Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882
80 Man muss es anerkennen, dass wahrscheinlich, so lange in der Stadt Steyr Rats- und Bürgermeisterwahlen überhaupt vorgenommen worden sind, wohl kaum jemals so frei von allen Einflüssen der kaiserlichen Behörden gewählt worden ist. Am 28. Februar wurde endlich die längst sehnsüchtig erwartete Verfas- sung Österreichs publiziert, allein selbe erregte, wie alles zu spät und nur ab- gerungen Gegebene, nicht den Dankesenthusiasmus, der ihr im vorigen Jahre gefolgt sein würde, denn die seither versuchten und natürlich verunglückten ständisch - adeligen Experimente und die dadurch veranlasste faktische Tren- nung der Ungarn haben alles Vertrauen vernichtet, daher auch das Silberagio nicht unter 45 % herabging. Festlichkeiten fanden hier ebenfalls nicht statt. Die bevorstehenden Landtagswahlen nahmen im März das ganze öffent- liche Interesse in Anspruch und allenthalben, auch bei uns, finden zahlreiche und sehr bewegte Wahlbesprechungen statt. Am 18. wählten hier die Land- gemeinden der ehemaligen Bezirkshauptmannschaft Steyr trotz aller Gegen- intrigen zwei Bauern zu Vertretern. Die Wahl der städtischen Abgeordneten fand am 21. im Ratssaal statt. Am Vorabend war eine Wahlbesprechung im Saale „zur Gans“, wo der Herr Bürgermeister A. Haller als Kandidat auftrat und wo sich von Seite, der Kreisgerichtsbeamten und der zahlreichen Partei des Armaturerzeugers J. Werndl eine heftige Opposition kundgab. Allein demungeachtet wurde bei der Wahl, an welcher sich von 513 Wählern bloß 286 beteiligten, der Bürger- meister A. Haller mit 224 Stimmen gewählt, während Herr Werndl bloß 45 Stimmen, der Advokat Dr. Kompaß 13 Stimmen erhielt. Unser Gemeindesek- retär Herr Aichinger hatte bei den übrigen Industrialorten, welche in Enns zu- sammentraten, kandidiert, und seine mächtige Partei hatte in Enns, Sierning und Weyer gewaltig agitiert: allein er ist demungeachtet gegen den Bürger- meister v. Gruber in Enns durchgefallen. Eine heftige Fehde zwischen dem mit einem seltenen Talent ausgestatte- ten und durch sein energisches Auftreten bekannten Gemeindesekretär Aichinger und dem neuen Gemeinderat Dr. Pierer kam zum Ausbruch und letzterer erklärte öffentlich das „kostspielige Sekretariat als ganz überflüssig“ und verlangt, dass dem Sekretär das Gewerbereferat entzogen und derselbe vom Sitze am Ratstisch ausgeschlossen werde. Am Freitag den 5. ist unser Herr Bürgermeister als Steyrer Landtagsabge- ordneter zur Eröffnung des Landtages nach Linz abgereist, die dort im
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