Steyrer Werksarbeiter, 23. Jg., Dezember 1970, Nr. 7

Das Familienrecht geht von der Familie aus Bulgarien praktiziert Demokratie für den täglichen Gebrauch Aus der Fülle von Eindrücken und Erfahrungen, die eine Delegation der KPÖ (bestehend aus den Genossen Karl Zenker, Max Thum, Otto Trem! _und _Karl Frick) bei einem Besuch bei der bulgarischen Bruderpartei, in , Betrieben und landwirtschaftlichen Genossernchaften sammeln konnte, sticht hervor, daß im sozialistischen Bulgarien Demokratie und Mitbestimmung jedes einzelnen keine Angelegenheit für besondere ,,Feiertage" wi·e etwa bei uns bei der Werbung von Wählerstimmen 1st, sondern systematisch zur Einrichtung für den täglichen Gebrauch wird. Anders wäre es auch nicht zu erklären, wie es den bulgarischen Kommunisten gelingen konnte, innerhalb weniger Jahrzehnte die Wirtschaft des Landes „urnzukrernpel·n", aus dem . rückstärrdigen Agrarland einen Industrie-Agrar-Staat zu bauen. Wohl ve1weisen in Bulgarien alle, mit denen die Delega-tion gesprochen hat - und das waren Arbeiter wie Parte ifunktionä re, Gewerkschafter wie Genossenschaitsbauern -, auf die mate rielle und pe rsonelle Hilfe der Sowjetunion, besonders beim Aufbau der Industrie - aber was nützt jede Hilfe, wenn sie nicht entsprechend verwendet wird? AM BEISPIEL KREMIKOVTSI So entstand etwa das Hüttenkombinat Kremikovtsi , das re iche Erzvorkommen bei Sofia abbaut und verarbeitet, das sich mit seinen 18.600 Beschäftigten überall in Europa „sehen lassen" kann, das aber in der für die Arbe iterschaft entscheidenden Frage, nämlich selbst über ihr Werk und damit ihr Leben zu bestimmen, turmhoch über jedem kapitalistischen Betrieb steht. Alle wichtigen Fragen des Werkes werden von einem Komitee beschlossen, in dem die direkt 1n der Produktion stehenden Arbeiter der Abteilungen zu sechzig Prozent ve rtre te n sind, die Mitglieder des Komitees wi eder werden von einer Delegiertenversammlung gewählt, deren Teilnehmer direkt aus den Abteilungen kommen und dort das Vertrauen erhalten haben, etwa darüber zu beschließen, wie der Produktionsplan für das kommende Jahr in Absti mmung mit dem staatlichen P_lan aussehen soll, zu entscheiden, was mit dem · dem Werk verbleibenden. Gewinn geschieht - der Betrieb braucht Wohnun- _gen, braucht Schulen und Kur~e um eines der größten Probleme der Junge n bulgarischen Industrie, die Heranbildung von Facharbeitern und Ingenieuren zu lösen. Für eine Scheindemo1<ratie, wie etwa die „großzügige" Aufnahme__eines Betriebsratsobmannes in den Auts1chtsrat - aber ohne Stimmrecht -, ist in dieser sozialistischen Betriebsdemokratie kei ne Notwendigkeit und auch kein Platz , denn durch die direkte Teilnahme am Ge~d-iehen,, ,.die ~, ständige Kontrolle dessen, · ,vas beschlössen· wurde, durch die gewählten Gewerkschaftsvertreter kann der Arbeiter nicht nur reden, sondern mitbestimmen. AM BEISPIEL VARNA In der erst im April fertiggestellten Manometerfabrik in Varna bilden 146 Mitglieder, davon 95 in der Produktion stehende Arbeiter, die De legie rtenversammlung, die das elfköpfige Werkkomitee wählt. Auf die Frage, was gesch ieht, wenn di eses Komitee einmal nicht richtig den Beschluß der Versammlung ausführt, gab es nur ein Lächeln. Erstens: Wir diskutieren darüber, wer recht hat, ob es nun um eine techni sche Entwicklung geht, um den Produktionsplan oder um Gehälter und Prämien. Zweitens: Es gibt nächsthöhe re Instanzen - die ja ebenfalls gewählt wurden-, und wenn sich schließlich so viele Köpfe mit ei nem Problem beschäftigen, wird es zur richtigen Lösun g kommen. Und bis dorthin wird abgewar tet? Dazu haben wir nicht Zeit, bis dor thi n gilt die Entscheidung des Direktors, der als Fachmann seinen Teil der Vera ntwortung trägt. AM BEISPIEL DROP'LA Die landwirtschaftliche Kooperative von Dropla in Südbulgarien sitzt auf reichem Boden im Ausmaß von 5000 Hektar. Der von den Genossenschaftsbauern gewählte Vo lksrat nutzt seine Möglichkeiten neben der Ve rbesser ung der Erzeugung und damit des Lebensstandards vor allem auch zu r Hebung des Bildungsniveaus - ;ein we iteres für das bulgarische Vo lk bedeutendes Erfordernis , Wer zum Beispiel die neue rbau te achtklassige Schule in Dropla mit ihren 25 Lehrkräften für 270 Schüler aus drei Dörfern gesehen hat, in den modernst eingeri chteten U~te:.richtsziJn.• mern einschließlich d.en Lenrraumen ,ur grundlegende technische Aus,bilclung der Kinder gestanden ist, der Kommt der Lösung, wie diese rasche wirtschaftliche Entwicklung Bulgariens möglich gewesen ist, wieder einen Schritt näher. Hier wer • den nicht einfach von oben Schul zusammenlegungen oeschlossen und mit Bedauern festgestellt, man habe eben nicht mehr Lehrer, sondern die Bewohner der Dörfer selbst haber, erkannt, was bessere Bildung heißt und dag man dafür Investitionen gut anlegt. 18.000 FACHLEUTE •.. Und doch wird im heutigen Bulgarien überal:1 von der weiteren Verbreiterung der Demokratie gesprochen, aber es wird nicht nur gesprochen, sondern sie wird auch durchgeführt. Jede Gesellschaftsform - auch der Sozialismu1 - entwickelt sich weiter. Das Entscheidende dabei ist, daß sich ' durch die demokrat ischen Grundlagen dieser GeseHschaft die Entwicklung nicht in Richtung weiterer Wirtschafts- und Machtkonzentration für eine kleine Gruppe bewegen kann, sondern zur Verbreiterung der Mitbestimmung des einzelnen führt . E,in neuer Familienkodex ist deshalb nk:ht Sache einer ,.Fachkommission" - schließlich betrifft alles, was mit Eherecht zusammenhängt, fast alle Einwoh.ner -, sondern vorerst einmal Gegenstand eines allg.emeinen Meinungsaustauschs, wobei die konkrete Formuiie'rung . dann durch die Juristen erfolgen muß, Immerhin haben mehr als 18.000 Bulgaren zu diesem neuen Familienkodex Stellung genommen, mehr als 1600 Änderungsvorschläge zum ursprünglichen Entwurf waren zu bearbeiten. Dieser Weg wird nun besonders auch bei der Ausarbeitung der neuen- Verfassung gegangen. Die Gesetzgebungskommission im Parlament, die bisher hauptsächlich Gesetzentwürfe zu beraten hatte, die vom Ministerrat, von Ministerien, der Gewerkschaft oder der Vaterländischen Front - der aus dem Widerstan-dskampf stam- 'menden Dachorganisation - kamen, wird in Zukunft nicht nur im Volk diskutierte, sondern direkt von Fabriken, Genossenschaften oder auch Einzelpersonen erstattete Vorschläge zu Gesetzen zu behandeln haben. Mit Illusionen hätte man nicht die entscheidenden Voraussetzungen .für das soziali stische Bulgarien schaffen können, auch heute zielt all~s darauf hin, die weiteren Schritte der Erweiterung der Demokratie durch die Mitarbeit des Arbeiters und Ingenieurs im Betrieb, der Genossenscha fts bauern oder der Wissenschafter zu verwirklichen. Die bulgarischen Kommunisten, die diese Entwicklung leiten, und mit ihnen alle Bulgaren haben dabei aber einen Wunsch an alle Völker Eu-ropais: daß man s·ie in Frieden weiterarbeiten · läßt. So ist auch das Zustaodekommmen einer europäischen Sicherheitskonferenz für s,i·e keine Sache der Diplomatie allein. Sie gfauoen, dai1 eine solche Konferenz zustande kommen wird, trotz verschiedene r Widerstände ,und Verzögerungstaktiken ma-ncher kapitalistischer Regierungen. Diese Sicherheitskonferenz würde allen europäischen Völkern dienen, und sie liegt daher auch · in ihrem ureigensten Interesse,

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