Zwanglose Blätter Oberösterreich. Nro. Steyr am 9. August 1848. 12. Hat das Genie nur eine, die Gemeinheit tausend Seelen? L. A. Frankl. Skizzen aus dem Reichstage. (Beleuchtung. Taktik. Der Unterstaatssekretär Mayer. Die Ab= geordneten Brestel und Umlaufft). „Schützender Genius meines Vaterlandes, füge es, daß der Reichstag im gleichen Grade erleuchtet sei, als er beleuchtet ist!“ Dieser Wunsch stieg aus der Tiefe meines Herzens empor als ich an einem schönen Sommerabende das erste Mal zu Wien in dem Reichstagssaal trat und die weiten Kränze ruhiger Gasflammen aus den von Gold und Chri= stall slimmernden Riesenluster sah, die eine allzu bunte Versammlung mit ihrem Lichte überströmen. Außer diesen schönen Flammenkränzen leuchten rings über den Häuptern des Präsidenten, der Schriftführer und der Abgeordneten einzelne klare Flammen — nicht ferne liegt der Vergleich mit den feurigen Zungen, die am Pfingstfeste der Herr herabgesendet über die Häupter seiner Abgeordneten: der Apostel. Es ähnelt hier auch noch manches der Beschrei= bung, die Lucas im zweiten Capitel seiner Geschichte der Apostel entwirft. Man hört hier „in mancherlei Zungen reden“wenn sie auch nicht alle „voll des heiligen Geistes“ sind. „Juden und Judengenossen, Kreter und Araber“ und „das Volk in den Logen und Gallerien“ wundert sich un= tereinander und spricht: „Was will das werden!“ Einen vermißte ich in dem Bilde; den Petrus, den Fels der Freiheit, der da aufstünde und verkündigte die Worte des Herrn: „Ich werde von meinem Geiste ausgießen auf al= les Fleisch. Eure Söhne werden Erscheinungen sehen, und euere Aeltesten werden Träume träumen.“ Noch ist der Geist der wahren Freiheit nicht ausge= gossen über alles Fleisch, aber unsere Söhne auf der Lin= ken haben schon Erscheinungen von der Republik und un= sere Aeltesten auf der Rechten träumen Träume von einem allgemeinen Slavenreiche. Ich habe die Versammlung eine nur allzubunte ge= nannt und finde bei vorsichtiger Ueberlegung diesen Aus= druck nicht übertrieben. Hier der hochnasige Uebermuth des aus besserem Teige gekneteten Aristokraten, hier die reingebürstete, schwarzgekleidete Staatsweisheit des unfehl= baren Hrn. Hofrathes, hier lauern mit scharfen, schlauen Aeuglein schwarze Priester, dort schlafen stämmige deutsche Landleute bis der Posaunenstoß „Zehentablösung“ sie weckt. Hier scharren wie Kampfhähne die unermüdlichen Advokaten der Czechen, dort steken die Barrikadenmänner der äußersten Linken die Köpfe zusammen: Blousen, Fraks, Zilinder und deutsche Hüte, dazwischen die Zwilch und Lo= denkittel der halbwilden polnischen Bauern, deren langes Haar ungepflegt in den braunen Nacken hinabrollt. Ach wie mangelhaft erscheint mir meine Schilderung, wenn ich in der Erinnerung die Bänke des Reichstages noch einmal überblicke. Wie viele Züge fehlen noch zu einem vollständigen Bilde. Die Fanatiker der Ruhe mit ihren dicken Bäuchen und den weiten Röcken darüber, dann die etlichen Bureaukraten, mit gallsüchtigen Blicken herumste= chend. Nur eine ruhige Hand kann einen Sturm malen und meine Hand zittert, wenn ich des Reichstags gedenke. Auch der ganze Reichstag hat keinen Ruhepunkt; Vor= und Rückschritt, Furcht und Hoffnung, Bewußtsein und Wahnsinn, Ueberzeugung und Nachbeterei, Nationalhaß und Menschenliebe, Aufopferung und Eigennutz lassen die Wage nie in jenen Zustand der Ruhe zurückkehren, daß man gerechtes Gewicht damit messen könne. Ich gebe da= her von flüchtigen Augenblicken, die ich in der Kammer verlebte, flüchtig gezeichnete Bilder — Umrisse bestimmt und wahr. So oft ich in der Kammer war, habe ich nie einen befriedigenden Eindruck daraus mit nach Hause genommen. Ich betrat sie immer ängstlich und verließ sie mit Beklom= menheit. Den peinlichsten Eindruck machte es mir, wenn ich — ach so häufig — bemerkte, daß ein und dieselben Abgeordneten bei Fragen bejahend stimmten, die im Prin= zipe verschieden waren, wie Tag und Nacht. Man weiß in solchen Augenblicken nicht soll man zuerst nach seinem
Kopfe oder nach seiner Brieftasche greifen — durch solche Leute ist wohl Alles schlimm gesichert, was man zu ge= nießen hat. Von parlamentarischer Taktik hat unsere Linke wie es scheint, noch gar keinen Begriff. Mehr Spuren davon zeigen sich auf der Rechten, besonders auf den Bänken der Slaven. Auf der Linken drängt sich Mann auf Mann aus Wort, die stärksten Gründe, den entschiedensten Ein= druck dessen — der vorher sprach, schwächt ein nichtssagender Plauderer, der eine halbe Stunde lang spricht, um auch als Sprecher in der Zeitung zu erscheinen, auf die unver= zeihlichste Weise; gewährt so der Gegenpartei Zeit zur Samm= lung, reicht ihr durch sein unbegründetes und unlogisches Geschwätz Waffe um Waffe, gibt ihr Gelegenheit zu glänzenden Ausfällen und die leider nur allzugroße träge Masse der Kammer wird dorthin gerissen, wohin sie nie kommen wollte. So leidet das allgemeine Wohl, die Feinde frohloken und die Bundesgenossen werden entmuthiget. Durch gedankenarme und zweckwidrige Debatten werden kostbare Stunden verdehnt, endlich wird aus Ermüdung abgestimmt und die Hälfte der Stimmenden weiß oft nicht um was es sich handelt. Die Abgeordneten sprechen in der Regel stehend von ihrem Platze, nur die Berichterstatter besteigen die Tribune. Während der letzten Woche, in der ich die Kammer be= suchte, nahm sie der Berichterstatter der Geschäftsordnung Unterstaatssekretär Maier mit vieler Grazie ein. Maier ist ein kleines putziges Männchen, das auf hohen Absätzen steht und sich recht hoch empor streckt. Er erscheint meist im eleganten schwarzen Kleide, sein pechschwarzes Haar und sein dichter Backenbart sind immer wohl gekräuselt und die Jugendröthe der Unerfahrenheit liegt auf seinen Wangen. Der Mann weiß aber seinem Amte mit großer Würde vorzustehen. Zuerst liest er den Paragraf, der berathen werden soll. Dann setzt er sich mit einem selbst zufriede= nen Lächeln nieder, das der Kammer zu verstehen gibt „der ganze schöne Paragraf, den ich da gelesen habe, ist eigent= lich mein Werk.“ Während die Kammer Amendements stellt, debattirt udgl. sitzt er ruhig und freundlich lächelnd oben, wie ein Schullehrer, dem seine Schüler die Lektionen aufsagen, nikt mit dem Haupte, oder schüttelt es nach Maaß des Verdienstes. Nach geschlossener Debatte ergreift er wieder das Wort mit einem Lächeln, das etwa sagen will: Nun Kinderchen habt ihr eine Freude gehabt, jetzt will ich Euch einmal etwas Gescheidtes sagen. All eure Entwürfe sind keinen Kreuzer werth, nur mein Entwurf ist der richtige. So muß er sein, weil — er so sein muß, das sage ich zu euch: der Unterstaatssekretär Maier und ich müßen doch gescheidter sein als ihr Alle — denn sonst wäret ihr alle Unterstaatssekretäre und ich wäre das was ihr jetzt seid: simple Abgeordnete!“ Während er so geist= reich argumentirt hält er zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger seiner Linken den Bleistift und agirt damit so zierlich wie Meister Bakel mit seinem Stäbchen und er überzeugt die Kammrr immer. Ich bin froh, daß ich die= sen Mann in der Kammer habe, er wird das Vaterland retten — fragt ihn nur selbst. Der Abgeordnete Brestel ist lange nicht so hübsch und so elegant wie der Unterstaatssekretär Maier. Bre= stels Bart und Haare hängen schlicht herab, der Schnitt seines Frakes ist vom vorigen Jahre, er spricht das deutsche nicht rein aus, noch viel weniger die französischen Worte, auch ist er durchaus nicht hübsch und Grazie sehlt allen seinen Bewegungen. Wenn er spricht, so bewegt er takt= mäßig dazu die rechte Hand, als ob er aus einem Brun= nen pumpe. Wäre Brestels Sprache und Erscheinung so edel und gebildet, als seine Einsicht tief, sein Wille red= lich, sein Muth unerschütterlich und seine Schlüsse richtig sind, dann wäre seine Wirkung in der Kammer bedeutend. Die Natur hat aber an äußeren Vorzügen so viel an den Hrn. Unterstaatssekretär Maier verschwendet, daß sich Bre= stel mit seinen inneren Vorzügen begnügen muß. Er war es, der in jener denkwürdigen Sitzung wegen des Kaisers Rückkehr behauptete: „der Kaiser müsse nach Wien um dort seine Pflichten zu erfüllen.“ Herr Unterstaatssekretär Maier salutirte ihn für diese Rede mit seinem welthistori= schen Bleistifte und lieferte zum Beweise, wie wohl er ihn verstanden eine hofrekursähnliche Adresse, welche die Kam= mer alsogleich in der Stille zur Erde bestattete. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit lebhaft an den Abgeordneten Umlaufft, dessen Adressentwurf, obwohl er leider nicht viel besser war, als der des Hrn. Unterstaats= sekretär Mayer, von der abgekühlten Kammer angenom= men worden ist. Umlaufft spricht bei jeder Gelegenheit und immer vieles und immer wenig Geistreiches. Den Mann sollte man einmal durch ein paar Sitzungen allein reden lassen, da flösse seine Beredsamkeit gänzlich aus, wie das Wasser aus einem Eimer und die Kammer hätte Ruhe für immer. Umlaufft war früher Censor und sitzt jetzt auf der äußersten Linken — doch hat man ihm — wie ich höre, seine Censorstelle reservirt. Sobald die italienische Armee disponibel ist wird Umlaufft wieder auf seinem Cen= sorstuhl gesetzt und dann streicht er das Jahr 1848 aus der Geschichte sammt sich selbst und seinen eigenen Parla= mentsreden und setzt seiner parlamentarischen Wirksamkeit ein schwarzes Kreuz als Denkmal, umso lieber, da die undank= bare Mit= und Nachwelt zu einen ähnlichen Act der Dank= barkeit sich nicht veranlaßt fühlen wird. (Fortsetzung folgt). An die Frau Erzherzogin Sofie. Frau Erzherzogin! Als die Wiener am 18. Mai 1848 erwachten, traf sie zum Morgengruße die Nachricht: Der Hof sei fort. Staunen, Beklommenheit, Wehmuth bemächtigte sich der Guten, Hohn und Schadenfreude lagerte in den in= nersten Falten der Bösen, in einem Gefühle aber verein= ten sich Alle, in dem der Anhänglichkeit an die Dinastie. Haben Sie von anderen Manifestationen gehört, so stan= den diese zu vereinzelt da, zerstoben zu sehr in Nichts, um eine Erwähnung zu verdienen. Am Hoflager freilich wurde
dieser dunkle Punkt im lichten Sonnenmeere unsere Erge= benheit mikroskopisch vorgewiesen, mußte ja die Hand schnell= möglichst das Feuer schüren, die es nach dem 15. Mai mordbrennerischer Weise angefacht hatte. Wien hatte einen schweren Tag vor sich, eine drü= kende Atmosphäre beengte die Gemüter, Einer frug den Andern: Wo hinaus? — Doch Wien rieb seine Stirne, wie mans beim Erwachen thut nach bösem Traume, schürzte sein Kleid und ging zur Tagesarbeit. Wien handelte. Die Nationalgarde eilte auf ihre Sammelplätze und ver= ließ sie durch 24 Stunden nicht, das Militär wurde mit Jubel begrüßt, Studenten bewachten die Burg, Arretirun= gen erfolgten vom Volke auf die leifeste Verdächtigung hin, das Zentralkomite löste sich auf, der Schreckvogel, die aka= demische Legion war moralisch vernichtet und die ganze be= waffnete Macht unterwarf sich dem Militärkommandanten Graf Auersperg; es war ein freiwilliger Belagerungszu= stand, den sich Wien als Asche der Reue auf den Scheitel drückte, während zahlreiche Deputirte dem Kaiser nacheilten die Rückkehr zu erflehen. Wenige blieben nüchtern und zu den Nüchternen ge= höre leider auch ich. Wir, die wir die stürmende Form des 15. Mai mißbilligten, wir konnten auch keinen Gefal= len an dem kriechenden Wesen des heutigen Tages finden. Die Reaktion, riefen wir uns zu, hat ihre letzte Karte aus= gespielt und Trumpf gemacht! Warum, Frau Erzherzogin, hielten Sie damals nicht am Fuße des Riederberges und warteten die Ereignisse ab? Schnell zurückgekehrt hätten Sie wolgefällig die schwarz= gelbe Tünche ausgebreitet gesehen über die in Demuth zer= flossene Residenz, und siegreich wären Sie über unsere ge= beugten Naken gezogen. — Doch nein, anders stand es im Buche des Geschikes, in dem nur Der blättert, der die Haare zählt auf unserem Haupte, der dem Sperlinge seine Nahrung gibt, der Throne aufbaut und Throne stürzt. Nicht Ihr Troz, nicht der Uebermuth Ihrer Umgebung ließ diesen Wendepunkt versäumen, der Geist der Zeit wollte es nicht, daß die kaum erblühte Freiheit geknikt werde durch den kalten Hauch des absoluten Frostes. (Forts. folgt). Neustes. Innsbruck, 4. August. Gestern Abends verkün= deten uns Kaufmannsbriefe, daß für die Sendung ihrer Waaren bereits wieder der Weg über Verona gehe; Ap= pelationsrath G. hat einen Brief aus Mailand erhalten, der sagte: daß eine Revolution in der Stadt selbst, wobei die österreichische Partei siegte, den Ausschlag gegeben. Nobili wollten sich aus der Stadt entfernen, und dieß em= pörte das betrogene Volk. Nach einem blutigen Kampfe wurden die ehemals verhöhnten Bilder des Kaisers und Radetzkys in Triumpf unter Vivats durch die Stadt ge= getragen und augenblicklich 14 Millionen zusammen= geschossen um sie als Kriegssteuer dem anrückenden Feld= herrn entgegen zu tragen. Heute, vor wenigen Stunden kam Gr. Crenville zu= rück, mit der Bestätigung, daß unsere Truppen bereits in Mailand eingezogen wären; daß aber die Forderungen Ra= detzkys natürlich größere seien. Gr. Crenville hatte den ehrenvollen Auftrag gehabt, die Dekoration, die der Kaiser sich selbst von der Brust nahm, Radetzky persönlich zu über= geben, der alte Feldherr empfing sie mit Thränen und bat Crenville ihn zu begleiten, um dann als seinen Dank, die Eroberung Mailands den Kaiser mittheilen zu können, wie es nun heute geschah. Pfefferkörner. Es heißt der Exgouvernär von Tirol Graf Brandis sei an das Kreuz des Leopoldordens — doch wir verspre= chen uns! dieses sei an ihn gehängt worden. Auf der Jesuiten=freundlichen dunklen Brust müssen sich die lichten Diamanten vortrefflich ausnehmen. Soll denn wirklich so viel Lug und Trug in der Burg zu Innsbruk spielen, daß einen abgesetzten Beamten, solche Zeichen „allerhöchster Gnade“ ertheilt werden! Der Banus Jellachich heißt jetzt allgemein ein gro= ßer Mann. Vor wenig Wochen begünstigte er den Sepa= ratismus der Südslaven und verweigerte dem von Könige ernannten ungarischen Ministerium den Gehorsam und griff gegen die verfassungsmäßige Gewalt zu den Waffen. Der Kaiser erklärte ihn dafür öffentlich für einen Hochverräther gleich darauf reißte Jellachich — seine Schaaren in Waffen hinter sich lassend — nach Innsbruck wo er auf das Freundlichste empfangen wurde. Da uns unser Hof und leider auch unsere Regierung über diese wunderbaren Ver= zweigungen eines menschlichen Geschickes im Dunkel läßt, wäre es die Pflicht des Banus als Ehrenmann öffentlich uns zu erklären aus welchen Beweggründen er handelte, was seine Absichten waren und jetzt sind. Der Magistrat und der Bürgerausschußzu Steyr haben den Beschluß gefaßt, in Zukunft die Bestimmung des Brod= satzes mit Zuziehung der erforderlichen Organe zweimal des Monates und zwar öffentlich vorzunehmen. Bravo! Der Magistrat hat es aber für überflüssig erachtet diese Verfügung durch die Presse allgemein bekannt machen zu lassen, sondern hat nur hie und da einen klein geschriebe= nen Zettel an die Wände kleben lassen, aus dem sich
Alle, die gute Augen haben, verständigen können. Der Magistrat hat es nicht nöthig mit guten Verfügungen so geheim zu thun — schon ihre Seltenheit verdient, daß et= was Geld darauf spendirt werde. In Wien verbreitete sich in den letzten Tagen das Gerücht, bei Linz werde viel Militär zusammengezogen und man wolle dort die Donau und so für Wien die Zufuhr sperren. Laut Protokoll des Sicherheitsausschus= ses in Wien zeigte dort ein Linzer Bürger an, daß die Befestigungsthürme um Linz mit Geschütz Munition und Mannschaft immer zahlreicher besetzt werden. In Linz sitzt ja auch ein Sicherheitsausschuß — warum über= zeugt er sich nicht ob diese Gerüchte wahr sind! Meint er es liege außer seiner Pflicht die Gemüther zu beruhigen? Im Reichstage wird beantragt werden, sämmtliche Gou= vernements aufzuheben, das Reich im Departements ab= zutheilen und so die alte kostspielige Verwaltungsmethode mit 8 Vicekaiser abzuschaffen. Da verlieren wir aber unsern fürtrefflichen Landespräsidenten Skrbensky! (Ober= österreich weint!) Briefe. Wien, am 5. August 1848. Hier fehlt es mir, lieber Freund, eben so sehr an Zeit als an Ruhe des Gemüthes um dir von dem politischen und socialen Zustande Wiens von einem genügend= allge= meinen und hohen Standpunkte ein erschöpfendes Bild zu entwerfen. Diese dankbare Arbeit soll die Aufgabe der ersten Stunden nach meiner Rückkehr in das geliebte Steyr sein. Was ich treibe? Ich gehe von der Kammer zu den Ministern, von den Ministern in die Kammer, von Klubb zu Klubb, von einer Macht, die meinem Vaterlande durch Intelligenz und Einfluß nützen kann zur Andern — ach und mirgend fand ich eine Spur von dem Dasein und dem Wirken des Abgeordneten der uns Steyrer vertritt — nur in der Kam= mer sah ich ihn sitzen. Er sieht sehr blühend und zu= frieden aus und verhält sich so ruhig wie es Metternich nur von seinen Bureaukraten wünschen kann. Seine Wahl hat der Reichstag, obwohl der Abgeordnete Paul lebhaft dagegen sprach — für giltig erklärt, ohne, hört! — in die Wahlprotokolle der Urwahlen und die dazugehörigen Stimmzettel, die objektiv als verfälscht erschei= nen — eine Einsicht genommen zu haben. Uebrigens ist meinen Mitbürgern eine neue weitere 4 wöchent= liche Protestfrist zugestanden. Jellachich, der vor 3 Tagen abreiste, ohne daß eine Vereinigung mit Ungarn zu Stande gebracht worden wäre be= kam von den anwesenden Kroaten und dem Militär eine Nachtmusik mit Fackelzug und es machte einen sonderbaren Eindruck, als ein Stabbsoffizier in voller Uniform „dem großen Mann“ eine Lobrede hielt, „dem großen Mann“ der durch ein kaiserliches Res= kript ddo. Innsbruk und zwar mit Recht als Hoch= verräther erklärt ist. So spielt man noch immer mit dem Volke und jedermann nennt die zarten Wittelsbacher Händchen, welche die schwarzgelben Fäden dieses Spie= les lenken. Das Volk ist aber durchaus nicht gesonnen mit sich spielen zu lassen, der Reichstag ebensowenig (von seiner Spreu rede ich hier nicht), das Verhalten beider, wenn der Kaiser der Forderung der an ihn entsendeten Deputation nicht Folge leistet, wird meinen Ausspruch be= weisen. Es gibt hier viele Parteien aber keine — mit Aus= name weniger Hof= und Bureau=Schranzen — ist von der andern so weit verschieden, daß nicht alle einmüthig rufen: „der Kaiser muß zurück, widrigenfalls — ! Die republikanischen Wühler sind hier unermüdlich. Gestern rief man auf offener Strasse ein Flugblatt aus: „Was müssen wir thun, wenn der Kaiser nicht kommen will?“ und „Oesterreich als Re —! das Andere dürfen wir nicht sagen. „Gott sei Dank, für den Augenblick hat die Republik in Wien zu wenig Sympathie, um sich länger als im schlimmsten Falle wochenlang halten zu können. Von Thronfolgern spricht man desto lauter. An welche Abgründe führt uns treue Oesterreicher der blinde Trotz von Leuten, deren Sonne gesunken, deren Tag zu Ende ist. Katzenmusiken sind hier an der Tagesordnung. Die großartigste war vorgestern beim Pfarrer in der Alservor= stadt. Er wollte nämlich einen armen Studenten, der ge= storben war, keine Grabglocke läuten lassen. Das Volk bemächtigte sich der Kirchenthürme und läutete mit allen Glocken die in den Stühlen hingen den armen Burschen zu Grabe. Abends erhielt der Pfarrer sein Conzert. Man wünscht auch hier herzlich, daß diese im höchsten Grade aufregenden Demonstrationen ihr Ende nehmen möchten man wirft aber nicht ungerechter Weise einen Groll auf jene, die sie ausführen, sondern auf jene Männer, die aus Eigennutz, Eitelkeit oder Uebermuth dem einmal fest ausgesprochenen Willen des Volkes der Nothwendigkeit des Tages, dem erfreulichen Lichte der Neuzeit, dem Wohle des eigenen Vaterlandes mit frecher Stirne entgegen treten. Die Reaktion wirft sich jetzt auf die Judenverfol= gung, da Goldmark und Fischhoff, 2 Israeliten! begei= sterte Wortführer der Freiheit sind. Gestern wurde in den Strassen ausgerufen; „Das neue Blatt, wie's die Juden in Preßburg ausgejagt haben.“ Indem man diese alte trau= rige Geschichte aufwärmt, ladet man die Menge zur Nach= ahmung freundlichst ein. Und die Parthei, die zu solch' schändlichen Waffen greift, soll uns noch einmal beherr= schen?? Verantworlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Miredackeur F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandbök und Haas in Steyr.
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