Zwanglose Blätter, Nr. 62, vom 18. Oktober 1848

261 Um halb 5 Uhr sollte auf Verlangen vieler Mitglieder die Sitzung eröffnet werden. Da waren nur etwa 120 De¬ putirte anwesend und Strobach erklärte, da die genü¬ gende Zahl der Abgeordneten fehle, die Sitzung nicht er¬ öffnen zu können. Es entstand ein gewaltiger Lärm gegen diese seine Weigerung, worauf er ersucht, einer der Her¬ ren Vicepräsidenten möge, wenn es ihnen zukömmlich er¬ scheint, dem Wunsche nach Eröffnung entsprechen, seiner Ueberzeugung widerspreche dieselbe, und er trete demnach zurück. Vordem schon hatte ihn der Abgeordnete Hawel¬ ka gewarnt, nicht den Reichstagssaal zu betreten; oder sich unter die Menge zu begeben, da er auf den Barri¬ kaden und von den tobenden Haufen vielseitig den Ruf vernommen habe: Strobach und die Minister müssen hän¬ gen. Trotzdem war Strobach in den Reichstag gekommen. Da erschien der Abgeordnete Borrosch mit einer weißen Fahne, und ungeheurer Jubel empfing ihn. Während des Tumultes entfernte sich Strobach unbemerkt, Hawelka folgte ihm, sie bestiegen einen Fiaker und fuhren gegen Baden. In der Nacht kamen sie in Vöslau an, wo Strobach bei einem seiner hier lebenden Verwandten Unterkunft fand. Doch erklärten ihm seine Freunde, daß er hier durchaus nicht sicher sei, die Flüchtlinge begaben sich deßhalb am Morgen in die naheliegenden Berge und hielten sich hier den ganzen Tag in den Wäldern verbor¬ gen. Des andern Tages schickten sie einen Boten nach Wien, um Nachrichten über den Stand der Dinge zu ver¬ nehmen. Dr. Cejka kam mit der Antwort zu ihnen, und als Strobach von den Vorgängen in Wien und im Reichs¬ tage hörte, daß das Ministerium gesprengt, und der Reichstag als erecutive Behörde sich permanent erklärt habe, er also seiner Ueberzeugung nach nicht mehr präsi¬ diren konnte, faßte er den Entschluß, sich nach seiner Hei¬ math zu begeben. Unter fingirten Pässen reisten die flüchtigen Abgeordneten gegen Linz, Strobach als kranker pensionirter Oberlieutenant, Cejka als dessen Arzt und Hawelka als ihr Be¬ diente. — Vorgestern Abends kamen sie in Budweis an, wo sie Nachtlager hielten, und von den Civil= und Militärbehörden, als diese die Ankunft des Reichstags¬ präsidenten vernommen hatten, ehrenvoll und freudig be¬ grüßt wurden. Gestern und heute wurden mehrere Wiener Studen¬ ten, die hieher gekommen sein sollen, in unserer Aula zu agitiren, verhaftet. Das Nähere ist uns noch unbekannt. Mit dem gestrigen Nachmittags= oder eigentlich Abendtrain, da er erst um halb 9 Uhr ankam, langten auch zwei von jenen Deputirten hier an, die unser Stadtverordneten¬ Collegium im Verein mit der Slowanská lipa und dem Studentenausschusse nach Wien gesandt hat, um über den Gang der dortigen Ereignisse zu berichten. Sie bestätigten alle bisher auf anderm Wege schon bekannt gewordenen Vorfälle und brachten zugleich die Neuigkeit, daß in der um 7 Uhr Abends anberaumten Reichstagssitzung am 9ten Jellachich als Landesverräther erklärt werden sollte. Doch waren bis zur Abreise der Berichterstatter um halb 7 Uhr nur erst 11 Abgeordnete (1 von der Rechten, 2 aus dem Centrum und 8 von der Linken) erschienen. Die Allarm¬ trommel ertönte — und die Sitzung mag wohl nicht zu Stande gekommen sein. Gewisse Herren in Prag sind so blind in ihrem Eifer, den 6. Oktober gegen Wien und Deutschland auf's Beste auszubeuten, daß sie sehr plump sehr ungeschickt werden. Man lese den oben angeführten Bericht über die Ulysses¬ fahrten des Patriarchen Strobach. Heißt dieß sich nicht selbst in die Nase schneiden, um seinen Nächsten zu ärgern? Erinnert es nicht an die Fabel von dem Bären und dem schlafenden Einsiedler? Jeder Unbefangene wird die merk¬ würdige Fluchtgeschichte auf den ersten Blick für eine Sa¬ tyre auf die ehrenfesten Herren Strobach, Cejka und Ha¬ welka ansehen, und doch lag dem böhmischen Blatte nichts ferner, als die Absicht, seine Helden lächerlich zu machen. Aber in dem löblichen Bestreben, Wien als ein Sodom und Gomorrha darzustellen mußte den Prager Deputirten eine Angst angedichtet werden, welche sie nicht empfunden haben und nicht empfinden konnten. Männer wie Kraus, Pillersdorf u. A., die eben nicht die größte Popularität genossen, sind ruhig hier geblieben, ohne daß ihnen ein Haar gekrümmt worden wäre. Und wir trauen den an¬ geblich „unter fingirten Pässen“ Entflohenen eben so viel Muth zu, als den Obgenannten. Sie entfernten sich nicht aus Furcht, sondern aus berühmter Taktik von Wien. Wäre die Geschichte von ihren Wanderungen im Vöslauer Hochgebirge wahr so würden die Wanderer sich gewiß geschämt haben sie weiter zu erzählen. Die Erfindung ist also kein ben trovato, Gott behüte euch vor euern Freun¬ den, ihr Herren Strobach, Cejka und Hawelka! O. D. P. Pfefferkörner. In ein Kaffeehaus in einer italienischen Stadt traten vor einiger Zeit zwei Offiziere in bürgerlicher Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Chocolade trinken wolle? Dieser antwortete er möge lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere vor die Polizei geladen und ihnen vorgehalten, sie wären Revolutionäre, Carbonari, Liberale und sie sollten nur Alles gestehen, dann würde man ihnen vielleicht das Leben schenken. Die Offiziere sahen sich einander verwundert an und betheuerten ihre Unschuld. Unschuldig?? donnerte der Polizeidirektor. Her¬ bei, Junge! Da kam ein italienischer Spion und sagte den Offizieren in's Gesicht, sie hätten im Kaffeehause von Freiheit gesprochen. Der gute Spion hatte lieber Thee gehört und das für liberté verstanden. Die Offiziere

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