Zwanglose Blätter, Nr. 30, vom 29. Juni 1848

gab es wohl kaum einen anderen Platz auf dem Erden= rund, wo die Frauenwelt so viel Einfluß übte und man ihr so viel Aufmerksamkeit erwies, als die Hauptstadt Frank= reichs, und Paris verdiente in der That den Namen „Frauen=Paradies“, aber gegenwärtig haben es die Revo= lution, die Clubs und die Politik in geselliger Hinsicht zu dem ödesten und freudenlosesten Aufenthaltsorte für die schönere Hälfte der Menschheit gemacht. Ein Ball oder eine Soirée am Nordpol würden für sie eben so interessant sein, als jetzt eine dergleichen Féte in Paris. Die Thea= ter machen sehr schlechte Geschäfte, sie sind sehr wenig be= sucht und die Neuigkeiten, welche sie auftischen, sind in der Regel erbärmliches Zeug. Kurz der gute Genius ist von Paris gewichen!“ 2. Constantinopel und Altenburg. Vor wenigen Monaten war noch die Zeit, wo selbst der kleine Herzog von Sachsen=Altenburg mitleidig die Ach= seln zuckte, sobald vom Kaiser der Türkei die Rede war. Unter der Vormundschaft der Russen erschien ihm jener ein Kind am Gängelbande, ein Gefangener, der nichts habe als sein Harem und den kühlen Frieden seiner von Brunnen durchrauschten, von Palmen beschatteten Gärten. Ach was gäbe jetzt der Herzog von Sachsen=Altenburg um diesen Frieden! Als ich im Herbste des verflossenen Jah= res die Ehre hatte in seiner freundlich gelegenen Residenz zu frühstücken, dachte ich bei meinen vortrefflichen Sardellen schnitten unten und er im Vollgenusse seiner Herrschaft im Schlosse oben, das im Vorübergehen gesagt, einem Bene= diktinerkloster sehr ähnlich sieht, nicht im Entferntesten da= ran, daß am nächsten 28. Juni das empörte Volk in den stillen Strassen Altenburgs, die sonst nur die prallwadigen Landmädchen und die spindelbeinigten Kammerherren beleb= ten, Barrikaden aufthürmen würden, und daß er, der all= mächtige Herzog, gezwungen sein wird, seinem Volke Con= cessionen zu machen. Concession —! Das Wort dem Für= stenohre von so verhaßtem Klange als der Name Beelze= bub dem Ohre eines katholischen Christen! Alle haben sie jetzt Concessionen gemacht: Oesterreich, Preußen, Sardi= nien, Neapel, der Pabst, auch der Herzog von Sachsen Altenburg — nur der türkische Kaiser nicht — das schwa= che Kind! Was kümmert ihn der Lauf der Welt. Beim Geplätscher seiner Springbrunnen sitzt er jetzt auf der küh= len Terasse umgeben von seinen Frauen; Musik und Tänze schöner Knaben umwogen ihn und die mondbe= glänzten Wellen des Meeres schlagen leise an die Ufer des Bosphorus, in deren Rosenbüschen tausend Nachtigal= len singen. Allah ist sein Gott und der russische Kaiser ist sein Profet und er raucht sein Pfeifchen Sonn= und Mond=Knaster und wandelt friedlich wie Sonne und Mond seine himmlisch wollüstigen Tage hinunter. So wechselt das Schicksal und treibt seine Schwänke in der ernstesten Zeit. Das Los das wir heute verlachen, ist morgen die Krone unserer Wünsche, und mancher rechtgläubige Jesuite seufzt jetzt nach den Spessen der ketzerischen Kosaken. Unterdessen steht der Herzog von Sachsen=Altenburg an einem Fenster seines Residenzschlosses, sieht hinab auf seine getreue Stadt, deren Einwohner eben die Barrika= den abtragen, sehnsüchtig folgt sein Blick dem Militär, das auf der sächsisch bairischen Eisenbahn nach Leipzig zu= rückzieht und zuletzt breitet er segnend seine Hände über die kornreichen Ebenen aus, welche die stahlblaue Pleisse durchströmt. Es herrscht im Lande der alte herzoglich al= tenburgische Friede, nur hie und da blinken aus Erlengrün und Obstbaumhainen die weissen Mauern eines Dorfs oder das weißbaumwollene Wadenpaar eines kurzgerökten Al= tenburger Bauernmädchens herüber. Da übermannen des Herzogs königliche Hoheit die Gefühle und er ruft nicht ohne Wehmuth: Bei Gott, wäre ich nicht der Herzog von Sachsen=Altenburg — so möchte ich der türkische Kai= ser sein! Wiener Tagsberichte. Wien am 23. Juni 1848. Gestern war in der innern Stadt die Feier des Frohn= leichnamsfestes. So wenig pompös (nach dem alten Style) als diesmal, mag es seit Jahrhunderten nicht gewesen sein. Keine Minister, kein kaiserlicher Hofstaat, keine Leibgarden, kein Glied des kaiserl. Hauses waren dabei. Die Zünste, dann die Officiere der Nationalgarden, hierauf die Pfarrer, dann die städtischen Beamten schwarz gekleidet und die Dekane der Uni= versität vor dem Himmel, der Erzbischof unter demselben mit dem Hochwürdigsten und rückwärts desselben der Ausschuß der Bürger, Nationalgarde und Studenten, denen sich eine Abthei= lung Grenadiere und berittene Nationalgarde anschlossen, bilde= ten den ganzen Zug. Die Spalieren machten Grenadiere und Nationalgarden in bunter Reihe, und auf dem Graben standen eine Compagnie Grenadiere, welche die Salven gab, und 6 Kom= pagnien Nationalgarden. Vorgestern überbrachte eine Gratzer Deputation der hie= sigen Nationalgarde eine steierische Fahne, welche Angesichts von 22 Kompagnie Nationalgarden, Burger und Studenten in Parade der Oberkommandant Pannasch übernahm. Von der Anrede der Steyrer bei Ueberreichung der Fahne und von der Erwiederung Pannaschs verstand ich nicht ein Wort, weil ich zu entfernt stand. Die Feierlichkeit war am Hof vor dem bürg. Zeughause und auf der Freyung ließ Pannasch die Garden de= filiren. In seinem gestrigen Tagsbefehl gab er seine Zufrieden= heit über die gute Haltung derselben zu erkennen. Am selben Tage übersandten die Bauern um Retz für die Arbeiter 4000 Laib Brod und 120 Eimer Wein. Wir haben jetzt hier ein Seitenstuck zu der Tochter des Regiments, nähmlich einen Sohn der 5. Kompagnie. Am 19. dieß überfielen ein Dienstmädchen unter Wegs nach der Gebähr=Anstalt die Geburtswehen, und es war gezwungen in der Einfahrt des Mölker Hofes einzukehren, wo es in Gegen= wart der daselbst in Bereitschaft stehenden Garden der 5. Kom= pagnie von Schottenviertel, vom ihrem Kompagnie=Arzte entbun= den wurde. Die Garden scherzten, daß sie einen kleinen Tambour be= kämen und kaum als dieser Scherz gemacht war, zeigte ein bei= stehendes Weib der Kompagnie einen gesunden Knaben. Die Kompagnie erklärte nun einstimmig den neuen Weltbürger zu adoptiren und steuert monatlich 13 fl. 20 Kr. C. M zusammen von welchem vor der Hand 8 fl. seine Wärterin erhält, der Rest aber für das Kind nebst dem Pathen=Geschenk in der Spar= kasse angelegt wird. Wenn dieses Knäblein gedeiht und in der Folge ein Handwerk erlernt, so erhält es bei dem Antritte sei= ner Selbstständigkeit ein hübsches Summchen. Heute wird Erzherzog Johann, (der Bruder des sel. Kaisers Franz) erwartet. Verantwortlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredacteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandböck und Haas in Steyr.

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