Zwanglose Blätter, Nr. 66, vom 1. November 1848

276 mern des erzbischöflichen Palastes zu Olmütz gemacht wird. Aber in dieser ständischen Adresse mahnt kein Wort daran, daß sie die Rechte eines deutschen Volkes vertreten wolle, daß sie aus der Feder eines deutschen Mannes geflossen sei. Sie könnte eben so gut von einem Collegium von Mandarinen an den Beherrscher des himmlischen Reiches gerichtet sein. Sie ist ein weiter faltiger Mantel, der sich bequem und weich den Schultern jedes servilen Mannes anschmiegt, während er die Brust jedes freien Mannes beengen und ihm eine unangenehme Röthe auf die Wan¬ gen treiben würde. Es ist ein Bitten und Betteln um Schonung, als ob Wien und die ganze deutsche und freisinnige Parthei im Vaterlande die Ruthe verdient hätte; es ist ein dichtes dem Winde, der vom Hofe herweht sich beugendes Gebüsch voll loyaler Schmeichelei und Unter¬ würfigkeiten, und ganz hinten sitzt das arme Zaunköniglein „Freiheit“ versteckt und wagt es kaum ein klein wenig zu zwitschern. Männer! Männer! ist es denn so schwer, die Wahrheit entschlossen und ganz zu sagen!? Nachdem im Anfange der Adresse mit der gewöhn¬ lichen, höchst verdächtigen Begriffsverwechslung die Reaktion unmöglich genannt wird, weil ihr Sieg höchst unwahrscheinlich, vielleicht sogar unmöglich ist, nach¬ dem sich die Bittsteller mit dem Eingeständniß unreifer Ansichten, Selbstsucht u. dgl. den Rücken bußfertig zer¬ geißelt haben und endlich auch die nur im Hirne der Ol¬ mützer Staatsmänner spuckende Anarchie als ein Wesen mit Fleisch und Bein, das am Tage einherschreitet, zu¬ geben, wird nach einem, den bei der Kamarilla unbeliebten Reichstag schwer gravirenden Fragezeichen für das verirrte Wien um Schonung gebeten. „Seine Maje¬ stät wolle doch nicht auch Jene mit strafen, die nicht straf¬ bar sind.“ Wir kennen in Wien keine Strasbaren, als die Mör¬ der Latours den sie dem Spruche des Staatsgerichtshofes entzogen. Oder sind vielleicht jene Bürger Wiens straf¬ bar, die einer inkonstitutionellen, mithin feindlichen Macht ihre Thore verschlossen und ihre Mauern gegen drohende Feuerschlünde wieder mit Feuerschlünden verwahrten!? Uebri¬ gens würde uns eine solche Ansicht von einem Collegium nicht wundern, das auch die Hauptstadt des Landes, das es vertreten soll, von allerhand Duodez=Alba's und der¬ gleichen Leuten mit ganz absonderlichen Erperimenten heimsuchen läßt. Wo die Adresse den Frieden herbeizuführen trachtet, da sympathisiren wir von ganzem Herzen mit ihrem In¬ halte — warum aber kein Wort von dem Rechte des Volkes, von der deutschen Sache? Wir lassen nun das verunglückte Schriftstück folgen und hoffen die Geschichte wird einst die Gesinnung Ober¬ österreichs nicht darnach beurtheilen. Sie ist das Pri¬ vatunternehmen eines Collegiums, das wohl große Kenner altdeutscher Sprache und Literatur, keineswegs aber kräf¬ tige Beförderer der neuen Blüthe deutscher Länder und Völker in seinem Schooße zu zählen scheint. Euere Majestät! Die Freiheit, des Menschen höchstes Gut, haben die Völker Oesterreichs erworben. Nicht das alte Regierungssystem, welches ganz un¬ möglich geworden ist, sondern andere Feinde bedrohen die Freiheit, die Größe des Kaiserthums Oesterreich. Unreife Ansichten, Selbstsucht, gemeine Verführung sind die Feinde, welche mit der Freiheit nicht zufrieden, auch die Herrschaft der Ordnung hassen. Leider haben sehr Viele, denen goldene Berge ohne Mühe und Arbeit ver¬ sprochen wurden, sich irre leiten lassen. Der Erwerb des Handwerkers, der Fabriken, des Handels ist verschwunden. Zeit und Kräfte werden der nährenden Arbeit entzogen. Der Mangel an baarem Gelde untergräbt den Kredit. Neue Staatsauslagen ver¬ mehren die Verlegenheit der Finanzen. Gesetzlosigkeit, Unsicherheit des Daseins und des Ei¬ genthums erregen bange Sorgen. Wer trat den Bestrebungen des Umsturzes mit leiten¬ der Hand entgegen? Die konstituirende Reichsversammlung ruft die Pro¬ vinzen in der Proklamation vom 20. d. M. zur Hülfe auf, Eure Majestät zu bitten, damit der Stadt Wien und dem Reiche der Frieden werde, damit im Segen des Friedens das neue Heil des Vaterlandes gedeihe. Mit banger Betrübniß muß der Kampf das Vater¬ herz Euer Majestät erfüllen. Nicht gleichgültig kann der Bürgerkrieg den Provinzen sein. Die Gefahren, die die Provinz Niederösterreich, die die Hauptstadt des Kaiserstaates bedrohen, empfindet die Schwester=Provinz Oberösterreich mit. Die Liebe zu Euer Majestät, unserem konstitutionellen Kaiser die Sorge um das Wohl des Kaiserstaates und für die Ruhe der Provinz Oberösterreich begründen die Bitte: für die Stadt Wien und ihre Bewohner jede Scho¬ nung eintreten zu lassen, welche in dem Herzen Euer Majestät ihren Grund findet. Bereits sieben Monate sind verflossen, und die Ent¬ wickelung des konstitutionellen Staatslebens Oesterreichs ist nicht um einen Schritt vorwärts, ist an den Abgrund der völligen Zertrümmerung des bestehenden Organismus gebracht. Nur das Vertrauen der Oesterreicher daß Euer Ma¬ jestät das Glück der Völker wollen, nur das Bewußtsein, die erworbene Freiheit muß zur Wahrheit werden, konnte die moralische Kraft stärken, die materiellen Opfer vergessen lassen. Gegenwärtig wird auch die moralische Kraft, wird die Vaterlandsliebe bedroht. Der Sohn steht gegen den Vater der Bruder gegen den Bruder zum Kampfe gerüstet. Die Gerechtigkeit, der Wahlspruch Euer Majestät, wird nicht auch Jene strafen wollen, welche nicht strafbar sind und wird die Mittel finden, die Freiheit und Ord¬ nung zu befestigen, wird das konstitutionelle Staatsleben herbeiführen die Achtung des Gesetzes, eine kräftigere, die Rechte des Volkes beschützende Regierung begründen. Vom ob der ennsischen ständ. Verordneten¬ Collegium. Linz am 23. Oktober 1848.

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