Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882
22 Im September stehen auch bei uns Arbeiterunruhen in Aussicht, große, von mehreren Hundert Gesellen besuchte Versammlungen finden statt. Am 20. September war der erste militärische Kondukt bei der National- garde-Schützenlegion. Der verehelichte Kanzleipraktikant Georg Leitner ist nämlich am 18. gestorben. Die Zeiten werden immer ernster und leider droht bereits die goldene Freiheit in der Anarchie und dann zuletzt unvermeidlich im militärischen Des- potismus wieder unterzugehen. In Wien und Berlin fanden schon unzählige Krawalle statt, und im Sitze der deutschen Einheit, in Frankfurt a. M., wurden am 18. von der anarchischen und republikanischen Partei zwei Reichsdepu- tierte ermordet und dann die Barrikaden mit Kanonen zusammengeschossen. In Ungarn, welches sich in im März faktisch von Österreich getrennt hat, wütet der Krieg der Magyaren gegen die Slawen. Überdies tritt auch die Cho- lera wieder in ganz Europa auf. Das ganze Untertänigkeitsverhältnis der Bauern ist bereits nebst Zehent, Dienst, Robot, Mortnarium und Landemium, so wie auch die ganze Patrimo- niaI- und Kommunal-Gerichtsbarkeit durch das konstitutionelle Gesetz vom 7. September aufgehoben. Das Heer diesfälliger Beamten erwartet nun sein trauriges Los ab, und wer bei den zu errichtenden neuen provisorischen lan- desfürstlichen Gerichten Unterkommen, oder — künftig betteln gehen wird. Es ist also jetzt wirklich der, seit mehr als hundert Jahren prophezeite Herren- staub eingetreten. Am 30. September kam endlich die Ministerial-Kommission zum ersten, und am 17. Oktober zum zweiten Mal hierher. Die Kommissionen waren von allen Pflegern und Gemeinderichtern besucht, stürmisch und langwierig. Am 8. Oktober war im Ratssaal die Wahl des neuen, aus 30 Gliedern be- stehenden Gemeinderates, welcher künftig die Stadt bevormunden wird. In Wien kam es am 6., 7. und 8. Oktober zu einem neuen traurigen Bür- gerkrieg, wobei der Kriegsminister Graf Latour ermordet und an einem Later- nenpfahl aufgehängt wurde, mehrere Hunderte ihr Leben verloren, und wodurch der Kaiser wieder zur Flucht bewogen wurde. Darauf nahm die Gar- nison außerhalb der Stadt eine feste Stellung, der Kroatengeneral Jellachich zog mit seiner Armee aus Ungarn und Fürst Windischgrätz aus Böhmen heran und zernierten die Stadt Wien, welcher wieder von allen Seiten bewaffnete Nationalgarden und Landsturm zu Hilfe eilen. Die halbe Wiener Bevölkerung ist ausgewandert.
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