Zwanglose Blätter, Nr. 52, vom 13. September 1848

220 geschah in genügender Weise. „Das Ministerium verstehe unter Vereinbarung, die auf freier Selbstbestimmung beru¬ hende Annahme der von dem konstituirenden Reichs¬ tage festgestellte Verfassungsurkunde durch den Monarchen.“ Vereinbarung ist mithin im Sinne der Minister nichts Anderes als der von uns so oft definirte Verfas¬ sungsvertrag Außerdem darf nicht übersehen werden, daß das Mi¬ nisterium in dieser Antwort den Reichstag wieder aus¬ schließlich einen blos konstituirenden nennt. In der Antwort auf die zweite Frage ist aber der arme Zwitter¬ Reichstag schon wieder — obwohl ihm alle Vollmacht dazu fehlt — ein gesetzgebender, oder genügt ihm dazu die Vollmacht, die ihm der Hr. Justizminister ausgestellt hat?! Das Ministerium verspricht in dieser Antwort die speziel¬ len Gesetzes=Beschlüsse der Kammer ehestens dem Kaiser zur Sanktion zu unterbreiten, ohne welche sie ihm nicht giltig erscheinen. Wir müssen uns aber dahin aussprechen, daß sie uns auch mit der Sank¬ tion des Kaisers nur in der Form und Eigen¬ schaft provisorischer Gesetze, die der Kaiser über Antrag des Ministeriums durch dieses erläßt, bis dahin giltig erscheinen, als die Verfassung zu Stande gebracht und die Fak¬ toren der gesetzgebenden Gewalt bestimmt sind, denen einzig und allein das Recht zu¬ stehen kann dem konstitutionellen Oesterreich definitive Gesetze zu geben. Der konstituirende Reichstag vergeudet, wenn er sich mit der zeitraubenden Berathung spezieller Gesetze befaßt, kurz wenn er an irgend etwas anderen als der Feststellung der Verfassungsurkunde arbeitet, nur die kostbare Zeit und das kostbare Geld. Wann — in welch grauer nebelhafter Zeitferne wird er seine Aufgabe lösen — bis zu deren Lö¬ sung Kraft, Blüthe, Friede und Freiheit zwischen Leben und Tod schweben? Die jetzt so ganz zur Unzeit angekün¬ digte Anklage des Ministerium Pillersdorff durch den sonst vortrefflichen Sierakovsky bedroht uns wieder mit bedeu¬ tendem Zeitverlust. Und wozu soll sie jetzt führen! Wo ist der kompetente Gerichtshof für solche Staatsanklagen? Oder will sich der konstituirende Reichstag etwa auch als provisorischer Gerichtshof organisiren? Will er nicht viel¬ leicht in Zukunft auch die Preßprozesse entscheiden? In was Alles will er sich denn noch mischen? Figaro la! Figaro qua! Durch die Antwort auf die dritte Frage Borroschs übernahmen die Minister die volle Verantwortlichkeit, nach dem Begriffe den konstitutionellen Staaten im Allgemeiner mit diesem Ausdruck verbinden, für ihre Amtsführung. Es gibt aber gewisse Handlungen die man nie verantworten, über die man aber auch nie zur Verantwortung gezogen werden kann. Von dieser Sorte ist die Erklärung der Mi¬ nister, der Reichstag sei zugleich gesetzgebend. Die mora¬ lische Einwirkung dieser Erklärung auf die in ihren Be¬ griffen so unklare Kammer ist unverkennbar, ebenso der Schade dieses Irrthums der Kammer, der schon zur Genüge nachgewiesen ist. Eines vermißt man allgemein mit Leidwesen in der Rede der Minister: die Wiederholung des Ausdruckes: de¬ mokratisch=konstitutionelle Monarchie, den das Ministerium in seinem Programm einst mit gesperr¬ ten Lettern drucken ließ. Freilich wehte damals noch die Blüthenduft=schwangere, erfrischende Mailuft, in der nach Hei¬ nes Ausspruch die trockenste Filisterseele sentimental wird damals waren selbst Ministerseelen demokratisch gesinnt. Jetzt haben wir kühle, welkende Septembertage. Der Him¬ mel ist grau, die starke Sonne des Monats Mai ist matt geworden — es wintert ein. Die Politik, die im Früh¬ linge Blousen trug und Hand in Hand mit dem Volke durch die Gassen, Felder und Gärten strich, verläßt jetzt Strassen und Platz und zieht sich zurück in die traulichen alten Bureaur, in denen man so warm sitzt. Prrrr¬ Aler. Jul. Schindler. Toms friert! Ministerielle Schildereien. Es ist jetzt eine schlimme Zeit für Ministerien, sie fallen wie draußen die welken Blätter von den Bäumen, sie fallen weil die welken Blätter fallen von den Bäumen und noch kein Haus gebaut ist für die Freiheit. Das Mi¬ nisterium in Berlin ist gestürzt, das deutsche (?) Ministe¬ rium in Frankfurt ist gestürzt, weil es den Sieg des Vol¬ kes den Interessen der Höfe geopfert hat und die deutschen Truppen aus Schleswig=Holstein heim rief, damit der edle Dänenkönig nach wie vor die Wolle hole von den fetten Marschen! Gagern! parfümirter Hagen! endlich hast du deine Chriemhild gefunden. Sie hat dich zu Boden geschla¬ gen mit dem Schwerte ihres Gemales, des jungen Sieg¬ fried: Freiheit! Da liegst du nun, herzlosen Königen zu Lieb ein Spott des Volkes — ein Ministerfrak ist dein scurriles Bahrtuch — warum wolltest du nicht leben dem Volke zu Lieb — damit herzlose Könige zum Gespötte geworden wä¬ ren? Das Volk erschlägt mit seiner Linken seine Feinde, gefesselt treibt sie das Schicksal die Strasse hinab weit vor den Triumf=Wagen der Edlen, deren Gespann wir schon den Staub aufwirbeln sehen mit siebenmal gesegnetem Hufe! Ich weiß in Wien ein altväterisches unheimliches Zim¬ mer, der Leichengeruch des dahingeschiedenen Staatsrathes klebt noch in den damastenen Gardinen. Dort sitzen an einer Tafel sieben Männer, höchst ungleich an Jahren, höchst ungleich an Erfahrungen, eben so ungleich an Ei¬ genschaften des Geistes und des Herzens. Obenan ein Greis. seine Begriffe von Völkerrecht und Fürstenrecht gehören ei¬ ner verronnenen Zeit, der Aberglaube einer vergessenen Ju¬ gend bleibt dem stockenden Herzen ein theurer Traum. Der träumende Greis sieht grüne Bäume, wo die Jugend kah¬ len Aesten theilnahmslos den Rücken wendet; er bewahrt noch immer theure Götterbilder — und die Altäre sind längst schon zerschlagen, auf die er sie noch stellen will. Weiter — ein unfreundlicher Kriegsmann, grau, or¬ dengeschmückt, zürnend dem Sturm der die Stammbäume brach. Er hat das Schlimme aus alter Zeit nicht verges¬ sen, das Gute der Neuen nicht erlernen können — und ohne Beides kann er mit dem Verdienste seiner Vergangen¬ heit uns nicht unterstützen.

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