Werkruf - Jahrgang 6 - Weihnachten/Neujahr 1943/1944

Sie Schlacht bei Marengo war geschlagen. Napoleon, der Konsul, nach dem 18. Bru¬ maire im Alleinbesitz der Macht, hatte an ein und demselben Tage, am 27. Mai 1800, eine Schlacht gegen die löwengleich kämpfen¬ den Oesterreicher verloren — und eine zweite gewonnen. „Ja, die Schlacht ist verloren? sagte er zu den Generalen, während er am Wegrande bei San Giuliano saß und an einem Grashalme kaute. „Eine Schlacht ist verloren. Es ist aber erst zwei Uhr. Liefern wir eine zweite, sobald Desaix da ist!“ Er pie den Grashalm aus, riß einen zweiten ab und fing wieder an zu kauen. Er war ganz ruhig. Er wußte, daß er siegen werde. Er „erinnerte sich' — so schrieb sein treuester Freund, der Comte Las Cases in seinen Remoiren — „irgendwie', daß General De¬ Geserven kommen müsse. Und Desaix ). Tief atmend erhob sich Na¬ nig sich aufs Pferd und stürmte ht: „Soldaten, ich brauche euer hr müßt es mir opfern!“ Desaix der mutige und tüchtige öster¬ veral Melas das letzte Opfer dieses Entscheidungskampfes. Die öster¬ reichische Armee wurde geschlagen. Von aber¬ gläubischem Entsetzen erfaßt, flüsterte Melas, als er in das blitzende Angesicht Napoleons schaute: „Der Mann des Schicksals. Das Schicksal Italiens und Oesterreichs, das Schicksal Frankreichs, das Schicksal ganz Europas war entschieden. Auf Marengo folgte Hohenlinden. Unaufhaltsam rückte die Re¬ volutionsarmee unter General Moreau gegen Oesterreich vor, drang in Oberöster¬ reich ein und am 19. Dezember 1800 hörte man in Steyr bereits den Kanonendonner des Gefechtes bei Traun. Am 21. Dezember mittags, nach verlore¬ ner Schlacht, reitet Erzherzog Karl mit seinem Stab durch Steyr; er räumt den Franzosen das Feld bis an die Enns. Fliehende Truppen folgen nach, und als die letzten österreichischen Kämpfer über die Ennsbrücke gerückt sind, wird sie zerstört, um den Rücken zu sichern. Um sieben Uhr abends teht General Richepanse mit der Vorhut am Kopf der Steyrbrücke. Festbeleuchtung befiehlt er den Steyrern zu seinem Empfang. Um elf Uhr nachts zieht er bei Fackelschein in die Stadt ein und nimmt im Schloß Quartier. Zahllose Wachfeuer brennen auf den An¬ höhen, am Tabor, im Aichet, gegen Neuzeug bis Sierning. Steyr wird in dieser eisig kalten, schaurigen Thomasnacht geplündert und gebrandschatzt. Grouchy, Montrichard, Decaen und schließlich Moreau selbst, der Général en chef, und mit ihnen 36.000 Mann Fußvolk kommen nach, fordern Quartier und Lebensmittel. Die verarmten Bürger können sie nicht beschaffen. Bäcker, Fleisch¬ hauer und Gastwirte müssen sie gegen magistratische Anweisung vorstrecken. Den Kaufleuten wird das Tuch, den Lederern das Leder abgenommen. Die Handwerker arbeiten Tag und Nacht für die feindliche Armee, die von den Hammerwerken, von den Messer= und Armaturenschmieden Besitz er¬ greift, um ihre Waffen ausbessern oder neue erzeugen zu lassen. Kontributionen und Re¬ quisitionen von über 70.000 Gulden — un¬ gerechnet die täglichen Verpflegskosten von 500 Gulden für die unersättliche Generalität bringen die Stadt zum Weißbluten. 19

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