Da brach der 26. Mai herein. Die Wiener wurden abermals aus dem Schlafe geschrekt durch einen unheim= lichen Morgengruß: die Universität ist cernirt, hieß es, und rüstet sich. Wien rieb dießmal seine Augen klar und rein, sprang auf, schürzte wieder sein Kleid, ging wieder an die Tagesarbeit. Sie war eine andere! Keine Weh= muth mehr, kein Staunen, auch kein Hohn, Entschlossenheit bis auf den letzten Mann. Nur wenige Feige und Ge= sinnungslose verließen die Stadt. — Die gesperrten Thore, die schlagfertige Garnison, die aufgefahrenen Kanonen, nichts schreckte; heute Dir, morgen mir, sagte der Bürger und eilte ungerufen auf seinen Sammelplatz, in langen Zügen mit Spaten und Haken zogen die Arbeiter unauf= gefordert der bedrängten Stadt zu Hilfe, rings türmten sich die Barrikaden auf — das Haus Habsburg erlitt einen gewaltigen Riß. Der Riß war Ihr Werk, Frau Erzherzogin. Ihnen wollte man die akademische Legion als Sühnopfer schlachten, man ergriff das törichste der Mit= tel. Gegen den gelähmten Löwen den Todesstoß führen, hieß ihn aufscheuchen zu neuem Leben, hieß allen Beistand hervorrufen, den stets der Verfolgte findet. Drachenzähne säeten ihre Schergen und eine unerwartete Saat ging rie= sengroß auf in dem Siege des Volkes. Darüber haben wir uns nicht zu beklagen, allein der Erfolg ist nicht immer der Stempel der That und wie, wenn es uns, die wir der Freiheit Stärke und Gedeihen wünschen durch das Vertrauen nach oben und unten, die wir festhalten an dem angestammten Kaiserhause, wenn es uns schmerzte, daß ein Glied dieses Hauses selbst die Fa= kel der Zwietracht schwang? Der künftige Thron Ihres Sohnes war der einzige, der nicht wankte weit umher, den die Treue und Anhäng= lichkeit der Völker an ihren Fürsten stüzte — begreifen Sie nicht Frau Erzherzogin, daß das in unserer Zeit mehr heißt als sonst ein Königreich von Gottes Gnaden? Und gerade sie, vom bösen Wahne getrieben, mußten daran rüt= teln? Können Sie das verantworten vor sich selbst, vor Ihrer Familie, vor dem Lande? Ists nicht so? Geschieht Ihnen Unrecht, wenn man die Schuld in Ihre fürstlichen Schuhe schiebt? Man sprach so lange von der Kamarilla, man kannte die Fäden, man suchte umsonst die Hand, die sie hält. Da streckten Sie sie den Männern entgegen, die nochmals gezogen kamen aus allen Schichten der Gesell= schaft, in den Farben aller Parteien, vom Hofmanne bis zum Demokraten, mit dem Ausdrucke der aufrichtigsten Huldigung Wiens. Hohe Frau, vor 24 Jahren sah ich Sie einziehen in die Residenz, strahlend von Jugend und Schönheit. Wie jauchzte Ihnen die Bevölkerung zu, welche Hoffnungen knüpften sich an Ihre Person! Ihr Bild von damals blieb mir tief eingeprägt, es wurde mit mir groß und reif, ich hegte und pflegte es, ich umgab es mit der Aureole von Oesterreichs Zukunft. Wie sah ich Sie jetzt wieder! Die schönen Züge verzerrt, das Auge stechend, die Lippen bleich, mit dem Fuße bebend, so empfingen Sie uns zu Inns= bruck. Kein Wort der Bitte, kein Wort des Ernstes fand Eingang. Ihre eigenen höchsten Interessen, die sich an die Rückkehr knüpfen, berührten wir, Sie hingegen mein= ten, ein jeder müsse seiner Ueberzeugung folgen und das Landvolk bleibe Ihnen immer ein kräftiger Schutz gegen das anmaßende Wien, da schauderten wir und ließen die Schrecken des Bürgerkrieges durchblicken: Sie zuckten mit den Achseln — unglückliche Frau, wohin hat Sie Leiden= schaft und böse Einflüsterung gebracht! Sie werden sich und Ihren Gemal unmöglich machen, dringen Sie wenig= stens Ihre Ueberzeugung nicht auch Ihrem Sohne auf. Ich mahne hier als Legitimist, weniger im Namen des Volkes. Völker gewöhnen sich gar leicht an eine neue Ordnung der Dinge. Lassen Sie mich die nakte Wahrheit sagen, Innsbruk fängt an aus dem Gedächtnisse zu kom= men und die Gemüter wenden sich mit vollem Herzen Dem zu, der von der Liebe und dem Vertrauen des gan= zen Volkes getragen wird. Der einfache bürgerliche Prinz war nie Ihr Freund, der starre Ludwig war's; jetzt zieht Er ein in die Burg seiner Ahnen unter dem Jubel Wiens, unter der Begeiste= rung von vierzig Millionen Deutschen. Sie vermögen nicht miteinzustimmen, Sie eine deutsche Frau, und als die gutkaiserlichen Innsbruker dem deutschen Reichsverwesen die Ehre eines Fackelzuges gaben, erschienen die Majestä= ten, erschien Franz Karl auf dem Balkone, nur Sie mit Ihren Kindern fehlten. Und doch müssen Sie auf den verkannten, verfolgten Johann als auf Ihren Rettungsanker sehen. Täuschen Sie sich nicht länger. Ihres Heiles wegen, um all des Unheils willen, das zu befürchten steht, beschwöre ich Sie, Frau Erzherzogin, lassen Sie ab von ihrem Starrsinne, beugen Sie sich vor der unvermeidlichen Volksberechtigung lenken Sie ein — sonst wird auch in Ihr Ohr der Für= stenfluch unseres Jahres sein eisernes „zu spät“ rufen. Nehmen Sie sich in Acht, daß die Augen nicht auf dem jungen Aste haften bleiben, der emporblüht an dem Habsburgerstamme, daß er nicht zur Krone sich entfalte, wenn die andern morsch zusammenbrechen. Dieses Astes Keim wurzelt im Volke, aus der Alpe frischem Blute saugt er seine Nahrung, wie leicht könnte ihn ein Windzug von seiner Berge Höhen auf die des Lebens tragen! Sie la= chen dazu? Sie denken an Ihre Bauern, vielleicht an die Czechen und Kroaten. Trauen Sie nicht zu sehr, der Bür= gerkrieg wäre Ihr Verderben und könnten Sie ihn im Ernste aufflammen sehen aus wilder Glut? Nein und nim= mermehr. Jedes Weib hat ein Herz, Sie sollten keines haben? Müßten Sie nicht fürchten, daß dann in der ern= sten letzten Lebensstunde Ihr Gewissen stärker zucken würde, als neulich Ihre Achseln? Darum, Frau Erzherzogin, lenken Sie ein, Noch ist's Zeit, Noch trat das Gift nicht über diese Lippen! Weisen Sie Ihrem Sohne den Platz an, der ihn mit der Vergangenheit ausgesöhnt und ihm die Zukunft sichert — er ist an der Seite Johanns. Unser gütiger
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