Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882

73 1860 Das Jahr, welches für unser armes, am Rande des Abgrundes stehendes Vaterland so vieles nachzuholen und gutzumachen hätte, beginnt leider schon wieder mit Extremitäten, indem am Neujahrstage ein bedeutendes Hochwasser war, welches sogar den neuen Kai überschwemmte und am heil. Dreikönigstage die Leute ohne Röcke vor den Häusern sahen, ein Ei 4 Neukreuzer kostet und von Silbergeld gar keine Spur zu sehen ist, indem das Agio zu 26 % steht, endlich plötzlich mit überstürzender Hast an abermaligen Amtsorganisierungen und großartigen Ersparungen, Ämteraufhebungen usw. von zusammenberufenen Vertrauens-Kommissionen beraten wird, und in Ungarn und Italien eine kühne und allgemeine Agitation betrieben wird. Bei unserer Stadtverwaltung finden vielfache Beratungen der, aus 17 Ver- trauensmännern bestehenden Kommission zur Ausarbeitung eines neuen städt. Gemeindestatuts anstatt des seit dem Jahr 1850 ohnehin so ziemlich passenden Statuts statt. Nachdem nun der Entwurf am 24. Jänner von dem Plenum des Gemeinderates beraten und in wenigen unwichtigen Punkten ab- geändert worden war, wurde selber der Statthalterei vorgelegt. Die Autono- mie der Gemeinde ist in demselben möglichst gewahrt. Die Aufwühlungen gegen unser Venetien und gegen den Papst und die offen dargelegten Pläne Napoleons und Sardiniens tragen den bedrohlichsten Charakter, weshalb auch das Silberagio zu Ende Jänner aus 35 % stieg. Am 26. Februar wurden unsere Stadtrepräsentanten Bürgermeister Gaffl, Vizebürgermeister Anton Haller, Sekretär Aichinger, Gemeinderat Lechner und Vertrauensmann Franz Wickhoff jun. von der Statthalterei zur Vereinba- rung der Gemeindeordnung nach dem von hier vorgelegten Entwurf einberu- fen, welche in Linz unter dem Vorsitz des Statthalters Ed. Freiherrn von Bach drei Tage in Anspruch nahm und sehr befriedigend ausfiel. In unserer Gemeindevertretung herrscht ein tiefes Zerwürfnis, und zwar zwischen der Majorität des Gemeinderates unter der Leitung des Vizebürger- meisters Herrn Anton Haller, Lebzelters, und des Sekretärs Herrn Georg Aichinger und dem Bürgermeister Anton Gaffl; und zwar wurde ein von dem letzteren einseitig mit dem Ärar wegen Übernahme der Verzehrungssteuer der Wirte und Fleischhauer per 15.624 fl. zur Einhebung durch die Gemeinde abgeschlossener Vertrag zum Vorwand genommen, um ihm ein Misstrauens- votum zu stellen, worauf er am 25. März bei der Kreisbehörde seine

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