Zwanglose Blätter, Nr. 54, vom 20. September 1848

228 auch, sehr Wiele sind gefährlich und die Gesammt¬ heit gibt durchaus keine Bürgschaft für Ordnung und Ruhe! Es ist ziemlich deutlich. Ich frage aber den Ver¬ fasser jenes Artikels: welche Erfahrung lehrte ihn, daß die Legion keine Bürgschaft gibt für Ordnung und Recht? Hundert tausend Zeugen hat er gegen sich, welche nicht dulden werden, daß man die Wächter der Freiheit unge¬ straft verläumdet. Derselbe Artikel wundert sich, daß in denselben Sep¬ tembertagen in Berlin ähnliche Auftritte wie in Wien Statt fanden, vergißt aber dabei, daß es in Potsdam eine ähn¬ liche Camarilla gibt, wie in Schönbrunn und daß ein ähnliches Ministerium wie das gegenwärtige Wiener, in Berlin viel Unheil anstiftete, das, wenn auch jenes Mi¬ nisterium dort schon gestürzt ist, doch noch immer nach¬ wirkt. Uebrigens sind wir eben so wenig, als die mini¬ sterielle Abendbeilage geneigt, die Wiener=Ereignisse des 12. und 13. September für vereinzelnte Fakten zu betrach¬ ten, sie sind innig verschmolzen mit dem Bestreben des dritten Standes in allen Ländern des westlichen Europas die Sorgfalt der Regierung auch für seine Interessen walten zu sehen, und dieses Bestreben wurde in Wien in umso unwilligeren Aeusserungen laut, als der Gewerbstand sah, daß weder das Ministerium noch der al¬ les in Angriff nehmende Reichstag einen Blick und ein Wort für seine Noth hatte. Zuletzt müssen wir dem oft wiederholten Satz des Ministeriums und seiner Adjutanten volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen: daß Freiheit ohne Achtung vor dem Gesetze sich selbst vernichte. Aber im Munde dieses Mi¬ nisteriums wird er zur leeren Frase. Warum sorgt es nicht, daß wir Gesetze bekommen. Wenn das Ministerium sich schon einmal einbildet, der Reichstag sei auch ein ge¬ setzgebender, warum bringen die Minister, wie es dann ihre Pflicht wäre nicht Gesetzesvorschläge ein? Aber abge¬ sehen von dieser Anomalie — warum trachten sie nicht, daß der Entwurf des Grundgesetzes endlich zur Berathung komme? Sind ja doch einige von ihnen selbst Abgeord¬ nete, warum erfüllen sie als solche nicht ihre Pflicht und ergreifen in dieser Frage eine heilsame Initiative? Wäre es denn nicht praktischer der Reichstag hielt wöchentlich nur 2 Sitzungen, statt 6 bis 8, die zu meist ausgefüllt werden durch Interpellationen von denen vier Fünftel zwecklos sind und das fünfte Fünftel ganz ungenü¬ gend durchgeführt wird, dann durch Verhandlungen über Fragen, zu deren Entscheidung der Reichstag nicht kom¬ petent ist. So gewänne der Verfassungsausschuß, der sich so sehr über Zeitmangel beschwert, Zeit genug sich seinem Geschäfte zu widmen. Die Abtheilungen, denen der Plan des Ausschusses mitgetheilt werden müßte, könnten sich über die einzelnen Kapiteln berathen; dadurch würde viel¬ leicht doch das Meer von Amendements abgeleitet und eine anständigere, wirksamere und weniger Zeit raubende Taktik ins Parlament gebracht. Warum macht keiner der Deputirten auf der Mini¬ sterbank oder weiter hinten derlei Voschläge? „Zeit verloren, alles verloren“ heißt ein altes Sprich¬ wort und ich fürchte seine Wahrheit wird sich — Dank dem Ministerium in dem Reichstage, den Ultras und der Kamarilla — bei uns in Kürze glänzend bewähren. Zeit verloren alles verloren. Schon ist es Herbst arme Freiheit! — und noch immer hast du keine Kleider, kein Haus. Du wirst noch froh sein müssen, in irgend einem Ministerialbureaur hinter dem Ofen überwintern zu dürfen. Aler. Jul. Schindler. Zur Geschichte des Tages Der Erzherzog Reichsverweser hat über seine Stellung zu den deutschen Landesregierungen und über die Modali¬ täten seines ämtlichen Verkehres mit ihnen die Ausfertigung eines Erlasses verfügt, der wieder Alles, nur nicht kurz, klar und einfach ist. Das Wesentlichste im ganzen Erlasse ist die Bestimmung, daß die Centralgewalt es sich vorbehält auch unmittelbar—d. i. mit Umgehung der Gesandten in Frankfurt — mit den Regierungen der deutschen Staaten ja sogar unmittelbar mit deren leitenden Organen (Lan¬ des= und Kreisregierungen? Ministerien? Militär=Ober¬ Kommanden?) in Verkehr zu treten. Die deutsche Centralgewalt findet bei den auswärti¬ gen Mächten die gehörige Anerkennung. Auch Belgien hat bereits seinen Gesandten nach Frankfurt geschickt. Alles was zu den civilisirten Nationen zählt, erkennt die Wichtigkeit und Würde eines neuen deutschen Reiches, eines einigen Deutschlands als des Mittelpunktes für Frei¬ heit und Recht. Nur ein paar deutsche Mächte, deren Throne deutsche Hände gebaut und geschützt, deren Purpur deut¬ sches Blut siegreich sterbender Unterthanen neuen Glanz verliehen hat — nur sie wenden ihr Auge voll Gift und Hohn von dem Gedanken eines einigen Deutschlands ab, verschwenden ihre Würde und Selbstständigkeit an Rußland, oder vergeuden ihr Geld, untergraben die Festigkeit ihres uralten Thrones, verwerfen die Liebe ihrer Bürger, alter mit dem Kinderbrei eingestrichener absolutistischer Ideen zu Liebe. Die deutsche Einigkeit und der daraus resultirende Triumf der Freiheit und des Rechtes ist für einzelne Für¬ sten ein solch hirnverwirrendes Schreckbild geworden, daß sie mit Hochverräthern gegen ihren eigenen Thron gemein¬ same Sache machen, der sie anzuwidern scheint, so lange ihn noch der Glanz der Freiheit umgibt. Sie legen ihr Schicksal in die Hände von Männern, die durch einen Eidbruch die Augen der Welt auf sich lenkten und heften die Entscheidung ihres Schicksales an die Fahnen von Völ¬ kern, die zur Sühne für ihre barbarischen Eingriffe in Deutschlands Selbständigkeit und Freiheit, schon mehr als Einmal Deutschlands Felder mit den Leichen ihrer Krieger düngten! Zu Ehren der Freiheit wird nächster Tage in Schön¬ brunn, ein großes Familienfest abgehalten. Onkel Ludwig ist schon eingetroffen, Jellachich ist bereits über die Drau

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