Zwanglose Blätter, Nr. 59, vom 7. Oktober 1848

249 That wegen vor Gericht gezogen werden. Noch schreiender stellt sich aber diese Anomalie heraus, wenn der von einem nicht klar sehenden oder irrenden Schwurgerichte freige¬ sprochene Verbrecher nachträglich in sich geht und sich frei¬ willig bei Gericht als Thäter jenes Verbrechens angibt, dessen er früher schon einmal nichtschuldig gesprochen wor¬ den ist. Auch dann dürfte er nicht einmal in Untersuchung gezogen werden. Wie absurd! Unser Reichstag ist recht unglücklich im Gesetzegeben und Gesetzeentwerfen, ohne daß sich Jemand darüber wundert. Uebrigens sollte der ganze dritte Absatz dieses Para¬ graphes besser wegbleiben, da er in Spezialitäten eingeht, die in den gesetzlichen Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren im Strafprozesse ihre Erledigung finden müssen, durchaus aber in das Staatsgrundgesetz nicht gehören. §. 8. Eine Strafe kann nur durch gerichtlichen Spruch nach einem zur Zeit des Vergehens schon bestandenen Gesetze verhängt werden. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Die Strafen der öffentlichen Arbeit, der öffentlichen Ausstellung, der körperlichen Züchtigung, der Brandmar¬ kung und der Vermögens=Einziehung dürfen nicht ange¬ wendet werden. Ich behalte mir vor meine Ansicht über die Abschaf¬ fung der Todesstrafe an einem anderen Orte gründlich zu entwickeln. Hier genüge die Bemerkung, daß überall die Majorität dafür stimmt. §. 9. Das Hausrecht ist unverletzlich. Eine Durchsuchung der Wohnung und der Papiere oder eine Beschlagnahme der letztern, kann nur über richterliche Verordnung in den vom Gesetze bestimmten Fällen und auf die vom Gesetze bestimmte Art vorgenommen werden. Die Unverletzlichkeit des Hausrechtes ist kein Hinderniß der Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten. Gegen diesen Paragraph, der ganz so ist wie die entsprechenden Paragraphe in den freiesten Verfassungen, läßt sich vom theoretischen Standpunkte nichts einwenden, es wird aber immer eine der schwierigsten Aufgaben un¬ serer künftigen Gesetzgebung bleiben, die Durchwühlung und Durchschnüffelung aller Laden und Papiere, das nächt¬ liche, wenn auch durch schriftlichen und richterlichen Befehl gebotene Eindringen in friedliche Wohnungen u. dgl. mit dem einmal ausgesprochenen Prinzipe der Unverletzlichkei des Hausrechtes in Einklang zu bringen. Das neueste preußische Gesetz in dieser Richtung verdient als eine nicht schlecht gelungene Arbeit die Berücksichtigung unserer künf¬ tigen Gesetzgeber, obwohl auch es der herbsten Härten noch genug enthält. s. 10. Das Briefgeheimniß darf nicht verletzt, und die Be¬ schlagnahme von Briefen nur auf Grund eines richterlichen Befehles und nach den Bestimmungen des Gesetzes vor¬ genommen werden. Wer wird einem Manne Dank sagen, der mit einer Hand gibt und mit der anderen nimmt? Wer wird das Sammtpfötchen nicht scheuen, das plötzlich seine verwun¬ denden Krallen hervorstreckt? Aehnlicher Betrachtungen wird sich kein denkender Mann bei Durchlesung obigen Paragraphes erwehren können. Dieser Paragraph gleicht ganz den übertünchten Gräbern, die außen rein und blank und innen voll Moders sind, und von denen irgendwo in der Bibel die Rede ist. „Das Briefgeheimniß darf nicht verletzt werden!“ Wie beruhigend, wie ehrlich klingt dieß nicht. Aber gleich darauf ist die Beschlagnahme von Brie¬ fen zulässig erklärt (nicht von eröffneten die man schon zu Hause hat sondern von den versiegelten, die für uns noch auf der Post laufen). Was nutzen da alle Befehle, alle Bestimmungen des Gesetzes. Jede Beschlagnahme eines Briefes ist ein roher Eingriff der Gewalt in die Freiheit des Gedankens — und so viel sollten uns doch unsere glorreichen Revolutionen der März= und Maitage gebracht haben, daß man frei denken darf, ohne Jemand Rechen¬ schaft darüber geben zu müssen. Denn mein Brief, so lange er versiegelt ist, ist dasselbe wie der Gedanke in meinem Kopfe, der, wenn auch vollständig ausgebildet, von mir noch nicht mit Worten ausgesprochen ist. Sowie mich Niemand zwingen darf meine Gedanken gegen jemand Anderen auszusprechen, als gegen den, dem ich ihn mit¬ theilen will, ebenso ungerecht ist es, wenn meinen Brief jemand Anderer erbricht und liest, als der an den ich ihn geschrieben habe. Der unerbrochene Brief ist nichts als ein Gedanke, den noch Niemand kennt. Bricht ihn ein Anderer auf als der an den er gerichtet ist, so stört er den freien geistigen Verkehr zweier Menschen, denen Gewissens= Rede= und Preßfreiheit, obendrein Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses garantirt ist. Ein solcher widerrechtlicher Vorgang ist aber meistens ganz zwecklos. Denn wird ein Brief aufgefangen, der einen Dritten zum Verbrechen anreizt, so unterblieb die Anreizung, da sie dem, der verleitet werden sollte, gar nicht wahrnehmbar wurde, ebenso, als wenn sich der Brief¬ schreiber vorgenommen hätte jenen Dritten mündlich zu ver¬ führen und er wäre mit ihm nicht zu sprechen gekommen. Der Brief muß, bis er durch die Hände der Post in den Händen des Adressaten ist, frei und sicher sein, wie der Gedanke, der noch unausgesprochen in mir lebt. Hat der Adressat ihn erhalten, so muß er ihn ungehindert als sein Geheimniß lesen und nachdem er ihn gelesen hat, nach Wohlgefallen aufbewahren oder vernichten können, sowie es mir frei stehen muß, mit einem Dritten mich ohne Zeugen zu besprechen und den Inhalt des Gespräches für ewig ver¬ schwiegen in meiner Brust zu behalten, ohne daß man eine Gewalt, irgend eine Folter anwenden darf, mir ihn zu entreißen. Ich gehe aber noch weiter. Auch wenn ich den Brief nicht vernichtet habe und er schon jahrelang in meiner Schreibstube liegt, darf noch immer Niemand ohne mei¬ nen Willen davon Einsicht nehmen. Denn dadurch daß ich ihn nicht vernichtete, bewies ich noch nicht, daß

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