Zwanglose Blätter, Nr. 19, vom 21. Mai 1848

Es wird Niemand läugnen, das England das Mu= ster eines konstitutionellen Staates ist; doch ist es dorten für unvermeidlich anerkannt, so oft ein anderer Regierungs= grundsatz zur Herrschaft kommt, d. h. so oft das Ministe= rium gewechselt wird auch alle Personen, welche die näch= ste Umgebung der Königin bilden, von ihr zu entfernen und alle Hofchargen mit Männern und Frauen zu besetzen, die als Anhänger des neuen Grundsatzes hinlänglich erprobt sind. Dieses geschah in Wien nicht. Das Ministeriun „Metternich“ war gefallen, jedoch um die Person des Kai= ers bleiben dieselben Männer, die durch ihre treue Anhäng= lichkeit an die Absichten des Fürsten Metternich, die durch ihre blinde Hilfeleistung bei allen seinen Plänen sich ihre hoch besoldeten Posten erworben haben. Als die Nationalgarden diese Zustände reiflich erwo= gen hatten, beschlossen sie, eine Petition dem Kaiser zu über= reichen: er wolle den Tagsbefehl vom 13. Mai aufheben, das provisorische Wahlgesetz umändern, für den ersten Reichs= tag vor der Hand nur eine Kammer bewilligen, und statt der gegebenen Constitution eine neue und bessere von den schnellstens einzuberufenen Reichsständen berathen lassen. Die Nationalgarden und die übrigen Bürger beschlossen die Deputation, welche die Petition überreichen sollte, in Masse in die Burg zu begleiten, und als die Nachricht kam, daß auf dem Glacis die ganze Garnison mit 40 Kanonen aus= gerükt stand, so rükten auch die Nationalgarden in Waf= fen aus, zur Sicherheit ihrer eigenen Personen gegenübe den Gewaltmitteln, die man gegen sie entwikelt hatte. Der Kaiser aber bewilligte der Deputation ohne allem An= stand, die gebetenen Abhilfen und jubelnd empfing das Volk diesen neuen Beweis der Herzensgüte der aufrichtigen Frei= heitsliebe seines Monarchen. Es stellte sich nach und nach die Ruhe wieder her; als am 17. Mai dem Ministerium die mündliche unerwartete Kunde zukam, der Kaiser habe aus Gesundheitsrüksichten, in Begleitung der Kaiserin, des Erzherz. Franz Karl, dessen Gemalin und dessen 3 Prin= zen Wien verlassen, und sei nach Innsbruck abgereiset. Das Ministerium ließ hierüber nachstehende Kundmachung auf alle mögliche Weise verbreiten Kundmachung Heute in der neunten Abendstunde ist dem Ministe= rium die mündliche unerwartete Mittheilung zugekommen, daß Se. Majestät der Kaiser aus Gesundheits=Rücksichten in Begleitung der Kaiserin und des durchlauchtigsten Erz= herzogs Franz Carl sammt seiner erlauchten Gemalin und drei Prinzen die Residenz verlassen, und die Route nach Innsbruck eingeschlagen haben. Das unterzeichnete Ministerium, welches die Gründe und näheren Umstände dieser Reise nicht kennt, sieht sich verpflichtet, dieselbe zur Kenntniß der Bevölkerung der Resi= denz zu bringen. Dasselbe hat es als seine erste Pflicht erkannt, in der Person des Obercommandanten der Nationalgarde Grafen Hoyos eine vertrauenswürdige Person an Se. Majestät sogleich in der Nacht abzusenden, und die drin= gende Bitte zu stellen, daß die Bevölkerung durch die Rück= kehr des Kaisers oder durch eine offene Darstellung der Gründe, welche dieselbe unmöglich machen beruhiget werde. Derselbe dringende Wunsch wird dem Herrn Erz= herzoge durch die Absendung des Präsidenten Grafen Wilc= zek vorgetragen werden. Der Ministerrath erkennt eben so in diesem wichtigen Augenblicke die heilige Pflicht den Interessen des Vater= landes seine ungetheilte Sorge und Aufmerksamkeit zu widmen, und unter seiner Verantwortung so zu handeln, wie es die Umstände erheischen. Die Unterstützung der Mitbürger und aller Gutgesinnten wird ihn in den Stand setzen, Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten, und zur Be= ruhigung der Gemüther beizutragen. Was über dieses Ereigniß zur Kenntniß der Minister gelangt, wird jedes= mal getreu und vollständig zur allgemeinen Kenntniß ge= bracht werden, so wie dieselben, sobald sie directe Auf= träge oder Mittheilungen von dem Monarchen erhalten, dieselben veröffentlichen werden. Wien am 17, Mai 1848. Die interimistischen Minister: Pillersdorff. Sommaruga. Krauß. Latour. Doblhoff. Baumgartner. Dieser Schritt des Kaisees hat unser geliebtes Va= terland in die gefährlichste Lage gebracht. Es haben sich hier die Gerüchte verbreitet, die Person des Kaisers sei bedroht gewesen, und er habe darum flüchten müssen. Alle Briefe, alle Zeitungen, alle Mauer= anschläge, alle Flugschriften, die uns seit dem 15. Mai zahlreich aus Wien zugekommen sind erwähnen mit keinem Worte der minde= sten Bedrohung, auch nur der kleinsten Ge= fahr der Sicherheit der Person unsers Mo= narchen, — ja, das verantwortliche Ministerium erklärt laut in seiner Kundmachung vor ganz Wien, vor der ganzen Monarchie, vor der ganzen Welt, daß es die Gründe der Abreise des Kaisers nicht kenne. Wer will uns gegenüber dieser Thatsache glauben ma= chen, daß die Person des Kaisers wirklich bedroht war? Wer will uns glauben machen, wenn Ereignisse wirklich statt gefunden hätten, die bedrohlich für die Person des Kaisers waren, daß sie allen sechs verantwort= lichen Ministern bis auf den 17. Mai 1848 um 9 Uhr Abends unbekannt bleiben konn= ten? Wir müssen daher offen erklären, daß wir die Abreise des Kaisers von Wien, dieses unheilvollste Er= eigniß in der Geschichte unsers Vaterlandes lediglich dem böswilligen oder hirnlosen Rathe einer Partei zuschreiben müssen, die durch das Aufblühen der Freiheit in allen ihren angemaßten Rechten verletzt, Tag und Nacht nur darauf sinnt, die ihr so verhaßte Freiheit zu verdächtigen, das Volk in die unglückseligsten Verwiklungen zu führen, damit es betroffen schreien soll: gebt uns unsere alten Hofräthe und Kammerherren ,— gebt uns den Metternich und sein System gebt uns den Sedlnitzky und seine Schaaren, — gebt uns die geheime Polizei und die öffent= liche Verschwendung der Staats= und Armeegelder wieder,

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