Stephan Willner - Annalen der Stadt Steyr 1839-1882

124 1870 Am Jahresbeginn muss die allgemeine Staatslage als sehr günstig betrach- tet werden, denn unter einer verfassungsmäßigen, freisinnigen Regierung blühen allenthalben Industrie und Handel und Banken und Aktiengesellschaf- ten schießen wie die Pilze empor, was natürlich auch ein weiteres Sinken des noch immer über 20 % stehenden Silberagios verhindert. In Steyr ist auch der allgemeine Aufschwung in jeder Beziehung unverkennbar und die im Jänner 1870 abgeschlossene allgemeine Volkszählung weiset eine anwesende Bevöl- kerung in der Stadtpfarre von 5236 und in der Vorstadtpfarre von 8381, zu- sammen also von 13.617 Personen aus. Gegen die letzte Volkszählung vom Jahre 1857 eine Vermehrung von 2882 Personen. Bedeutende Sorgen stehen der Stadtkommune durch die unabweisliche Or- ganisierung der Unterrichtsanstalten bevor, indem die städtischen Schulen in Ennsdorf und Aichet überfüllt sind, die Unterrealschule dem Bedürfnis nicht ge- nügt und anstatt oder neben derselben eine Bürgerschule beantragt wird. Übrigens ist in Steyr die Wohnungsnot bereits aufs höchste gestiegen. Es hat sich wohl unter den Arbeitern eine Aktiengesellschaft unter der Protek- tion des Herrn Werndl gebildet, welche auf dem von ihm geschenkt erhalte- nen Voglfeld zehn neue Häuser zu Arbeiterwohnungen erbauen will, allein damit wird besonders für honettere Parteien noch nicht viel geholfen sein. Der schöne Bauplatz auf der Ennsleiten, nämlich das Feld der Bäuerin Th. Seidl und der der Eisenbahnbauunternehmung gehörige Rest der Haller Felder bleibt wegen überspannten Preisen leider unbenützt. Am 9. Jänner, abends halb 10 Uhr brannte von dem zuerst aus der Jocher Papiermühle erbauten Werndl'schen Fabriksgebäude der Dachstuhl und das zweite Stockwerk aus unbekannter Ursache ab. Am 30. der schönste Wintertag, wo auf der Ennsleiten und durch den Bahnhof ein sehr zahlreich besuchtes und elegantes, vom Kürschner Schrei- ner arrangiertes Schlittenwettfahren stattfand. Am 2. Februar wurde bei 10 Grad und eisigemOstwind, nachmittags ein von der Stadtgemeinde veranstaltetes noch eleganteres Schlitten Wettrennen mit hübschen Maskenzug, beritten und zu Fuß, auf demselben Platz abgehalten, wobei für die Armen der namhafte Betrag von 388 fl. eingegangen ist. Am 6. Februar fand wieder ein Privatschlittenrennen auf der sogenannten Schwarzmeier Wiese statt.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2