Zwanglose Blätter, Nr. 30, vom 29. Juni 1848

Zwunglose Blätter für Oberösterreich. Nro. Steyr am 29. Juni 1848. 30. Unsere Zeit fordert Entschiedenheit und Klarheit Aus einem Berliner Briefe. Für die Freiheit der Wahlen und gegen die Feinde dieser und jeder Freiheit. Es herrscht gegenwärtig in Steyr eine ziemlich allge= meine Unzufriedenheit mit dem Resultate der städtischen De= putirtenwahl zum konstituirenden Reichstage. Um auf die stattgehabten persönlichen Umtriebe einer gewissen ganz klei= nen Parthei, die um jeden Preis den erloschenen Einfluß aus sogenannten besseren Tagen wieder zum Leben erwe= cken möchte nicht weiter einzugehen, muß die mit vielen gesetzlichen Gebrechen vorgenommene Wahl der Wahlmän= ner, als der Hauptgrund des Protestes genannt werden, den so viele Steyrer Bürger mit ihren Namen eigenhändig unterzeichneten und ans Ministerium des Innern absende= ten. Mit seltener Einstimmigkeit, mit Vermeidung aller ungesetzlichen Schritte vereinigten sie sich auf diesem gesetz= lichen Wege und geben so der Regierung zu erkennen, daß es ihnen lediglich um die Unverletzlichkeit ihres freien Wahl= rechtes zu thun sei. Dieses ist das wichtigste, mächtigste, Recht des konstitutionellen Staatsbürgers und wer es nicht begreift und es nicht zu bewahren weiß, der ist des Na= mens eines freien Bürgers nicht werth. Trösten wir uns übrigens über diesen leidigen Wahl= unfall, der uns betroffen hat. Wir theilen das Schicksal, unsere junge Freiheit von einer Parthei angegriffen zu se= hen, die durchaus nicht glauben will, daß die Zeit ihrer Herrschaft zu Ende sei und die Welt dem jungen Geiste gehört, auch mit anderen theuren Schwesterstädten und auch Wien ist von dieser Heimsuchung nicht frei geblieben. Zum Zeugnisse dieser Behauptung stehe hier der Abdruck eines Artikels des Hrn. Adolf Foglar in der Wiener Abendzei= tung vom 23. Juni, der bei der außerordentlichen Aehnlich= keit, die zwischen den dort erzählten Thatsachen und jenen die unsere Unzufriedenheit heftig erregten, herrscht, uns nur einen Beweis mehr liefert: wie gut man es mit dem Volke meint! Gegen die Wahlen. Das wären Wahlen? Das der freie Akt eines gan= zen Volkes? Nichtswürdiges Gauckelspiel nenne ich es! Obgleich in allen Bezirken dieselben — Umtriebe, gerade heraus gesagt, statt fanden, kann ich als Zeuge nur von dem vierten reden. Hier lag bereits an den Tagen der Legimitationsausweisung, vor aller Vorbesprechung, auf dem Wahlmanipulationstisch des 2. Distriktes eine Liste von zehn Wahlmännern auf, darunter der Gemeinderichter und sein Schwiegersohn gleich nach einander! Ich fragte das Manipulationspersonale, ob diese Zehn sich selbst als Kandidaten gemeldet haben, oder von irgend wem vorge= schlagen oder empfohlen seyen? Konnte aber keine Auskunft erhalten. Am 22. am Tage der Wahl, ergab das erste Skrutinium nur für drei Individuen (darunter eben der Gemeinderichter) eine absolute Stimmenmehrheit; für die übri= gen sieben wurde zu einer zweiren Wahl geschritten. Als ich den zweiten Stimmzettel zu schreiben mich anschickte, legte mir einer der Manipulanten die Liste der sieben vor, welche nach den drei bereits gewählten die meisten Stimmen er= halten hatten. Mit Verwunderung erkannte ich in diesen drei gewählten und den sieben Nachmännern dieselben Zehn, welche mir schon bei der Legimitationsausweisung genannt worden waren. Unrath witternd blieb ich am Manipula= tionstische, und beobachtete durch zwei Stunden das wei= tere Verfahren. Wie mir, so wurde jedem die Liste der Sieben vorgelegt, mit dem Bemerken: „Diese haben schon die meisten Stimmen, damit wir zu ei= nem Resultate kommen, wäre es gut, wenn Sie dieselben aufschreiben; denn wenn Sie auch Andere bezeichnen, nützt es doch diesen nichts, weil schon jene die Majorität haben.“ Erst als ich gegen solche Kaptation Einsprache that, un= terließ man selbe zwar nicht, machte aber den Beisatz: „Uebrigens können Sie wählen, wen Sie wollen.“ Man ließ also das Resultat der ersten Wahl, die doch in Betreff der Sieben keine Entscheidung geben durfte, auf die zweite influenziren. Wirklich mahlten die meisten Urwähler, welche das Nachbeten bequemer fanden, als das Nachdenken, die Namen jener Sieben auf ihren zweiten Stimmzettel, und — das Ergebniß des Skrutiniums läßt sich errathen. Unter den so entstandenen Wahlmän= nern sind einzelne, über deren Befähigung die schlich= testen Urwähler gar ungläubig den Kopf schüttelten. Da somit von einem allgemeinen Vertrauen hier keine Rede sein konnte, so wurden die Majoritäten offenbar durch Umtriebe erzielt. Durch die plumpsten Kunstgriffe! Aber die guten Herrn die schon den Sieg zu haben meinen, dürften sich doch ge=

täuscht haben. Eine durch zwei Zeugen erhärtete Anklage die ich sogleich beim Ausschuße anbrachte, wird zur Un= tersuchung und hoffentlich zur Nullitäts=Erklärung dieser Wahlen führen; zumal ich versichert bin, daß von an= dern Bezirken ähnliche Beschwerden einlau= fen werden. Von so gewählten Wahlmännern konnten unmöglich vertrauenswürdige Deputirte hervorgehen. Wien. Adolf Foglar. Nachstehende Stellen aus dem von hier an das Mi= nisterium gelangten Wahlproteste mögen die Aehnlichkeit unseres Falles mit dem geschilderten Falle in Wien dar= thuen: „Die Ungesetzlichkeiten bei der Wahl der Wahlmän= ner in Steyr bestehen in folgenden Punkten: 1. Bei der ersten Wahl der Wahlmänner wurde nur für etliche Urwähler eine absolute Stimmenmehrheit erzielt. Statt nun für die fehlenden Stellen eine neue, ganz freie Wahl einzuleiten, wurde im offenbaren Wider= spruche mit den § §. 39 40 und 15 der in unserer Pro= vinz als gültig kundgemachten provisorischen Wahlordnung zu der engeren Wahl geschritten. Aber auch diese wurde nicht nach dem Sinne des Gesetzes vorgenommen, son= dern einzelne Glieder der Wahlkommission erlaubten sich eine direkte Einwirkung auf die Wahl der Wahlmänner zu nehmen, so daß sie den Urwählern Leute mit Namen vorschlugen und sagten: „Ihr müßt schon diese wählen, sonst werden wir gar nicht mehr fertig. — Dieses erbie= ten sich die mitgefertigten Beisitzer der Wahlkommissionen mit ihrem Zeugnisse in jeder verlangten Weise zu bekräf= tigen. 2. Mehrere der mitgefertigten Urwählern erhielten weder eine Ansage zur Wahl der Wahlmänner noch die vorgeschriebene Legitimationskarte: Es war ihnen daher durch den Unverstand oder die Umtriebe einer Parthei unmöglich gemacht, ihr freies Wahlrecht als konstitutio= nelle Staatsbürger auszuüben. Die Anzahl der Wahlbe= rechtigten, die an der Wahl ohne ihr Verschulden nicht Antheil nahmen, ist sehr beträchtlich. 3. Obwohl den Arbeitern freies Wahlrecht gesetzlich zugesichert ist, so wurde doch nicht ein Einziger zur Wahl der Wahlmänner vorgerufen oder zugelassen. Das betref= fende Gesetz ward ihnen nicht bekannt gegeben und nur die getäuschte Hoffnung einen Mann ihres Vertrauens als ihren Vertreter zu begrüßen, ließ sie in ihren Su= chen um ein Rettungsmittel vor den unleidlichen Zustande sich von einem Deputirten vertreten lassen zu müssen, dem sie nicht Vertrauen schenken, an gesetzkundige Männer gerathen, welche ihnen freimüthigen Aufschluß über das ihnen zuständige und vorenthaltene Recht gaben. Dieses sind die 3 gesetzlichen Haupteinwendungen gegen die Wahl der Wahlmänner die Unregelmäßigkeiten gegen den §. 35 zu verschweigen, daß nicht jeder Stimm= berechtigte persönlich erschien, sondern viele ihre Wahlzettel durch dritte Personen: Dienstbothen und dergleichen un= bekannte Leute überschickten." Der Protest selbst ist heute auch in Abschrift und mit einem Ansuchen um Unterstützung und Förderung die= ser höchst wichtigen Angelegenheit beim Ministerium des Innern, an den Ausschuß der Bürger, Nationalgarden und Studenten für Ruhe, Sicherheit, Ordnung und Wah= rung der Volksrechte nach Wien abgegangen. Un= ere Schritte sind offen. Wir scheuen nicht das Licht, weil wir das Recht nicht scheuen. Wir erwarten die Nullitäts=Erklärung der Wahlen, weil sie ungesetzlich waren; wir appelliren nöthi= genfalls von dem Richterstuhle des Ministeriums an den Reichstag, finden wir auch da nicht unser Recht, so übergeben wir den Fall der Wissenschaft und der Geschichte, den unerbitterlichen Richterinnen. Wir werden der Welt beweisen, daß auch junge Söhne der Freiheit ihre Rechte mit Ge= schick und Mäßigung innerhalb den Grenzen der konstitutionellen Gesetze zu behaupten wissen. Der Unterstützung und der Anerkennung von Seiten aller wahren Freunde der Freiheit sind wir versichert. Neuestes. Prinz Johann in Wien. Erzherzog Johann ist bereits als Stellvertreter des Kaisers in Wien eingetroffen und der Minister Pillersdorf hat ihm am 25. d. M. den Oberkommandanten und die Officiere der Nationalgarde vorgestellt. Der Erzherzog sagte den Vorgestellten in schlichten und herzlichen Worten, wie sich die Wiener Zeitung vom 26 d. M. ausdrückt, daß sie d. h. die Nationalgarde einen schönen Beruf habe da sie für Ordnung und Sicherheit einstehe. Aber die Nationalgarde steht nicht nur für Ordnung und Sicherheit sie steht auch für die Erhaltung der konstitutio= nellen Freiheit ein! Schade, daß Se. Kais. Hoheit bei Erwähnung des hohen und schönen Berufes der Na= tionalgarde darauf vergaß. Auch fehlt in der Rede des Prinzen nicht jene Frase, die wir schon in unserem Auf= satze „die Saison in Ischl“ beleuchteten. „Meine Herrn von einer Reaktion ist keine Rede, denn diese ist ganz un= möglich „Was ist möglich, was ist unmöglich? Wessen Menschen Geist vermißt dieses? Und ist das scheinbar Mög= liche nicht schon tausendmal versucht worden? Hat man nie versucht Gold zu machen? in die Zukunft zu sehen und dgl.? Eine Reaktion existirt, wie groß, wie klein sie sei, ob sie Aussicht auf Erfolg habe oder nicht, kommt hier in keinen Betracht. Wir glauben dem edlen Prinzen aufs Wort, wenn er sagt: „Weder ich, noch mein Kai= ser denken an eine Reaktion!“ Aber, daß alle in diesem Punkte so redlich, so edel denken wie er und sein Kaiser, — das bezweifeln wir mit Recht.

Der neutrale Badeort Ischl Ein Herr Doktor K. im Abendblatte der Wiener Zeitung Nr. 82 nennt in einem Willkommen an den Prin= zen Johann Ischl einen neutralen Badeort! Das ist der treffendste Witz, den die Wiener Zeitung gemacht hat, seit die beiden Morize, die sie leider redigiren das Licht der Welt erblickt haben, welche sie nun und nimmermehr ver= tehen. Neutrales Ischl! höre auch die Schweiz ist neutral. Was ist in der neutralen Schweiz geschehen? Dort wurden Jesuiten genährt, beherbergt und in alle Länder entsendet, dort wurde den Narren, Schurken und Taugenichtsen al= ler Welt Obdach gegeben, damit sie die Fackeln des Bür= gerkrieges für alle Länder vorbereiten konnten, von dort wurden Truppen gesendet nach Neapel, damit der falsch Bourbon auf der Toledostrasse die junge Freiheit morden könne — das alles ist in der neutralen Schweiz gesche= hen. Und Ischl? — Ischlisteinneutraler Badeort! Zur Geschichte des Tages. Wir haben es in diesen Blättern schon einmal als ein dem öffentlichen Wohle sehr nachtheiliges Ereigniß bezeichnet, daß der Kaiser den konstitutionellen Reichstag in Wien nicht in Person eröffnet. Der schlichteste Mann aus dem Volke theilt unsere Ansicht und nur die reaktio= nären Wühler und Kannengießer wagen es noch zu be= haupten, daß der Kaiser wohl daran thue, Wien noch lange nicht zu betreten. Der Heiland dieser Männer ist Fürst Win= dischgrätz und die Freiheit drückt sie so peinlich wie freie Männer die Knechtschaft. Zöge doch der Kaiser nach Wien. Seine Gegenwart stiftete in der Residenz und we= nigstens in allen deutschen Provinzen den Frieden und die gerechte Furcht vor einer Winkelregierung, vor jesuitisch= aristokratischer Reaktion müßte schwinden. Oder verdient Wien, das seinen Kaiser liebt und immer offen und ehrlich auftritt, das obendrein der Sitz der rechtmäßigen Regierung ist, nicht den Vorzug vor jenen Kreisen von Tirol, die gegen den kaiserlichen Befehl es wagen die Jesuiten und Liguorianer noch immer prassend und Zwietracht säend, in ihrer Mitte zu erhalten. Der Kaiser komme nach Wien, noch erwarten ihn dort Blummenkränze — aber das Schick= sal schüttelt gewaltige Lose in seiner verschlossenen Urne. Wie widersprechen sich doch die Nachrichten aus Inns= bruck? Der Kaiser ist krank, kann in dieser bedenklichen Lage den Thronfolger seinen Bruder nicht von der Seite lassen — gleich darauf ist die Krankheit wieder unbe= deutend, und der Kaiser, heißt es, kommt recht bald nach Ischl. Die mährische Deputation kann er nicht empfangen, gleich darauf wird mit dem gewaltigen Banus Jellachick unterhandelt! Statt des Prinzen Franz Karl kommt der Prinz Jo= hann als Stellvertreter des Kaisers zur Eröffnung des Reichstages nach Wien! Schwer fällt uns aber das Bedenken aufs Herz, warum eigentlich der Erzherzog Franz Carl, der natürli= che Nachfolger des Kaisers, nicht auch jetzt sein Stellver= treter ist. Gäbe es einen besseren Moment, sich die Sym= pathien des Volkes zu erwerben, als den jetzigen? Welche große Gewährleistung gäbe uns die Gesinnung des Vaters für den Sohn, den wir leider vom Grafen Bombelles er= zogen wissen. Es ist nicht gut, daß der Prinz Franz Carl sich selbst außerhalb der Schranken stellt, wo er die mäch= tigsten Sympathien für sich erobern könnte. Wer hinderte daß er nicht kommt? Gewiß kein Mißtrauen seines kai= serlichen Bruders. Die Kammerilla? Ueber einen freien Mann darf sie keine Macht haben. Die angegebene Kran= kenwärter=Sorge ist kein ausreichendes Motiv. Wir be= grüßen jedenfalls, wenn wir unser Befremden hier aus= drückten über das Nichtkommen Franz Carls, die Ankunft des Erzherzogs Johann, und wollen hoffen, daß er, volks= thümlich, wie er sich stets zu machen strebte, uns auch durch eine große That eine Gesinnung zeigen werde, welche vielleicht geeignet ist, sein greises Haupt zu verklären. Er hat seine Zukunft in der Hand. Wir hier in Steyr haben von diesen Prinzen viele Versprechungen vernommen, deren Erfüllung wir noch im= mer mit Sehnsucht erwarten. Vielleicht kommt jetzt nach so vielen Leiden der Tag der Freude. Segen und hei= ßen Dank jedem, an dessen Hand er heraufzieht! Die Republik Venedig hat die französiche Republik um Hilfe angegangen. Wird diese Hilfe mit bewaffneter Hand oder im Wege der Unterhandlung geleistet werden? Baiern läßt 20000 Mann Hilfstruppen nach Ita= lien marschiren. Kommt dieses Armeekorps als Bundes= hilfe zum Schutze des deutsch=österreichischen Gebietes, oder soll es den Krieg des Kaisers von Oesterreich mit seinen ungetreuen italienischen Provinzen zu Ende bringen helfen? Jedenfalls Dank den braven Baiern. Städte= und Landschafts=Bilder mit Figuren aus unsern Tagen. 1. Paris. Für das zarte Geschlecht bemerkt ein Engländer, der sich gegenwärtig in Paris aufhält, sind dies in der That harte Zeiten, die schönen Geschöpfe schmachten in Einsam= keit und Abgeschlossenheit von der Welt und keine einzige denkt ans Heirathen. Auf den wenigen Bällen — in der That werden sie immer seltener — werden die Herren sehr vermißt; ein schwarzer Frack muß oft zwanzig Damen be= friedigen. Von den Soiréen, die ebenfalls nicht zahlreich sind, gilt das Nämliche, die daran theilnehmenden Herren reichen oft kaum für die Damen vom Hause hin. Selbst in den Theatern fehlen die männlichen Zuschauer. Früher

gab es wohl kaum einen anderen Platz auf dem Erden= rund, wo die Frauenwelt so viel Einfluß übte und man ihr so viel Aufmerksamkeit erwies, als die Hauptstadt Frank= reichs, und Paris verdiente in der That den Namen „Frauen=Paradies“, aber gegenwärtig haben es die Revo= lution, die Clubs und die Politik in geselliger Hinsicht zu dem ödesten und freudenlosesten Aufenthaltsorte für die schönere Hälfte der Menschheit gemacht. Ein Ball oder eine Soirée am Nordpol würden für sie eben so interessant sein, als jetzt eine dergleichen Féte in Paris. Die Thea= ter machen sehr schlechte Geschäfte, sie sind sehr wenig be= sucht und die Neuigkeiten, welche sie auftischen, sind in der Regel erbärmliches Zeug. Kurz der gute Genius ist von Paris gewichen!“ 2. Constantinopel und Altenburg. Vor wenigen Monaten war noch die Zeit, wo selbst der kleine Herzog von Sachsen=Altenburg mitleidig die Ach= seln zuckte, sobald vom Kaiser der Türkei die Rede war. Unter der Vormundschaft der Russen erschien ihm jener ein Kind am Gängelbande, ein Gefangener, der nichts habe als sein Harem und den kühlen Frieden seiner von Brunnen durchrauschten, von Palmen beschatteten Gärten. Ach was gäbe jetzt der Herzog von Sachsen=Altenburg um diesen Frieden! Als ich im Herbste des verflossenen Jah= res die Ehre hatte in seiner freundlich gelegenen Residenz zu frühstücken, dachte ich bei meinen vortrefflichen Sardellen schnitten unten und er im Vollgenusse seiner Herrschaft im Schlosse oben, das im Vorübergehen gesagt, einem Bene= diktinerkloster sehr ähnlich sieht, nicht im Entferntesten da= ran, daß am nächsten 28. Juni das empörte Volk in den stillen Strassen Altenburgs, die sonst nur die prallwadigen Landmädchen und die spindelbeinigten Kammerherren beleb= ten, Barrikaden aufthürmen würden, und daß er, der all= mächtige Herzog, gezwungen sein wird, seinem Volke Con= cessionen zu machen. Concession —! Das Wort dem Für= stenohre von so verhaßtem Klange als der Name Beelze= bub dem Ohre eines katholischen Christen! Alle haben sie jetzt Concessionen gemacht: Oesterreich, Preußen, Sardi= nien, Neapel, der Pabst, auch der Herzog von Sachsen Altenburg — nur der türkische Kaiser nicht — das schwa= che Kind! Was kümmert ihn der Lauf der Welt. Beim Geplätscher seiner Springbrunnen sitzt er jetzt auf der küh= len Terasse umgeben von seinen Frauen; Musik und Tänze schöner Knaben umwogen ihn und die mondbe= glänzten Wellen des Meeres schlagen leise an die Ufer des Bosphorus, in deren Rosenbüschen tausend Nachtigal= len singen. Allah ist sein Gott und der russische Kaiser ist sein Profet und er raucht sein Pfeifchen Sonn= und Mond=Knaster und wandelt friedlich wie Sonne und Mond seine himmlisch wollüstigen Tage hinunter. So wechselt das Schicksal und treibt seine Schwänke in der ernstesten Zeit. Das Los das wir heute verlachen, ist morgen die Krone unserer Wünsche, und mancher rechtgläubige Jesuite seufzt jetzt nach den Spessen der ketzerischen Kosaken. Unterdessen steht der Herzog von Sachsen=Altenburg an einem Fenster seines Residenzschlosses, sieht hinab auf seine getreue Stadt, deren Einwohner eben die Barrika= den abtragen, sehnsüchtig folgt sein Blick dem Militär, das auf der sächsisch bairischen Eisenbahn nach Leipzig zu= rückzieht und zuletzt breitet er segnend seine Hände über die kornreichen Ebenen aus, welche die stahlblaue Pleisse durchströmt. Es herrscht im Lande der alte herzoglich al= tenburgische Friede, nur hie und da blinken aus Erlengrün und Obstbaumhainen die weissen Mauern eines Dorfs oder das weißbaumwollene Wadenpaar eines kurzgerökten Al= tenburger Bauernmädchens herüber. Da übermannen des Herzogs königliche Hoheit die Gefühle und er ruft nicht ohne Wehmuth: Bei Gott, wäre ich nicht der Herzog von Sachsen=Altenburg — so möchte ich der türkische Kai= ser sein! Wiener Tagsberichte. Wien am 23. Juni 1848. Gestern war in der innern Stadt die Feier des Frohn= leichnamsfestes. So wenig pompös (nach dem alten Style) als diesmal, mag es seit Jahrhunderten nicht gewesen sein. Keine Minister, kein kaiserlicher Hofstaat, keine Leibgarden, kein Glied des kaiserl. Hauses waren dabei. Die Zünste, dann die Officiere der Nationalgarden, hierauf die Pfarrer, dann die städtischen Beamten schwarz gekleidet und die Dekane der Uni= versität vor dem Himmel, der Erzbischof unter demselben mit dem Hochwürdigsten und rückwärts desselben der Ausschuß der Bürger, Nationalgarde und Studenten, denen sich eine Abthei= lung Grenadiere und berittene Nationalgarde anschlossen, bilde= ten den ganzen Zug. Die Spalieren machten Grenadiere und Nationalgarden in bunter Reihe, und auf dem Graben standen eine Compagnie Grenadiere, welche die Salven gab, und 6 Kom= pagnien Nationalgarden. Vorgestern überbrachte eine Gratzer Deputation der hie= sigen Nationalgarde eine steierische Fahne, welche Angesichts von 22 Kompagnie Nationalgarden, Burger und Studenten in Parade der Oberkommandant Pannasch übernahm. Von der Anrede der Steyrer bei Ueberreichung der Fahne und von der Erwiederung Pannaschs verstand ich nicht ein Wort, weil ich zu entfernt stand. Die Feierlichkeit war am Hof vor dem bürg. Zeughause und auf der Freyung ließ Pannasch die Garden de= filiren. In seinem gestrigen Tagsbefehl gab er seine Zufrieden= heit über die gute Haltung derselben zu erkennen. Am selben Tage übersandten die Bauern um Retz für die Arbeiter 4000 Laib Brod und 120 Eimer Wein. Wir haben jetzt hier ein Seitenstuck zu der Tochter des Regiments, nähmlich einen Sohn der 5. Kompagnie. Am 19. dieß überfielen ein Dienstmädchen unter Wegs nach der Gebähr=Anstalt die Geburtswehen, und es war gezwungen in der Einfahrt des Mölker Hofes einzukehren, wo es in Gegen= wart der daselbst in Bereitschaft stehenden Garden der 5. Kom= pagnie von Schottenviertel, vom ihrem Kompagnie=Arzte entbun= den wurde. Die Garden scherzten, daß sie einen kleinen Tambour be= kämen und kaum als dieser Scherz gemacht war, zeigte ein bei= stehendes Weib der Kompagnie einen gesunden Knaben. Die Kompagnie erklärte nun einstimmig den neuen Weltbürger zu adoptiren und steuert monatlich 13 fl. 20 Kr. C. M zusammen von welchem vor der Hand 8 fl. seine Wärterin erhält, der Rest aber für das Kind nebst dem Pathen=Geschenk in der Spar= kasse angelegt wird. Wenn dieses Knäblein gedeiht und in der Folge ein Handwerk erlernt, so erhält es bei dem Antritte sei= ner Selbstständigkeit ein hübsches Summchen. Heute wird Erzherzog Johann, (der Bruder des sel. Kaisers Franz) erwartet. Verantwortlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredacteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandböck und Haas in Steyr.

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