Empörung fort? Soldaten! Schmerz ergriff mich, Thränen erfüllten mein altes Auge, als ich die Kunde dieser in den Annalen der österreichischen Armee unerhör¬ ten Schandthaten erfuhr. Ein Trost blieb mir noch: daß es nur ein kleiner Haufe war, der seine Ehre so schänd¬ lich vergaß, seine Pflicht so schmachvoll verletzte. An Euch, Ihr treugeliebten wackern Männer, ist es nun den Thron Eueres Kaisers und die freisinnigen Instituti¬ onen zu schützen, die seine väterliche Güte seinen Völ¬ kern verlieh, und die eine Horde von Empörern so schändlich mißbraucht.*) Soldaten! öffnet die Augen vor dem Abgrunde der sich vor Euren Füßen auf¬ thut; alles steht auf dem Spiele, die Grundfesten der bür¬ gerlichen Ordnung sind erschüttert, das Besitzthum, Moral und Religion mit Untergang bedroht, alles was dem Menschen heilig und theuer ist, was die Reiche gründet und erhält will man vernichten — das, und nicht die Freiheit ist der Zweck jener Aufwiegler die Euch mit in Schande und Verderben reißen wollen. Sol¬ daten! In Eurer Hand liegt jetzt der Schutz des Thrones**) und mit ihm die Erhaltung des Reiches. Möge Gottes Gnade mir gestatten, den Tag zu erleben, wo man sagen wird: „Die Armee hat Oesterreich gerettet“ dann, erst dann wird der 6. und 7. Oktober dieses unheilschwan¬ gern Jahres! gesühnt seyn und in Vergessenheit sinken, dann reicht Euch die Armee von Italien, die jetzt die *) Hierunter ist wohl auch der Reichstag verstanden!? **) Die freisinnigen Institutionen sind hier schon wieder vergessen. Gränzmarken der Monarchie gegen äußere Feinde schützt, die Bruderhand. (gez.) Radetzky, Feldmarschall.“ — Ein zweiter Armeebefehl, Hauptquartier Mailand den 18. Ok¬ tober 1848, lautet wie folgt: „Soldaten! Ich habe Euch den Aufruf bekannt gemacht, den ich an die Garnison von Wien erließ. Ihr werdet daraus ersehen haben, daß das Grenadier=Bataillon Richter im Rausche seiner Pflicht vergaß, den Gehorsam verweigerte, und auf seine Kame¬ raden feuerte. Es ist mir die Nachricht zugekommen, daß dieses Bataillon reumüthig zu seiner Pflicht zurückgekehrt und damit es seine Reue durch die That beweisen könne, den Kommandirenden gebeten habe, es an die Spitze der ersten Sturmcolonne zu stellen. Soldaten! Ich habe Euch mit der Schmach dieses Bataillons bekannt gemacht, ich muß Euch auch seine Reue mittheilen. Ich bin dieses ins¬ besondere der Ehre der tapferen Regimenter schuldig aus denen dieses Bataillon zusammen gesetzt war. Zwar kann diese späte Reue die Makel nicht auslöschen, die dieses Ba¬ taillon seiner Fahne, die auch die Eure ist, jaufgedrückt hat, aber doch thut es einem alten Soldatenherzen wohl, zu hören, daß die Pflicht über den Verrath die Oberhand gewonnen. Bald hoffe ich Euch sagen zu können, daß Eure unglücklichen und verführten Kameraden ihren Fehler mit Blut und Leben ausgelöscht haben. (gez.) Graf Ra¬ detzky m. p., Feldmarschall.“ Wir theilen diese beiden Proklamationen aus der All¬ gemeinen Zeitung mit, und es würde uns von Herzen freuen zu erfahren, daß sie apogryph sind. Wir haben alle Achtung vor dem Feldherrntalente des Grafen Ra¬ detzky, er ist gewiß ein treuer Diener seines Herrn und Kaisers gewesen, nun aber gehen die Gewalten vom Volke aus, das Volk steht auf gleicher Höhe neben dem Kaiser, in dessen Händen die Erekutivgewalt gelegt ist, die er ohne Contrasignirung eines dem Volke verantwortlichen Mini¬ steriums nicht ausüben darf; der Kaiser nennt sich selbst konstitutioneller Kaiser und gibt dadurch zu erkennen, daß er in einem anderen Verhältnisse zu seinem Volke stehe, als dieß bis zum 15. März dieses unheilschwangern Jahres der Fall war — mithin möge Radetzky bedenken, daß man die einmüthige Erhebung des Reichstages und des Volkes, dem man dient, nicht nach Willkür maßlos schmähen darf. Wir vertheidigen nicht die mit blutigen Mackeln behafteten Stunden des 6. Oktobers, aber von dem Augenblicke an, wo mit Verletzung der Freiheiten des Volkes feindselige Truppen vor Wien gestellt wurden und es mit aller Erbitterung bekriegten, von dem Augenblicke an wo, ohne daß ein Mittel der Versöhnung nur versucht worden wäre, der Bevollmächtigte des Kaisers Fürst Windischgrätz der Residenz Bedingungen stellt, erniedri¬ gender als man je einer feindlichen Festung bot, was sage ich — völkerrechtswidrig in einem Maße, das selbst die Kapitulations=Aufforderungen Kara Mustapha's, des Feld¬ herrn der Türken, nicht erreichten; steht die ganze Redlich¬ keit, Selbständigkeit, Freisinnigkeit und Intelligenz der

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