Zwanglose Blätter, Nr. 62, vom 18. Oktober 1848

Oberösterreich. aus Zwanglose Blätter Nro. Steyr am 18. Oktober 1848. 62. Don Cäsar: So will ich diese Bruderhand ergreifen, Don Manuel: Die mir die näch ste ist auf dieser Welt. Braut von Messina. Die Adresse der Ungarn. Wer von allen, die geliebt, denkt nicht an das Glück jener Stunde zurück, das ihm nach längerem Schmollen die zärtlichste, aufrichtige Aussöhnung mit der Geliebten bereitet? — Seelenzustände, die sich beim Individuum offenbaren, offenbaren sich potenzirt im Leben der Völker. Zwei Völker, die durch geographische Lage, durch Aus¬ tausch der Produkte, durch politische Bildung, durch Fa¬ milienbande der Einzelnen, durch gemeinsame Geschichte, durch gleiche Liebe zur Freiheit enge miteinander verbunden sind, werden nie sich gänzlich mißverstehen, mögen auch Ereignisse dazwischen treten, die das herzliche Einverständ¬ niß, das zwischen ihnen besteben soll und muß, auf einige Zeit zu stören scheinen. Wir wenden dieß auf Ungarn und Oesterreich an. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß das ungarische Ministerium Bathyany=Kossuth Schritte gethan, die von den allzu freundschaftlich= nachbarlichen Gefühlen für Oester¬ reich gerade keinen Beweis gaben. Aber diese Fehler ihrer Politik wollen wir vergessen, denn wir flechten den neuen innigsten Bund mit dem Volke der Magyaren zum Kampfe gegen die einzigen gemeinsamen Feinde — gegen die Ca¬ marilla und die Slaven, die, obwohl beide die ver¬ schiedensten Interessen haben, für den Augenblick Hand in Hand gehen. Die Slaven benützen den Herrscher Oester¬ reichs als Mittel, um jede Annäherung seiner Völker an Deutschland zu verhindern. Den Slaven ist es nur um einen Bund sprachverwandter Völker zu thun, um den Deutschen und Magyaren gegenüber sich als starke Nation zu fühlen. Wer, der mit offenem Auge die Blätter der Geschichte studirt hat, die sich in den letzten Monaten vor ihm ent¬ rollten, zweifelt noch an diesen Gelüsten der Slaven, die gleich verderbenschwanger sind für Deutsche und Magyaren? Das seit Jahren in Prag systematisch betriebene Schmähen alles dessen, was deutsch ist, der im Juni eben dort abgehaltene Slavenkongreß, die Verbindung der Kroa¬ ten, Jellachich an ihrer Spitze, mit den Illyriern und Serben, die gleichzeitige Intervention der Russen in den von Serben bewohnten Donaufürstenthümern, wo die zu dieser Einmischung den Vorwand hergebende Insurrektion durch russische Emissäre künstlich hervorgerufen wurde — sind triftige Belege für die oben aufgestellte Behauptung. Die Worte, die Rieger keck und drohend im Reichs¬ tage den Deutschen Oesterreichs von der Tribüne in's Ge¬ sicht geschleudert, die affektirte Flucht der czechischen Parthei nach dem ersten Beginne des Wiener Kampfes, der von Palaczki angeregte Protest der Prager Stadtverordneten gegen die Beschlüsse des Reichstages, bewiesen den Ter¬ rorismus, den sie auch auf parlamentarischem Boden aus¬ üben möchten. Ein Slavenstaat, dem der Slave, Deutsche und Magyaren herausfordernd, die Ruhe von Europa zum Opfer bringen will, ist ein Unding, das zur rothen Republik oder zur Knute führen würde. Das königliche Rescript vom 3. d. ernannte den Ban zum Oberbefehlshaber von Ungarn und seinen Nebenlän¬ dern und drohte somit Vernichtung der magyarischen Na¬ tionalität. Die Wiener erkannten mit richtigem Gefühle die Gefahr, die dadurch auch der deutschen Sache er¬ wuchs. Sie erhoben sich kraftvoll und heldenmüthig. Die ernsten Ereignisse dieser Tage sind bekannt. Die Ungarn, geleitet vom heiligen Dankgefühle gegen das hochherzige Wien, erließen folgende Adresse an den konstituirenden Reichstag, die wir wörtlich unsern Lesern mittheilen: An den konstituirenden Reichstag in Wien. Die ungarische Nation im heiligen Kampfe für ihr gutes Recht, gegen den in der Weltgeschichte unerhörten Verrath der reaktionären Camarilla und ihrer eidbrüchigen Söldlinge begriffen, ist von dem wärmsten Dankgefühle durchdrungen, für die heldenmüthige Aufopferung der edeln Bewohner Wiens, womit selbe die Verstärkung der Armee des Verräthers Jellachich zu verhindern sich so glor¬ reich erhoben. Die ungarische Nation erklärt vor Gott und der Welt, daß sie die Freiheit Oesterreichs ihrer eigenen Freiheit gleich achten und zu deren Aufrechthaltung gewiß den Wün¬ schen der österreichischen Nationen nach Kräften beizutragen

260 stets zu ihren heiligsten Pflichten rechnen wird. Die Ge¬ fahr ist gemeinschaftlich, welche die Freiheit beider Nationen bedroht. Ungarn weist entschieden von sich jeden Traktat mit der Camarilla und ihren eidbrüchigen Söld¬ nern, bekennt sich aber vor Gott und der Welt zum tief¬ verpflichteten Freunde, treuen Bundesgenossen und Bruder der österreichischen Nationen, und erklärt sich un¬ wandelbar geneigt, die gegenseitigen Interessen zur beider¬ seitigen Zufriedenheit auf der breitesten Basis des Rechtes, der Billigkeit und der treuen Bruderliebe regeln zu wollen, und bietet hiezu seine treue Bruderhand. Ungarn erklärt zugleich seinen wärmsten Dank der hohen Reichsversammlung für die kräftigen Maßregeln zur Verhinderung des Anmarsches von einer reaktionären Soldateska, bestimmt, die räuberischen Horden Jel¬ lachichs zu unterstützen; findet sich aber auch zugleich veranlaßt, die hohe Reichsversammlung zu benachrichtigen, daß die ungarische Regierung Kunde bekommen habe, daß trotz der vorbemerkten Maßregeln dem Empörer Jellachich es doch gelungen sei, gegen 13,000 Mann Verstärkung aus Oesterreich an sich zu ziehen, und daß unserem armen verlassenen Vaterlande auch von dem in Gallizien statio¬ nirten Militär eine Invasion droht. Die ungarische Nation ersucht die edeln Vertreter Oesterreichs hiegegen kräftig ein¬ schreiten zu wollen, und so, wie wir jeden Ungar für einen Landesverräther erklären, der seine unheilige Hand gegen die Freiheit Oesterreichs erhebt, eben so jeden Unterthan der österreichischen Monarchie für einen Lan¬ desverräther zu erklären, der dem Empörer Jel¬ lachich, dem eidbrüchigen Werkzeuge, dassich die Camarilla zur Unterdrückung der Frei¬ heit Oesterreichs und Ungarns auserlesen, die mindeste Unterstützung gewähren würde. Der Empörer Jellachich treibt seine Horden mit Kartätschen in den Kampf gegen die Freiheit. Es ist höchst wahrscheinlich, daß er, von unsern tapfern Truppen gedrängt, seine räuberischen Horden auf das Gebiet Oester¬ reichs wirft und wo möglich selbst Wien zu bedrohen beab¬ sichtigt. Die ungarische Nation ist fest überzeugt, daß er in diesem Falle unter dem Racheschwerte der Freiheitssöhne Oesterreichs unrettbar fallen wird; doch erachtet es die ungarische Nation für ihre heiligste Pflicht der Dankbarkeit gegen Wien und Oesterreich, in diesem Falle Jellachich nachzujagen, und in dem Werke seiner wohl¬ verdienten Vernichtung das edle Volk Oester¬ reichs zu unterstützen. Darum haben die Repräsentanten der ungarischen Nation den Befehl an die ungarische Armee ertheilt: Jel¬ lachich zu verfolgen, wohin er sich wenden möge. Doch betheuert die ungarische Nation vor Gott und der Welt: daß, wenn ihre Truppen den fliehenden Feind nach Oesterreich zu verfolgen bemüssigt wären, hiermit nicht nur keine Gebietsverletzung Oesterreichs beabsichtigt würde, sondern daß in diesem Falle die ungarische Nation auch dem Triebe der Dankbarkeit folgt, welcher ihr es zur Eh¬ renpflicht macht, die edeln Bewohner Wiens nicht ohne Unterstützung zu lassen gegen den ge¬ meinsamen Feind. Möge die hohe Reichsversammlung diese aufrichtig ge¬ meinte Erklärung mit gleicher Bruderliebe entgegen neh¬ men. Die ungarische Nation erklärt, daß ihre Truppen in dem nämlichen Augenblicke Halt machen, und sich nach Ungarn zurückwenden werden, wo die edeln Vertreter des tapfern Oesterreichs dem kommandirenden Generale der ungarischen Armee die Weisung zukommen lassen, daß die Entwaffnung des gemeinsamen Feindes, durch eigene Kräfte bewirkt, und die Mitwirkung unserer Truppen zum Siege der gemeinschaftlichen Freiheit nicht mehr nöthig sei. Ungarns Regierung hat die strengsten Befehle erlassen, daß, im Falle die ungarische Armee vorrückt, ihre Ver¬ pflegung selbst auf dem uns heiligen öster¬ reichischen Boden, von Ungarn aus verab¬ folgt, und dem edeln Volke Oesterreichs nicht die min¬ deste Last aufgebürdet werde. Gruß, Hochachtung und Bruderliebe. Pesth den 10. Oktober 1848. Des ungarischen Reichstages Unterhauses erster Vicepräsident Oberhauses erster Vicepräsident B. Sigm. v. Perenj, m. p. Johann Pallfy, m. p. Möge die Adresse an den Reichstag der Bruderkuß sein, den die Magyaren auf die Lippen des österreichischen Volkes zu dauernder Freundschaft und innigem Einver¬ ständnisse drücken!! F. Prag, 11. Oktober. Reichstagspräsident Dr. Strobach, und mit ihm rium volle unbeschränkte Erecutivgewalt verbleibe, könne die Abgeordneten Dr. Cejka und Hawelka, sind heute, der Anarchie vorgebeugt, die Schreckensherrschaft darnie¬ Morgens wohlerhalten hier angekommen. Ihre Reise war, dergehalten werden. — Strobach begab sich in's Kriegsmi¬ über Linz und Budweis gegangen. — Schon am 13. Sep=, nisterialgebäude, wo ein Ministerrath gehalten werden tember hatte bekanntlich Strobach sich dagegen ausgespro=, sollte, doch mußte er gar bald, weil bewaffnete Massen chen, die erecutive Gewalt dem Ministerium zu entziehen, heranstürmten, sich von da durch unbekannte Gänge und den Pferdestall flüchten. Er eilte in den Reichstagssaal. und dieselbe dem legislativen Reichstag zu übertragen und aus demselben Grunde weigerte er sich auch am 6. Auf dem Wege wurde er mehrmal angehalten, und nur Oktober, als der Aufstand in Wien losbrach, die Reichs=, dadurch, daß er sich so viel als möglich unkenntlich machte, tagssitzung zu eröffnen. Nur dadurch, daß dem Ministe=, entging er dem angedrohten Schicksale der Schwarzgelben.

261 Um halb 5 Uhr sollte auf Verlangen vieler Mitglieder die Sitzung eröffnet werden. Da waren nur etwa 120 De¬ putirte anwesend und Strobach erklärte, da die genü¬ gende Zahl der Abgeordneten fehle, die Sitzung nicht er¬ öffnen zu können. Es entstand ein gewaltiger Lärm gegen diese seine Weigerung, worauf er ersucht, einer der Her¬ ren Vicepräsidenten möge, wenn es ihnen zukömmlich er¬ scheint, dem Wunsche nach Eröffnung entsprechen, seiner Ueberzeugung widerspreche dieselbe, und er trete demnach zurück. Vordem schon hatte ihn der Abgeordnete Hawel¬ ka gewarnt, nicht den Reichstagssaal zu betreten; oder sich unter die Menge zu begeben, da er auf den Barri¬ kaden und von den tobenden Haufen vielseitig den Ruf vernommen habe: Strobach und die Minister müssen hän¬ gen. Trotzdem war Strobach in den Reichstag gekommen. Da erschien der Abgeordnete Borrosch mit einer weißen Fahne, und ungeheurer Jubel empfing ihn. Während des Tumultes entfernte sich Strobach unbemerkt, Hawelka folgte ihm, sie bestiegen einen Fiaker und fuhren gegen Baden. In der Nacht kamen sie in Vöslau an, wo Strobach bei einem seiner hier lebenden Verwandten Unterkunft fand. Doch erklärten ihm seine Freunde, daß er hier durchaus nicht sicher sei, die Flüchtlinge begaben sich deßhalb am Morgen in die naheliegenden Berge und hielten sich hier den ganzen Tag in den Wäldern verbor¬ gen. Des andern Tages schickten sie einen Boten nach Wien, um Nachrichten über den Stand der Dinge zu ver¬ nehmen. Dr. Cejka kam mit der Antwort zu ihnen, und als Strobach von den Vorgängen in Wien und im Reichs¬ tage hörte, daß das Ministerium gesprengt, und der Reichstag als erecutive Behörde sich permanent erklärt habe, er also seiner Ueberzeugung nach nicht mehr präsi¬ diren konnte, faßte er den Entschluß, sich nach seiner Hei¬ math zu begeben. Unter fingirten Pässen reisten die flüchtigen Abgeordneten gegen Linz, Strobach als kranker pensionirter Oberlieutenant, Cejka als dessen Arzt und Hawelka als ihr Be¬ diente. — Vorgestern Abends kamen sie in Budweis an, wo sie Nachtlager hielten, und von den Civil= und Militärbehörden, als diese die Ankunft des Reichstags¬ präsidenten vernommen hatten, ehrenvoll und freudig be¬ grüßt wurden. Gestern und heute wurden mehrere Wiener Studen¬ ten, die hieher gekommen sein sollen, in unserer Aula zu agitiren, verhaftet. Das Nähere ist uns noch unbekannt. Mit dem gestrigen Nachmittags= oder eigentlich Abendtrain, da er erst um halb 9 Uhr ankam, langten auch zwei von jenen Deputirten hier an, die unser Stadtverordneten¬ Collegium im Verein mit der Slowanská lipa und dem Studentenausschusse nach Wien gesandt hat, um über den Gang der dortigen Ereignisse zu berichten. Sie bestätigten alle bisher auf anderm Wege schon bekannt gewordenen Vorfälle und brachten zugleich die Neuigkeit, daß in der um 7 Uhr Abends anberaumten Reichstagssitzung am 9ten Jellachich als Landesverräther erklärt werden sollte. Doch waren bis zur Abreise der Berichterstatter um halb 7 Uhr nur erst 11 Abgeordnete (1 von der Rechten, 2 aus dem Centrum und 8 von der Linken) erschienen. Die Allarm¬ trommel ertönte — und die Sitzung mag wohl nicht zu Stande gekommen sein. Gewisse Herren in Prag sind so blind in ihrem Eifer, den 6. Oktober gegen Wien und Deutschland auf's Beste auszubeuten, daß sie sehr plump sehr ungeschickt werden. Man lese den oben angeführten Bericht über die Ulysses¬ fahrten des Patriarchen Strobach. Heißt dieß sich nicht selbst in die Nase schneiden, um seinen Nächsten zu ärgern? Erinnert es nicht an die Fabel von dem Bären und dem schlafenden Einsiedler? Jeder Unbefangene wird die merk¬ würdige Fluchtgeschichte auf den ersten Blick für eine Sa¬ tyre auf die ehrenfesten Herren Strobach, Cejka und Ha¬ welka ansehen, und doch lag dem böhmischen Blatte nichts ferner, als die Absicht, seine Helden lächerlich zu machen. Aber in dem löblichen Bestreben, Wien als ein Sodom und Gomorrha darzustellen mußte den Prager Deputirten eine Angst angedichtet werden, welche sie nicht empfunden haben und nicht empfinden konnten. Männer wie Kraus, Pillersdorf u. A., die eben nicht die größte Popularität genossen, sind ruhig hier geblieben, ohne daß ihnen ein Haar gekrümmt worden wäre. Und wir trauen den an¬ geblich „unter fingirten Pässen“ Entflohenen eben so viel Muth zu, als den Obgenannten. Sie entfernten sich nicht aus Furcht, sondern aus berühmter Taktik von Wien. Wäre die Geschichte von ihren Wanderungen im Vöslauer Hochgebirge wahr so würden die Wanderer sich gewiß geschämt haben sie weiter zu erzählen. Die Erfindung ist also kein ben trovato, Gott behüte euch vor euern Freun¬ den, ihr Herren Strobach, Cejka und Hawelka! O. D. P. Pfefferkörner. In ein Kaffeehaus in einer italienischen Stadt traten vor einiger Zeit zwei Offiziere in bürgerlicher Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Chocolade trinken wolle? Dieser antwortete er möge lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere vor die Polizei geladen und ihnen vorgehalten, sie wären Revolutionäre, Carbonari, Liberale und sie sollten nur Alles gestehen, dann würde man ihnen vielleicht das Leben schenken. Die Offiziere sahen sich einander verwundert an und betheuerten ihre Unschuld. Unschuldig?? donnerte der Polizeidirektor. Her¬ bei, Junge! Da kam ein italienischer Spion und sagte den Offizieren in's Gesicht, sie hätten im Kaffeehause von Freiheit gesprochen. Der gute Spion hatte lieber Thee gehört und das für liberté verstanden. Die Offiziere

262 wurden mit einem ernsten Verweise über ihre Unvorsichtig=, sagen: Ich trinke lieber Thee, sondern: ich trinke keit entlassen. Den andern Tag wurde bei der Parade Thee lieber.“ Der Spion bekam eine Ertragratifikation dem Offizierkorps die Parole gegeben: „Es solle bei Strafe, von zehn Dukaten. der Degradation künftig Keiner mehr in einem Kaffeehause wurden mit einem ernsten Verweise über ihre Unvorsichtig=, sagen: Ich trinke lieber Thee, sondern: ich trinke keit entlassen. Den andern Tag wurde bei der Parade Thee lieber.“ Der Spion bekam eine Ertragratifikation dem Offizierkorps die Parole gegeben: „Es solle bei Strafe, von zehn Dukaten. Neuestes. Aus Wien. Vom Redakteur dieser Blätter erhalten wir so eben von dort folgende Zeilen vom 15. Oktober: Nach vielen Abenteuern, die mir die Kürze der Zeit nicht zu schreiben erlaubt, bin ich heute (9 Uhr Vormit¬ tags), nachdem ich seit meiner Abreise in kein Bett ge¬ kommen war, in Wien angekommen und zwar mit dem Dampfschiffe. Jellachich steht in Schönbrunn. Seine ir¬ regulären Truppen und das gesammte Militär beträgt nur 30,000 Mann, davon sind die deutschen Regimenter seiner Sache nicht treu. Wien hat über 100,000 streitbare Män¬ ner, die nach dem Kampfe lechzen. — Doch werden die Wiener nicht angreifen. Durch dieses Maneuvre steht Jellachich da und weiß sich nicht zu rathen und zu helfen. Nur etwas Hülfe von Außen (die Ungarn erwar¬ ten wir stündlich) und die Ränke der Slaven und der Ca¬ marilla sind an deutschen Herzen gescheitert. Wien ist ruhig, heiter und sicher. Furchtsame, mehr aber noch Reaktionäre, flüchten sich und erfüllen das Land mit Lügen über eine Pöbelherrschaft — von der in Wien keine Spur ist. Alles ist bewaffnet — doch nur für Freiheit und Recht. Jede Person — AllesEigen¬ thum ist sicher. Auch die ungeheure Theurung ist er¬ logen und die Arbeiter, die unter Waffen stehen, bekommen täglich 25 kr. C.=M. aus der Gemeindekasse. Der Ge¬ meinderath und der Reichstag wirken trefflich. Bei Hofe spielt man das alte Spiel von Innsbruck — wird es so glücklich wie damals enden?? Aler. Jul. Schindler. Briefe vom 16. bringen die Nachricht, daß Jellachich mit seinen Truppen gegen Wiener Neustadt zurück¬ gezogen, ebenso daß Windischgrätz, der mit 15,000 Mann gegen Wien anrückte, Contreordre und den Befehl erhalten habe, gegen Prag zu marschiren, da dort ebenfalls ein Aufstand ausgebrochen ist. Die im letzten Blatte mitgetheilten Adressen sind schon an die betreffenden Korporationen abgegeben worden. Alle Wiener Blätter sprechen sich sehr anerkennend darüber aus. Aus Frankfurt. Auf Interpellation eines Abge¬ ordneten hat Reichsminister Schmerling die Erklärung abgegeben, daß der Reichsverweser und das Kabinet zur Wahrung der deutschen Interessen in Wien ein¬ schreiten werden. Aus Böhmen. Abgeordneter Hawliczek, ein Ultra¬ czeche, fordert in der Narodni nowinv, einem Prager Blatte, auf, dem Abgeordneten Borrosch, dem gefeierten Verfechter der Rechte des Volkes, das Mandat zu ent¬ ziehen. Wie wir hören soll Borrosch, im Bewußtsein seine Pflicht erfüllt zu haben, fest entschlossen sein, in keinem Falle seine Mission zurückzulegen. Paris. Louis Bonaparte, die aufgehende Sonne, fängt an sich mehr in Evidenz zu stellen, er macht Spazier¬ fahrten im offenen Wagen, grüßt in napoleonischer Weise und gibt den Armen Gold — Cavaignac und seine Freunde sind mißvergnügt über die neueste Wendung der Dinge; sie sehen die Gewalt ihren Händen entschlüpfen. Der Kaiser und sein Hofstaat verließen Schönbrunn mit vierzig Wägen, zwanzig Galla= und zwanzig Ge¬ päckewägen, doch konnte man auch in den ersteren Gepäcke bemerken. Die seit vielen Jahren in Hetzendorf in Wahn¬ sinn lebende Erzherzogin Marianne, Schwester des Kai¬ sers, wurde bei dieser zweiten Flucht ebenfalls mitgenom¬ men, während sie bei der ersten zurückgelassen wurde. An die Nationalgarden von Steyr. Kameraden! Die Garden von Wien kämpften gegen Willkürherrschaft für Recht und Freiheit des Vaterlandes! Viele von ihnen fielen ein Opfer ihres Löwenmuthes, ihrer seltenen Todesverachtung. Ihr Andenken wird glänzen im goldenen Buch der Geschichte! Aber sie hinterließen trauernde Witwen, unmündige Kinder! Diese zu unterstützen ist unsere heilige Pflicht. Ich appellire an Euer Mitgefühl! Jeder gebe nach seinen Kräften! Jede Gabe ist willkommen! Steyr am 18. Oktober 1848. Schönthan, Kommandant. Beranwerlicher Aedoiten Alex. Inl. Schindter; Aiercatur F. 25. Arming. Druck und Verlag von Haas in Steyr.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2