Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882

23 Am 22. kam der Reichstagsdeputierte Kudlich, welcher die Bauernbefrei- ung im Reichstag durchgesetzt hatte, von einer in Oberösterreich zur Organi- sierung des Landsturmes unternommenen Reise in Steyr an, wo der Sammel- platz sein sollte; allein er hat nirgends Anklang gefunden. Am 24. Oktober hat sich der neue Gemeindeausschuss hier als konstituiert erklärt. Am 25. wurde die hiesige Nationalgarde-Artillerie-Batterie mit Kugeln auf die Scheiben probiert und von der 1. Schützen-Kompagnie ebenfalls auf die Scheibe geschossen; beides auf dem Exerzierplatze in SteinfeId. Es ist auch bereits seit 14 Tagen im Laveran-Gastgarten in Vogelsang ein Laboratorium errichtet, wo 10.000 scharfe Patronen für die hies. Nationalgarde verfertigt werden. Seit 1. Oktober ist auch eine ständige Hauptwache im Gewerk- schaftsgebäude am Stadtplatz. Am 28. wurde die große Glocke eines erlittenen unscheinbaren Sprunges wegen vom Stadtpfarrturm zum Behufe der Umgießung herabgelassen. Sie wiegt 52 Zentner. Am 31. Oktober ließen sich 9 Steyrer Radikale verleiten, nach Linz zu fah- ren, um von den Militär- und Nationalgarde-Kommandanten die Aufrufung des Landsturmes zu erwirken. Kirchliche Bittprozessionen wegen Abwendung des auf allen Seiten dro- henden und bereits ausgebrochenen Bürgerkrieges. Wien ist seit 23. Oktober von ca. 80.000 Mann Truppen eng zerniert, im Innern verbarrikadiert, und an allen Linien wird gekämpft. Am 28. wurden die Vorstädte Leopoldstadt und Landstraße usw. und am 31. das Burgtor und so- mit die Stadt erstürmt; hierauf die ganze Stadt in Belagerungszustand erklärt und entwaffnet, wonach die Hinrichtungen begannen. Am 3. November brach in Lemberg der Aufstand aus, die Stadt wurde bombardiert, in Belagerungs- zustand erklärt und die Universitäts-Aula zusammengeschossen. So hätten wir denn nun die Anarchie und Studentenherrschaft wenigstens vor der Hand los; — der Himmel bewahre uns aber jetzt vor dem anderen Extrem, nämlich einem dauernden Militär-Despotismus. In Wien wurden im Laufe des November 10 standrechtliche Todesurteile mit Pulver und Blei vollzogen. Am Ende des Monats November wurde hier das am Schnallentor gestan- dene sogenannte Messererkreuz in die Mitte des bereits planierten und mit Obstbäumen wieder besetzten Wieserfeldplatzes versetzt.

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