mithin eine Vertragsmäßigkeit. Ein solcher vertrags= mäßiger Rechtszustand in den sich Fürst und Volk besinden, ist allein im Stande die Pri= vatrechte des Einzelnen zu befestigen und zu verbürgen. Viele wenden freilich ein, man hätte die oktroyirte Verfassung vom 25. April bestehen lassen sollen und die selbe stillschweigend annehmen, da es den Kammern nach §. 50 ohnehin zugestanden wäre, daran Abänderungen zu machen. Diesen meinen Gegnern setze ich folgende Erörte= rung entgegen: Für die Entwicklung der geistigen und ma= teriellen Freiheit des Bürger= und Bauernstandes und der Intelligenz, welche die schöne Blüte dieser beiden Stände ist, war gewiß die erste Kammer in ihrer beantragten Zu= ammensetzung das Gefährlichste. Ohne eine gewisse Be= schränkung wenigstens der materiellen Güter der weltlichen und geistlichen Aristokratie kann die Freiheit der erwähnten Stände nicht zur vollkommensten Reife gelangen. Wenn also die zweite Kammer, die aus diesen Ständen bestand, ei= nen Beschluß zu Gunsten des Bürger= und Bauernstandes faßte, so dürfte nur die erste Kammer sich dagegen erklären und nach §. 45 war der Beschluß der zweiten Kammer un= gültig. Wäre nun aber auch über die erste Kammer der heilige Geist gekommen und hätten beide Kammern einstim= mig sich angeschickt zu Gunsten der Freiheit des Volkes Aenderungen in der Verfassung zu beschließen, hätte nicht der Herrscher die ohne Eingehung irgend einer vertrags= mäßigen Verpflichtung aus Gnade verliehene Ver= fassung, aus Ungnade wieder einziehen können? Wenn auch nicht der alte Zustand, der alte Kampf wäre ganz gewiß dadurch heraufbeschworen worden. Der Kampf, der wir dann mit der Reaktion zu schlagen gehabt hätten, würde gewiß kein leichter gewesen sein. Die Erfolge, wel= che sie in diesen Tagen voll frischer Erbitterung zu errin= gen im Stande war, kennen wir genau, und die Fort= schritte, die sie, wenn ihre Macht nicht gänzlich gebrochen wäre, in ruhigen Tagen, wenn das Blut des Volkes sich abgekühlt hat, langsam und im Stillen zu machen im Stande wäre, sind unberechenbar. Darum konnten wir eine ok= troyrte Verfassung nicht brauchen; wir mußten einen kon= stitutrenden Reichstag haben und wir haben ihn bekommen Dem Kaiser und dem Volke sei dafür gedankt. Was ist nun die Aufgabe eines konstituirenden Reichs= tages und mithin auch desjenigen der auf den 26. d. M. nach Wien einberufen ist und zu dem die Wahlen vor der Thüre sind. Dieser konstituirende Reichstag hat 2 Aufgaben. Erstens muß er durch freie gemeinschaftliche Bera= thung und Stimmenmehrheit seiner Mitglieder ein Staats= grundgesetz verfassen. Zweitens muß er dieses dem Kaiser vorlegen und mit ihm, im Namen des Volkes einen Vertrag abschließen wodurch dasselbe zur Gültigkeit erhoben, über Kaiser und Volk gestellt und für beide gleich gemacht wird. Ein Staatsgrundgesetz oder was eben so viel ist eine Verfassung, eine Constitution ist das höchste Gesetz, worauf alle übrigen Gesetze des Staates beruhen, woraus alle übrigen Gesetze des Staates hervorgehen sollen. Da nun ein vernünftiges Grundgesetz in einem konstitutionellen Staate die möglichste Entwicklung der Freiheit des Einzel= nen einerseits, womöglich andererseits aber die festesten Schranken gegen jede unmoralische und unkonstitutionell Willkühr aufstellen soll, dabei aber bei großer Kürze, Faß= lichkeit und erschöpfende Bestimmmtheit aller Interessen je der Nation im Staate, jeder Classe der Staatsbürger ge= rechte Rechnung tragen muß, so entsteht die Frage: Ist die Aufgabe des konstituirenden Reichstags eine so leichte, daß sie schon jeder ehrliche Mann mit gesundem Menschen= verstande und einer seinem Nahrungsstande angemessenen Bildung zu lösen im Stande ist? Oder bedarf es da= zu nicht einer höhern, umfassenderen staats= rechtlichen Bildung, bedarf es da nicht posi= tiver Kenntnisse in einem mehr als gewöhnli= chen Maaße, bedarf es in der raschen Glut der parlamentarischen Verhandlung nicht einer schnellen, allzeitfertigen Fassungs= und Darstellungsgabe, neben Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit die Macht der Rede, durchleuchtet und beherrscht von einem kla= ren Geiste?! Für den österreichischen Reichstag tritt noch eine neue nicht geringe Schwierigkeit dazu, durch die verschiedenen Bildungsstufen auf denen die verschiedenen Nationen des Kaiserthums stehen. Wie bei einzelnen Menschen, so finden sich auch bei ganzen Nationen Altersstufen. Jenes Volk lebt in der Kindheit, das noch vom himmlischen Gesetze, jenes im Jünglingsalter, das vom Gesetze des Glaubens, jenes im Mannesalter, das von dem Gesetze der prüfenden Vernunft beherrscht wird. Der Gesetzgeber soll allen verständlich und allen gerecht sein. Das ist eine ebenso große als schwere Aufgabe. Was muß die Verfassung dem Kaiser wenigstens ge= währen? Unverletzbarkeit seiner geheiligten Person, die voll= ziehende Gewalt, und unabweisbaren Antheil an der ge= setzgebenden Gewalt, die ihm gemeinschaftlich mit dem Reichstage gebührt, jedenfalls nur dann, wenn es sich um eine Aenderung der Verfassung handelt. Denn, wenn es auch ohne Beeinträchtigung der kaiserlichen Wesenheit denk= bar und im einzelnen Falle, wie die Verfassung des König= reichs Norwegen solche bestimmt, sogar passend ist, wenn eigentliche Regierungsgesetze ohne Einwilligung des Herr= schers blos durch die Stimme des Reichstages Gültigkeit erlangen (und Norwegen ist das ruhigste und sicherste Land der Welt) so darf doch dieses bei einer Verfassungsände= rung nie sein, denn, wenn der Reichstag für sich allein die Verfassung beliebig ändern könnte, so wäre der Name des Kaisers eine Lüge. Oder ist der ein Kaiser, der verfas= sungsmäßig eine Gewalt anerkannte und sich ihr unter= ordnete, die ihm morgen seine kaiserlichen Funktionen durch gültige Gesetze verbieten könnte?
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