Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882

25 1849 Im verflossenen Jahr schon trat in der allgemeinen Völkerbewegung die Krisis ein, und jetzt sind alle staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in neuer Gestaltung begriffen, mit Ausnahme Italiens, wo noch alles im Strudel durcheinander geht. Die Wiedereroberung Ungarns geht rasch von sich und die ganze Frage: ob und wie sich Österreich an Deutschland anschließen wird, bringt eine gewaltige Bewegung hervor. Der österreichische Reichstag ist leider noch bei dem § 1 der Grundrechte. Am 5. Jänner rückte die österreichische Armee in Pest und Ofen ein. Hier herrschen viele Krankheiten, und mehrere Hundert Kinder u. Erwach- sene blattern. Nach mehrtägigem, schnellen warmen Regen trat am 15. Jänner Hoch- wasser ein, und die ungeheure Eismasse setzte die Häuser am Wehrgraben unter Wasser, sogar die beide Wehren oberhalb der Steyrbrücke wurden weggerissen. Im Februar sieht es in der politischen Welt ebenso stürmisch aus, in Un- garn wütet der Krieg noch mit vandalischer Grausamkeit und Verwüstung, in Mittelitalien Anarchie und Republik. Am 5. März war hier im Ratssaal die Losung der Militärpflichtigen nach dem neuen provisorischen Rekrutierungssystem öffentlich; und obwohl man sehr für Aufrechterhaltung der Ruhe fürchtete, und an manchen Orten auch arge Exzesse vorfielen, so blieb es hier doch ganz ruhig. Am 7. März kam hier die Estafette mit der unerwarteten Nachricht von der Aufhebung des übelberüchtigten Reichstages und der vom Kaiser verlie- henen neuen Reichsverfassung für die ganze Monarchie an. Am 18. wurde hierauf auch hier das Konstitutionsfest gefeiert mit Kirchen- parade, Zapfenstreich und einem Theater von radikalen Dilettanten, dessen Ertrag für die — zu errichtende deutsche Flotte bestimmt war. Am 21. und 22. war hier die Rekrutierung. Das Steyrer Kontingent betrug 52 Mann, aber es konnten bloß 15 aufgebracht werden. Trotz der großen Furcht vor Krawallen blieb alles ruhig, denn das ultraradikale Element ist jetzt ohnmächtig. Zur Deckung der Rückstände und zu den Bauten bei Adaptierung der neuen Gerichte usw. will die Stadt Steyr 30.000 fl. C.-M. zu leihen nehmen, da ein Ver- gleich von Obligationen der niedrigen Kurse wegen jetzt nicht tunlich ist.

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