Steyrer Wochenblatt, Juli 1945, Blatt 5

Seite 4 Steyrer Wochenblatt Vom Hitlerjungen zum Fememörder! Das Produkt der nationalsozialistischen Jugenderziehung. Die Jugenderziehung des nazistischen Terror¬ regims hatte es sich zur Aufgabe gemacht, einen Jugendtyp heranzuzüchten, dem ein Menschenleben und die primitivsten Gesetze der Menschlichkeit nichts blinder Kadaver=Gehorsam jedoch alles bedeutete Sprach man in den ersten Jahren noch von Schule Sport und Spiel, so ließ man im Laufe der Zeit, gezwungen durch die sich rapid verschlechternde Kriegslage des Faschismus, die Maske fallen. Die Schule vertauschte man mit dem „Wehrertüchtigungs¬ lager“, statt Spiel und Sport wurde die Jugend in der Handhabung von Mordwerkzeugen aller Art trainiert Blitzartig werden diese Ausführungen durch den vor uns liegenden Strafakt beleuchtet Der Gefolgschaftsführer der ehemaligen Hitler¬ jugend Viedenz Gerhart wurde auf Befehl des Bannführers Gumpinger aus Wels und des Kompanieführers Landgraf bei einem Pistolen¬ schießen meuchlings erschossen. Den Mord¬ befehl erhielt der Jungenschaftsführer Heiden¬ berger Egon, der heute kaum 16 Jahre alt ist, von Gumpinger. Er hatte den Auftrag, Viedenz so zu erschießen, daß es aussieht, als wäre es ein Unglücksfall. Auf seine Frage, weshalb und warum bekam er als Antwort, er habe nicht zu fragen, Befehl sei Befehl. Viedenz, der wegen seiner oppo¬ sitionellen Haltung von Gumpinger und den übrigen „Bannführern“ gehaßt wurde, sollte auf eine so heimtückische Art ermordet werden. Landgraf, der von der Weigerung Heidenbergers, den Mordbefehl aus¬ zuführen, Kenntnis erhielt, drohte ihm, falls er Viedenz nicht erschießen wolle, würde er selbst beide erschießen. Im April dieses Jahres veranstaltete die „Führerschaft“ des HJ.=Zuges ein Pistolenschießen, bei dem Viedenz von Heidenberger unter Vor täuschung eines unglückseligen Zufalles angeschossen wurde. — Er erhielt einen Bauchschuß, brach zu sammen und wurde abtransportiert. Gumpinger be¬ merkte später zu Heidenberger: „Dein Glück, daß dr geschossen hast!“ Um Viedenz kümmerte sich von der Die Welt ist so schön und weit! Welt ist so schön und weit! Wimpeln flattern im Winde, junge Menschen junge Seelen wandern durch Wälder und grüne Auen Das Lausatal hallt wieder von den frischen Stimmen unserer Buben und Mädel. Auf zwei Tage sind sie hinausgewandert zur Mutter Natur, in Frohsinn und Heiterkeit verleben sie diese zwei Tage. Auf der Höhe, rings von Bergen und grünenden Hügelketten umgeben, liegt das ehemalige RAD.=Lager, unser Wanderziel. Holzbaracken umstehen einen festgewalzten Platz, den Appell= und Exerzierplatz. Mit einem freien Lied und Jauchzen zieht unsere Kinderschar ein. Wenn Wände sprechen könnten, würden sie ein dummes Gesicht machen. Denn diese Wände sahen jahrelang nur bedrückte Gesichter und hörten nur charfe Kommandos. Auf dem Exerzierplatz wurden die Jungen geschliffen und gedrillt und zum be¬ dingungslosen Kadaver=Gehorsam erzogen. Jetzt sind in diese Lager wieder Frohsinn und Freude ein¬ gezogen. Dort spielt eine Gruppe von Buben und Hitlerjugend niemand mehr. — Erst im Juni erfuhr Heidenberger, daß Viedenz im Krankenhause Steyr an seiner ihm mit voller Absicht beigebrachten Schu߬ verletzung erlegen ist Gumpinger wird als brutaler, gewalttätiger Mensch bezeichnet, der rücksichtslos und gewissenlos zu jeder Tat fähig war. Nur durch Brutalität sind sie in der HJ. zu Mördern ihrer eigenen Kameraden geworden. Landgraf war genau derselbe Typ und die rechte Hand Gumpingers. Auch diesem Mann kam es auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht an. Er drohte dem Jungen mit der Pistole, als er zögerte, den Befehl Gumpingers auszuführen. Land¬ graf war derjenige, der die Jungens auf dem Kasernhof derart schleifte, daß sie vor Erschöpfung zusammen¬ brachen. So exerzierte er mit ihnen in einen Nacht ununterbrochen vier Stunden. Willenlose Unterwürfigkeit gegen ihre Vor¬ gesetzten und rücksichtslose, feige Hinterhältigkeit geger ihre eigenen Kameraden, das waren die Früchte nazistischer Jugenderziehung Ein junges, blühendes Menschenleben, der Stolz und die Freude seiner Eltern, wurde hinter¬ hältig ermordet. — Die geistigen Urheber diese Fememordes werden der rächenden Nemesis nicht entgehen. Väter, Mütter, an alle Erzieher und Verant¬ wortlichen unserer Jugend ergeht der mahnende Ruf. Schwer sind die geistigen und körperlichen Schäden, die der Faschismus unserer Jugend zugefügt hat. Ungeheuerlich sind die Verbrechen des Nazismus am österre chischen Volke. Es ist die heiligste Pflicht aller Verantwortlichen, ihre ganze Kraft einzusetzen, unsere Jugend herauszuführen aus dem Irrgarten nazi¬ stischer Verblendung! Erzieht unsere Jugend zu offenen, gerade denkenden Menschen, damit sie das Erbe ihrer Väter, ein freies, unabhängiges, demokratisches Oesterreich, übernehmen können. — Nie mehr darf sich der Faschismus erheben, der unsere Jugend zu Ver¬ ächtern der Menschlichkeit, zu Mördern, erzog. Mädel Völkerball, hier bewegt sich eine Schar im Reigen und spielt „Ein Bauer ging ins Holz“ Die einbrechende Dunkelheit beendet den frohen Tag. Die Buben haben natürlich noch eine klein Ueberraschung für die Mädels ausgehegt, die „Geister¬ stunde". Aber die Müdigkeit war stärker als der „Geist“. Es wurde immer ruhiger um uns. Langsam schliefen die vom Spiel und Wandern ermüdeten Körper ein. Da und dort liegt ein „Geist“ ein¬ gewickelt in ein weißes Leintuch, atmet ruhig und verschläft die Geisterstunde. Der Tag erwacht, jauchzende Kinderstimmen erklingen. Mit Hurra geht es in den Waschraum. Wasser spritzt und planscht umher. Ein Junge reibt sich den Schlaf aus den Augen. Der Gong ruft alle zusammen zum Früh¬ stück. Es gibt Milch und Butterbrot mit Quark belegt. Draußen ist der Himmel bewölkt, schon fallen die ersten Tropfen. Das stört jedoch unseren Froh¬ sinn nicht. Genosse Rattmoser hat ein kleines lustiges Programm bereit. Er ist uns kein Un¬ bekannter. Schon in unseren Kinder= und Jugend¬

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