Werkruf - Jahrgang 6 - Weihnachten/Neujahr 1943/1944

Es ist eine geheimnisvolle Zeit, die Zeit der „Zwölfnächte —der längsten des Jahres —heilig und unheimlich zugleich. Die Sonne hat ihren tiefsten Stand erreicht. Beim Leuchten der Sonnenwendfeuer sank Balder, der Sonnengott, ins Grab. Nun, wenn am Tannen¬ baum Schnee und Reif wie Lichtlein glitzern, erwacht er zu neuem Leben, und mit ihm tut sich das Reich der germanischen Götter auf. Wotan und Perchta, Thor und Sif melden sich und mit ihnen all die guten und bösen Geister. Die Mächte der Finsternis haben nun die stärkste Macht. Den Menschen aber öffnet die Nähe der Überirdischen die Schleier der Zukunst. Es ist die Zeit, wo der Wilde Jäger auf fliegendem Roß durch die Lüste stürmt, manchmal allein, ost aber als Anführer eines ganzen Heeres unheimlicher Gestalten; es ist das Totenheer, die Schar der unerlösten Seelen. Das „Wilde Gjoad“ geht um, sagen dann die Bauern in Enns= und Steyrtal mit leisem Grauen. Es ist nicht ratsam, diesem Heer auf offenem Felde zu begegnen. Sich flach auf die Erde werfen, Hände und Füße überkreuzt, und erst wieder aufstehen, bis die unheimliche Schar hinweggebraust, ist das beste. Hunde und Pferde sollen in diesen Nächten gut ange¬ hängt werden, denn sonst „müssen sie mit.“ Mancher Bauer hat dann am Morgen seinen Rappen schweißnaß und zitternd im Stall ge¬ funden und mit Schrecken erkennen müssen, daß sein Roß die ganze Nacht das wilde Jagen mitgemacht hat. Alte Leute in den unweg¬ samen Gebirgstälern raunen noch heute einander zu, daß Wotan selbst es sei, der in diesen finsteren Nächten das Totenheer durch die Lüste sagt. Ebenso uralt wie dieser Glaube ist das Opfer an den Windgott, von dem noch viele Bäuerinnen im Enns= und Steyrtal erzählen. Sie nennen es „Windfuadern“. Die Bäuerin legt von den Speisen, die sie auf den Tisch bringt, ein weniges auf ein Brettchen und versteckt es in der Krone eines Baumes. Oder sie streut Mehl, Grieß, Brotbrösel, Salz und gemischtes Getreide in den Wind und sagt dazu: Wind, da hast du was zum Fressen!“ Aber nicht nur den Wind, auch die anderen Elemente, auch Wasser und Feuer gilt es in den Rauhnächten durch ein Opfer günstig zu stimmen. Die Liesl Österschiel im Neustistgraben wirst in den drei Haupt=Rauhnächten — der Thomasnacht, der Neujahrsnacht und der Dreikönignacht — drei Knödel aus Brotteig in den Bach. Und die alte Blasin vom Sonnberg schmeißt beim Backen stets den ersten Krapfen ins Feuer zurück, auch Brösel, Salz und Zucker kehrt sie sauber zusammen, um das Feuer damit zu „fuadern.“ Dach nicht nur die Elemente werden versöhnt, der Bauer trachtet in diesen aus fernem Urerinnerungsvermögen her gefahrenumwitterten Rauhnächten durch allerlei altüberlieferte Handlungen all sein Hab und Gut vor künftigem Unheil zu schützen. Dazu gehört das „Raucka¬ gehn' zu Weihnachten, Neujahr und zu Dreikönig, der Brauch, der den Rauh=(Rauch=) Nächten ja ihren Namen gegeben hat. Wie überall in deutschen Landen, geht auch bei uns der Bauer an diesen drei Abenden mit der Räucherpfanne durch alle Räume seinen Hofes, durch Keller und Stall, Stube und Stadel und meist auch ein Stück aufs Feld hinaus, damit überall der reinigende und segenbringende Rauch hindringe und die Keime von Unheil und Krankheit vernichte. Während des Räucherns darf im Hause kein Licht brennen. Kommt der Bauer vom Rauckagehn zurück und ist die Hausgemeinschaft in der Stube wieder beisammen, dann halten die Männer die Hüte, die Frauen die Kopftücher über die heilige Glut; böse Gedanken, Schwären und Schmerzen werden damit gebannt wie die bösen Geister. Auch für das Wachstum des kommenden Jahres wird vorgesorgt. In der ersten Rauhnacht strecken sich alle, während sie um die Räucher¬ pfanne stehen, hoch empor, damit das Korn im nächsten Jahre recht hoch wachse, in der Neujahrsnacht stellen sie sich ganz dicht zusammen, damit der Weizen dick“ stehe, und in der Dreikönignacht ducken sie sich breit nieder; dann soll das Kraut breit und schön gedeihen. Die Kinder aber nehmen einen Krapfen in den Mund, laufen damit in den Garten, küssen die Obstbäume und sprechen dazu: Bam, Bam, i buß di, wiar so voll als wiar mei Maul!“ Denn in den Rauhnächten, wo alles noch im Keime liegt, entscheidet sich bereits die Frucht¬ barkeit des nächsten Jahres. Der Most gärt in der Heiligen Nacht, in guten Jahren geht er sogar in den Fässern über. Mit ganz besonderer Sorgfalt wird in den Rauhnächten der Mensch und auch das Vieh gefüttert, denn „Essen und Trinken halt' Leib und Seel z'samm'. Schon zur Thomasnacht trägt die Bäuerin ein besseres Abendessen auf, und in der Heiligen Nacht, wenn die nach Tannenreisern und Weihrauch duftende Stube nur noch von der großen Heilnachtkerze erleuchtet ist, werden Störbrot und Kletzenbrot, Krapfen und Schober aufgetragen, Apfel und Rüsse, Most und Troadener gereicht. Nach der Heimkehr von der Mette gibts noch Brat¬ würstel und am Stephanitag, beim „Heberbäuerln“, bewirtet der Bauer seine Inwohnerleut gar ausnehmend reichlich. Die dritte Rauh¬ nacht, die für Werden und Vergehen bestimmend ist, heißt im Enns= und Steyrtal die „foastö“; Küche und Keller müssen das Ihre leisten und die Bäuerin dem Gesinde eine besonders gute und fette Mahlzeit auftischen. Das Vieh erhält in dieser Zeit außer dem gewöhnlichen Futter eine sogenannte Maulgabe, meist einen Knödel aus Störbrotteig mit Ab¬ fällen vom Kletzenstrietzel. Ost werden noch allerlei besondere Kräuter unter den Teig gemischt, auch Hagebutten, Laub vom Frohn¬ leichnamskranzerl, Palmkatzerl, Scharteln von der Türschwelle und ein ganzer Nußkern. Mit diesem soll das Vieh das Kreuz als höchstes Heilssymbol zu sich nehmen. In der Mettennacht, wo so viel Merkwürdiges vorkommt, reden Kühe und Ochsen. Es ist aber nicht ratsam. sie dabei zu belauschen, denn man könnte leicht taub werden. Der Stofferbauer aus dem Pechgraben rät jedem, der es vert# ###will, 4

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