Zwanglose Blätter, Nr. 7, vom 9. April 1848

großer Zug einen verwundeten Schneidergesellen begleitete. Man hatte einen Offizier vom Pferde gerissen, und den armen daraufgesetzt. Alles schrie: "Seht sein Blut, seht seine Wunden! sie müssen gerächt werden!" "Nieder mit Albrecht! Nieder mit Metternich! Nieder mit der ganzen Teufelsbrut, die auf wehrlose Bürger schießen läßt!" So komen wir in die Wipplinger Straße, wo uns wieder das Gewehrfener der Grenadiere begrüßte. Abermals fiel ein Arbeiter an meiner Seite, den ich zum Chirurgen schleppte. Ich fand ihn in seiner Offizin beschäftigt, mit der Leiche eines blutjungen Burschen, der förmlich im Blute schwamm — Nach diesen schrecklichen Scenen flüchteten alle Studenten rathlos und knirschend vor Wuth, auf die Universität, wo augenblicklich eine Deputation an den Kaiser zusammengesetzt wurde, welche im Namen der ganzen Studentenschaft Waf= fen verlangen sollte. Sie kam zurück beiläufig um 8 Uhr Abends mit der Antwort, man solle sich bis morgen gedulden. Hierauf erhob sich ein Geschrei, das die Wän= de beben machte, man müsse heute noch die Waffen ha= ben, sonst stürmen wir die Burg. Die Deputation eilte zurück, und kam schon um ½ 9 wieder mit der Ant= wort, wir sollen augenblicklich aufs Zeughaus ziehen und dort die Waffen in Empfang nehmen. Wir unterzeich= neten alle, Mann für Mann auf dem Judenplatze und schon nach anderhalb Stunden zogen wir beim Trommel= klang mit wehenden Fahnen durch die hellbeleuchtete Stadt. Die Damen winkten uns zu aus allen Fenstern, Blumen, Schleifen, Schärpen, Kränze überschütteten uns, und das Bravorufen endete nicht eine Minute. Wer das nicht gese= hen hat, kann sich keine Vorstellung machen, es waren die schönsten Stunden meines Lebens. Bis 3 Uhr versahen wir den Patrouille=Dienst, und nach 2 Stunden Schlafes war alles wieder in Reih und Glied. Denn 14. März begann wieder, wie der vorhergehende Tag geendet. Un= aufhörlicher Jubel! Metternich hatte abgedankt, seine Villa am Rennwege wurde in der Nacht zertrümmert. Preß= freiheit und Nationalgarde wurden bewilligt, wir riefen dieses glückliche Ereigniß in allen Straßen aus, und dan= kend schallten die segensreichen Worte von vielen Tausend Lippen, wieder wurden Fahnen uns aus den Fenstern zu= geworfen, und Tausende von Schärpen und Millionen Kranze und Blumen. Inzwischen war die fürchterlichste Gmeute losgebrochen, in Fünfhaus, Sechshaus, Braun= hirschengrund und Meidling Grauenhaftes Gesindel, wie man es nie bei Tage gesehen hatte, wahre Nachtgespenster, Figuren aus Wienergeheimnißen, stürmten und plünderten die Fabriken und Gerichtshäuser, brannten und mordeten ohne Zweck und Wahl; besoffene Kinder lagen auf den Gassen, blutige zerfetzte Kerlen ras'ten in allen Strassen; ihr Anführer trug einen Besen und ein blutiges Tuch darauf als Fahne. Militär konnte nichts mit ihnen ausrichten; doch gelang es uns Nationalgardisten sie einigermaßen zu beschwichtigen. Sie jubelten uns entgegen, Gesichter, überzogen mit Koth und geronnenem Blute drängten sich heran, uns zu küssen, doch plünderten sie im nächsten Augenblicke wieder. Wir haben bis jetzt über Tausend solcher Kerle gefangen, einige erschossen, einige aufgeknüpft. — Während des zweiten Ta= ges vergrößerte sich die Nationalgarde ungemein, da an alle Bürger und Studenten, an jeden, den Besitz und Intelligenz dazu berechtigte, Waffen vertheilt wurden. Jetzt zählt die Nationalgarde bei 50000 Mann. Bürgermeister Czapka entfloh, Polizeipräsident Sedlnitzki dankte ab. Erz= herzog Maximilian wollte aus der Burg mit Kartät= schen auf das Volk schießen lassen, allein der Kanonier Pollet verweigerte ihm den Gehorsam, und stellte sich vor die Kanone mit den Worten: "Nur durch meinen Leib geht der Weg zu diesen wehrlosen Bürgern!" Gegen Abend war die Stadt in Belagerungsstand versetzt, niemand durfte herein, und Militär rückte herbei von allen Seiten. Dieß ängstigte uns am meisten, wir glaubten uns hintergangen auf's scheußlichste verrathen, und wir beschlossen jetzt, kei= nen Patrouille=Dienst mehr ausser den Thoren zu versehen, da vielleicht unsere Gegenwart in der Stadt am nöthigsten sei. Die Nacht ging vorüber, unruhig wie der Tag, und der 15. März brach an. Morgens kam ein ungarischer Magnat in unsere Reihen mit der frohen Botschaft, daß 150 edle Ungarn herankamen, Sr. Majestät zu bitten, er möge allen seinen Völkern eine gemeinsame Constitution verleihen. Das mach= te uns wieder Muth, alle Müdigkeit war verschwunden, und der Jubel brach auf's neue endlos hervor. Sie kamen, wir empfingen sie mit den heißesten Küssen, wir umarmten sie als Brüder, und sie versprachen uns, begeistert wie Boten Gottes, uns beizustehen bis ans Ende, bis die sün= dige Schaar zerstoben vor dem Hauche der neuen Freiheit, sie nannten uns Brüder, die sie bis jetzt als Feiglinge ver= achtet, nun aber mit doppelter Innbrunst an das hoch= klopfende Herz drückten. In diesem Augenblicke reichten sich zwei Nationen die Hände, und ihr Schwur ging durch alle Himmel. In derselben Stunde noch war die "Con= stitution" verkündet. Baron v. Pillersdorf, der popu= lärste Staatsmann in Wien ist zum verantwortlichen Mini= ster des Innern gewählt; ein äußerst glückliches Ereigniß. Windischgrätz ist Stadtkommandant, man ist nicht zufrieden mit ihm, er wird in wenigen Tagen höchst wahr= scheinlich springen. Graf Hoyos ist Kommandant der Nationalgarde, er wird auch seine Stelle bald in die Hände seines jetzigen Adiutanten legen. Heute haben wir eine Adresse an Se. Majestät unterzeichnet wegen Gleich= stellung aller Religionen im Staate. Vorgestern war das Leichenbegängniß der für die gute Sache Gefallenen; bei 30000 Nationalgardisten begleiteten sie zum Grabe; man sammelt schon zu einem Monumente das den Helden auf einem öffentlichen Platze errichtet wird. Heute ist die Künst= lerlegion förmlich organisirt worden, fast alle Professoren sind dabei, Musiker, Schriftsteller ec.; noch erwarten wir den Beitritt von Hunderten. Prof. Bauer, Bildhauer, dessen Frau erschossen wurde, unterzeichnete heute Morgen mit Thränen im Auge; er trat als Gemeiner in die Garde. Wir zählen darunter viele Künstler ersten Ranges. Neuestes. Wien. Sr. k. k. Majestät haben mit allerhöchster Entschliessung vom 25. März l. J. allergnädigst zu befehlen geruht, daß die Postbeamten auf das Strengste dafür ver= antwortlich gemacht werden sollen, daß unter keinem Vorwande das Briefgeheimniß verletzt werde. Mit einem Anzeiger. Verantwortlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredakteur des nichtpolitischen Theiles F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandbök und Haas in Steyr.

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