Steyrer Wochenblatt, Juli 1945, Blatt 9

Wochenblatt Steyrer Seite 4 Die friedensmäßige Entwicklung unseres wirtschaftlichen Lebens beginnt. Die Bürgermeister Steyr=Ost tagten. (Schluß.) Der Bürgermeister von Reichraming erhebt die Forderung, daß in den Landgemeinden das Telefon eingerichtet wird um bei eventuellen Störungs¬ versuchen sofort die Stadtkommandantur verständigen zu können. Herr Jahn gibt die Versicherung, daß dies unmittelbar geschehen wird Zum Schluß der Debatte über die Ernte¬ einbringung versichern alle Anwesenden, daß die Voraussetzungen dazu gegeben sind. Der Mangel an Zugtieren muß teilweise dadurch behoben werden, daß die Pferde einander geliehen werden. Zur Debatte über die Wiederbelebung von Handel und Gewerbe ergriff der Sekretär der Bezirkshauptmannschaft, Herr Petrak, das Wort Eine der wesentlichsten Aufgaben ist die Wieder¬ belebung von Handel und Gewerbe. Wir dürfen nicht warten, bis sich automatisch diese zu regen beginnen. Es geht nicht an, daß z. B. wie in Weyer bei zwei Geschäften die Menschen Schlange anstehen und sich gegenseitig beschimpfen, oder wie ein anderes Beispiel zeigt: In Sand wurden große Mengen von verlagerten Stoffen sestgestellt und als vermeintliches Heeresgut beschlagnahmt. Alle Güter, ie von der deutschen Wehrmacht angesammelt wurden, verfallen natürlich nach Kriegsrecht der Roten Armee. Ueberall, wo gelagerte Güter aufgefunden werden und diese nicht angemeldet waren, verfallen der Be¬ chlagnahme. Wir werden gegen die Besitzer solchen Lager, sofern diese auf der Bezirkshauptmannschaft nicht gemeldet wurden, mit drakonischen Maßnahmen vorgehen. Wir müssen die Gewerbetreibenden zu¬ ammenrufen und mit ihnen beraten, wie wir unter den gegenwärtigen Bedingungen trotzdem den Wirt¬ schaftsbetrieb aufnehmen können. Es geht um der kleinsten Bedarf. Die Bevölkerung braucht dringend Streichhölzer, Seife usw. Wir können nicht eher mit der Beteilung beginnen, bevor wir nicht den Bestand an Waren, die noch in den einzelnen Ge¬ chäften stecken, kennen. Wir in der Provinz dürfen keinen Schritt zurückbleiben, wir müssen so rasch wie möglich das Wirtschaftsleben ankurbeln. Wenn ein Geschäftsmann Lebensmittel bewußt zurückhält, so gehört er wegen volksfeindlicher Einstellung in das Anhaltelager. Die Bürgermeister tragen die Ver¬ antwortung für die gerechte Verteilung der vor handenen Lebensmittel Der Stadtkommandant, der die Debatte auf¬ merksam verfolgte, weist darauf hin, daß es verboten ist, an Rotarmisten rationierte Waren zu verkaufen. Auch wenn der Käufer versucht, mit Ueberpreisen zu bezahlen Sekretär Petrak zeigt ferner auf, daß dort, wo der Geschäftsinhaber, weil er Nazi war, ges lüchtet ist, von der Gemeinde ein öffentlicher Ver¬ walter eingesetzt und das Geschäft sofort wieder eröffnet werden muß. Auch unsere Geschäfte, die heute noch von ehemaligen Nazis, besonders von Illegalen, weitergeführt werden, müssen die Gemeinde¬ vertreter beraten, ob es für die Oeffentlichkeit tragbar ist, daß diese ihre Geschäfte noch weiterführen dürfen. Auf die verschiedenen Klagen der Landgemeinde¬ vertreter wegen mangelnder Zuteilung an Kaffee, Redaktion und Verlag: Dambergga Zucker usw., antwortete Herr Mayrhofer als Vertreter des Wirtschaftsamtes Steyr, indem er die derzeitige Lage der Versorgung schilderte. Wir sitzen heute nicht vor einem vollen Topf, an dem wir den täglichen Bedarf einteilen und abstreichen können der Topf ist leer und muß täglich gefüllt werden. Von dem, was täglich hinein kommt, können wir entnehmen und verteilen. Die Karte allein kann keine Garantie für den Bezug der Waren sein. Wir haben keine Vorratswirtschaft, Steyr ist ein ausge¬ prochenes Zuschußgebiet. Aus unseren eigenen Er¬ zeugnissen können wir notfalls unsere Landgemeinden befriedigen, aber keineswegs die Stadtbevölkerung miternähren. Wir brauchen auf jeden Fall für die jenigen, welche in Arbeit stehen oder als Schwer¬ arbeiter zu betrachten sind, eine Zuschußkarte, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten Als nächster Referent berichtete der Bezirks¬ chulrat Herr Trauner über die bereits geleistete Aufbauarbeit im Schulwesen. Das Schuljahr 1945/46 beginnt am 1. September. 900 Kinder in 23 Schulen mit 76 Klassen sind bereits erfaßt. Um das Fehlen der geeigneten Lehrkräfte auszugleichen, werden in Steyr für Absolventen der Mittelschule Kurse durch geführt. In Arbeitsgemeinschaften werden neue Lehr¬ pläne ausgearbeitet. In Schülergemeinschaften soll sich die Jugend erziehen und der Elternvereinigung der Einblick und die Kontrolle der Schule gegeben werden. Kein Nazi darf jemals in der Jugend¬ erziehung tätig sein, denn sie waren in erster Linie die Träger der faschistischen Propaganda. Diese Ausführungen fanden begeisterten Beifall durch die Anwesenden Zum Thema Schule und Erziehung entwickelte auch der Sekretär des Bezirkes, Herr Petrak, einige neue Gedanken, welche die volle Zustimmung der Anwesenden fanden. Er wies auf das Beispiel hin, welches uns die Sowjetunion und die nordischer Staaten auf dem Gebiete des Schulwesens gaben. Auch die Schule muß demokratisiert werden Herr Dr. Enzelmüller erläutert in tem¬ veramentvollen Worten den anwesenden Bürger¬ meistern, das Gesetz über die Naziregistrierung und weist besonders auf die Bestimmung hin, wonach jeder, der sich von der Registrierung drückt, mit ein bis fünf Jahren Kerker bestraft wird. Auch die¬ jenigen, welche während der Registrierung im Ort abwesend waren, müssen diese bei ihrer Rückkehr sofort nachholen. Es dürfen dabei nur die amtlichen Fragebögen benützt werden, andere sind ungültig Außerdem muß jeder „Pg.“ im Besitz einer Be cheinigung sein, daß er sich registrieren ließ. Als Illegale sind auch diejenigen zu betrachten, welch die Nazipartei während ihrer Verbotszeit durch namhafte Geldbeträge unterstützt hatten. In der Schlußdebatte über die Demokratisierun der Gemeinde und Stadtverwaltung schlugen ver¬ chiedene Vertreter vor, öffentliche Gemeinderats¬ itzungen durchzuführen, an denen die Bevölkerung teilnimmt und so Einsicht in die Arbeit ihrer Ver¬ treter bekommt. Die Bevölkerung soll dabei prak¬ tische Vorschläge machen, wie die Arbeit in den Verwaltungen besser gemacht werden kann Der Vorsitzende der Tagung, Herr Dr. Liebl, schloß die Konferenz, in dem er der Ueberzeugung Ausdruck gab, daß diese Tagung die Notwendigkeit zeigte, immer im engsten Kontakt zu bleiben, um den Wiederaufbau unseres Lebens zu beschleunigen. isse 1. — Druck: Emil Prietzel, Steyr.

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