Zwanglose Blätter, Nr. 33, vom 8. Juli 1848

sind all die goldenen Kronen in den Main hineir ver= sunken. Im Main liegt ein ganzer Nibelungenhort von Volksvertrauen begraben — Heinrich von Gagern heißt der Hagen, der ihn hineingeschleudert hat. Sie wollten einen Reichsverweser haben — der fin= det Nichts zu regieren, als die deutsche konstitui= rende Nationalversammlung. Diese sollte die Stimme des Volkes sein für die Fürsten, nicht die Stimme der Fürsten durch das Volk. Sie haben ihre Sendung nicht begriffen! Der diese Zeilen schrieb, ist kein Republikaner, er will die konstitutionelle Monarchie, gegründet auf einen freien Vertrag zwischen dem Herrscher und dem Volke. Al. Jul. Schindler. Noch ein Beitrag zur Tagesgeschichte. In einem zur „Geschichte des Tages“ überschriebenen Aufsatz des Blattes vom 29. Juni, Nr. 30 ist beiläufig die Frage aufgeworfen „Wer den Erzherzog Franz Karl als natürlichen Nachfolger des Kaisers gehindert hat, auch als dessen Stellvertreter bei der Eröffnung des Reichsta= ges in Wien zu erscheinen? — ob etwa ein (nicht denk= bares) Mißtrauen seines kaiserlichen Bruders, oder die Ca= marilla, oder die angegebene Krankenwärter=Sorge — da es doch keinen besseren Moment als eben den jetzigen geben könne, sich die Sympathien des Volkes zu erwerben. Dieser unstreitig inhaltreichen Frage stelle ich eine andere, bisher unberücksichtigt gebliebene, gleichsam als Vorfrag gegenüber, die nämlich „Was hat denn eigentlich den Erz= herzog Franz Karl bewogen sich mit dem größten Theil seiner Familie der in der Nacht vom 17—18. Mai erfolg= ten Abreise des Kaisers sofort anzuschließen?“ Als am Morgen des 18. Mai vom Ministerium des Innern den Wienern bekannt gemacht wurde, der Kaiser habe angeblich aus Gesundheitsrücksichten in Begleitung des Erzherzogs Franz Carl ganz unerwartet die Reise nach Innsbruck angetreten, tauchte in Wien das, auch in ein öffentliches Blatt übergegangene Gerücht auf „die unmit= telbare Ursache zu diesem verhängnißvollen Schritt sei die nach dem k. k. Lustschloß Schönbrunn gelangte Nachricht ge= wesen, daß in Wien die Republik ausgerufen werde.“ Eine solche mit zuversichtlicher Bestimmtheit vor= getragene Nachricht hätte allerdings leicht auf das durch die erlebten Ereignisse bereits mächtig bewegte Gemüth des Kaisers Einfluß üben und den Entschluß zur eiligen En= fernung erwirken können; allein mit dem Erzherzog Franz Karl verhält die Sache sich doch anders. Ihn hatten die früheren Vorgänge unmittelbar wenig oder gar nicht berührt, sein Nahme wurde fast gar nicht, häufiger der sei= ner Gemalin genannt, ja er soll — man sagt es so= gar am 15. Mai, dem Tage der Sturmpetition, durch die Reihen der im innern Burgplatz aufgestellten oder in den= elben hineingeschobenen akademischen Legion und Garden ganz ruhig, gleichsam unbeachtet, geschritten sein (zu wel= chem Zweck?). Ihm dem künftigen Throninhaber, hätte es demnach obgelegen, sich ungesäumt in Kenntniß des eigent= lichen Thatstandes zu setzen und die Wahrheit oder Falsch= heit jenes Gerüchtes zu erforschen, wozu bei der günstigen Ortslage des Lustschlosses Schönbrunn, dem alle Linien= thore der Stadt nahe und zugänglich sind, 15—20 Minu= ten erforderlich gewesen wären. Ohne eine in dieser Hin= sicht erlangte Ueberzeugung sich bei einer eiligen Flucht zu betheiligen, würde als schimpfliche Feigheit gelten, deren kein österreichischer Staatsbürger fähig und die bei einem ritterlichen Erzherzog vollends undenkbar ist. Das erwähnte Gerücht, für grundlos und nichtswürdig erkannt, verlor sich eben so schnell wie es entstanden war. Wenig übereinstimmend mit der ministeriellen Kund= machung von 18. Mai sprach der Kaiser in dem Innsbru= cker Manifest unverholen sein Mißfallen über die letzten eine persönliche Freiheit bedrohenden Wiener Ereignisse aus, zugleich aber auch bemerkend, daß in Folge derselben ein Erwägung des Doppelfalls stattgefunden, ob die von ihm beabsichtigte Entfernung aus Wien etwa nur zu erzwin= gen, oder auch insgeheim auszuführen sei — worauf er sich dann zu dem Letzteren als dem besten Theil, ent= schlossen habe. Ob der Kaiser jemals, insdesondere nach den Vor= gängen am 15. Mai, in die Lage hätte kommen können, eine befchlossene Abreise durch Gewaltmaßregeln in Aus= führung zu bringen, mag auf sich beruhen, um so mehr, da am 16. und 17. Mai friedliche Ruhe und Eintracht in Wien herrschten; allein in Beziehung auf den zweiten that sächlich eingetretenen Fall entsteht die sehr natürliche Frage „in wie fern war der Erzherzog Franz Carl dabei betheiligt?“ Offenbar wurde der Entschluß zur stillen Abreise nach der im Familienrathe stattgehabter Erörterung gefaßt und, wie doch zu erwarten, die Art und Weise der Ausführung besprochen. Unbezweifelt befand da= her der Thronfolger Franz Carl nebst Gemalin sich in voller Kenntniß der Absicht seines kaiserlichen Bruders, und die ohne Weiteres, ohne ein verlautbares Gegenwort, ohne irgend eine angedeutete Gegenhandlung, erfolgte Theilnahme an der Ausführung, d. i. an der im Familienrathe beschlos= senen Flucht, muß als ein vollgültiges Zeugniß für sein unbedingte Uebereinstimmung mit den Ansichten des Kai= sers, wie solche sich nämlich nach dem 15. Mai gebildet hatten, gelten, mithin auch für die vom Kaiser später im Manifest ausgesprochenen Gesinnungen. Wenn aber der allgemeinen, nicht wiederlegten Be= hauptung zufolge jene Flucht das Werk der reaktionären Partei war, so läßt es sich wohl begreifen, wie sie den sich verletzt fühlenden Monarchen listig mit Vorspiegelungen je= der Art umgarnen konnte, nicht aber auch den außer den Bereich der Vorfälle und unberührt und ungekränkt ge= standenen Erzherzog Franz Carl, ohne denselben ins Ver= trauen gezogen und mit ihrem Plan, so weit nämlich als zuträglich, verständigt zu haben. Nun, irren ist menschlich! Oft erscheint ja ein Ge= genstand von einem anderen Punkte gesehen, durchaus verschieden, und das Heillose kann auch mit einer scheinba= ren Glorie umgeben werden! Seien wir also milde in un=

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