Vorwärts Nr. 2, 31. Jahrgang, Juni 1998

\Yi q Hi$' !J W t.-- ..,,_ s Die feierliche Eröffnung der Zeitwerkstätte Steyr erfolgte am 11. Mai durch den oberösterreichischen Landesschulratspräsidenten Johannes Riedl. Johannes Riedl, oö. Landesschulratspräsident Aus seiner Rede: ... ,,Denken ist, was dem Handeln vorausgeht!" Diese Sentenz stammt von Bert Brecht, einem Dichter des Widerstandes, der vor 100 Jahren geboren wurde. Vor 50 Jahren setzte das Netzwerk menschenverachtender Vernichtung ein, nachdem ihm erkanntes, widersprochenes und doch wirksames Denken über den abwegigen Herrenmenschen vorausgegarmen war. Die topographische Landkarte Osterreichs hat die Greuelorte längst überdeckt, keine Straßenkarte, kein Schulatlas weist sie aus. Immer wieder werden die Blutspuren des Holocaust in Österreich geleugnet, oftmals die geschlagenen Wunden der deutschen SS entlastend zugeschrieben , obwohl auch Österreicher namhaft am Holocaust beteiligt waren. Ich bezeuge es, daß es war, bei meinen drückenden Kindertränen. Ich stand 1945 verängstigt am Massengrab vor dem unfaßbaren Leichenberg im weißen Bett einer Sandgrube in Gusen. Mein Vater hätte darunter sein können. Als Christdemokrat hat er systemmißtrauisch „schwarzgehört" - BBC. So wußte er zuviel. Ein Freund, damals Ortsgruppenleiter der NSDAP, hat ihn vor dem KZ bewahrt. Mein Onkel, er war kommunistischer Arbeitervertreter, holte sich im Konzentrationslager Buchenwald eine tödliche Krankheit. Ich verpfände mich dafür, daß das Unfaßbare an Menschenschändung, an Menschenschinderei geschah. Ich habe mit angesehen, was mir ein brennendes Mal in die Seele gedrückt hat, den sinnlosen SS-Mord an einem der dunkelsten Tage meines Lebens, als ich 8 Jahre alt war: Die gestreiften Gefangenen wurden herbeigekarrt von Mauthausen und Gusen nach St. Georgen an der Gusen, um den Sandberg auszuhöh len für ein Messerschmidt-Flugzeugwerk . Der schwarze Schlund des Stolleneingangs nahm uns auf vor den Fliegerangriffen der Alliierten im Jahr 1945. Einmal um die Mittagszeit signalisierte die Sirene Fliegeralarm und es tönte durch den Volksempfänger „Einflug über Kärnten und Steiermark!" Meine Mutter raffte das Nötigste zusammen, ich nahm noch rasch einen Apfel mit auf den Weg . Vor dem Stolleneingang warf ich den Apfelbutzen weg. Ein ausgeschundener, ausgehungerter KZler stürzte sich auf diesen Speiserest. Er kam nicht dazu, ihn zu verzehren. Ein SS-Scherge fiel mit dem Gewehrkolben über ihn her - die Schläge dröhnen noch in meinem Ohr, wenn ich die Erinnerung wachrufe. - In einer nebenstehenden Hütte wurde der Häftling erschlagen. Ich verpfände meine Augen , meine Ohren, es gesehen und gehört, die Wahrnehmung erlitten zu haben. KZ, diese Chiffre löst immer noch hilflosen Zorn und aufbäumenden Widerstand in mir aus. Unsere Gedenkstätten sollen Denk-Male sein. Denken verknüpft mit dem, was die Archäologie des Vergangenen zu Tage fördert. Mal bedeutet Zeichen der Glaubwürdigkeit und der Ernsthaftigkeit. Es muß uns ernst sein, wenn wir bedenken , was Anton Roth 6 Tage vor seiner Hinrichtung am 13.8.1942 schrieb: ,,Wenn Du das Schreiben wirklich bekommst, hebe es gut auf, und wenn die Zeit kommt, so laßt Du es jeden lesen , uamil Ihr wißl, wa::; wir hier milgernachl haben. " Die Zeit ist, sie wird stets sein . Zeitwerkstatt Steyr In der Zeitwerkstätte soll Schülerlnnen anhand von aktuellen Themen Geschichtsbewußtsein vermittelt werden. Die Idee zu einer „Zeitgeschichte-Werkstatt" in Steyr geht auf eine Initiative des Komitees „Mauthausen aktiv" zurück, dessen Ziel die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in der Stadt und der Region Steyr ist und das eine Reihe von Projekten in diesem Sinne durchgeführt hat. Die Zeitwerkstätte Steyr folgt der Überlegung , daß historische Wissen nicht allein über Bücher vermittelt werden kann. Die nicht an eine vorwiegend schulisch/akademische Form gebundene Arbeitsweise erlaubt es, Personen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten in die hostori-sche Arbeit einzubeziehen. Erklärtes Ziel der Zeitwerkstätte ist es, einem Bild ent-gegenzuarbeiten, daß Politik nur jenseits des individuellen Lebens stattfindet, weshalb insbesondere die Geschichte der Ausgeschlossenen, der „underdogs" und Beherrschten, die im hostorischen Prozeß meist zum Schweigen verurteilt wurden, zum „Forschungsgegenstand" erhoben wird. Daniel Valeu Bei der Eröffnung der Zeitwerkstätte sprach Daniel Valeu , ehemaliger französischer Häftling im Konzentrationslager Steyr. In seiner Rede erinnerte Valeu an die unmenschliche Behandlung und an die schwere Arbeit in den Steyr-Werken, wo die KZ-Häftlinge aus fast allen Ländern Europas wie Galeerensklaven behandelt wurden. Nach seiner ergreifenden Daniel Valeu, Karl Ramsmai r, Waltraud Neuhauser-Pfeiffer und Christa Nowshard . Rede übergab er einen Eßlöffel , ein Taschenmesser, einen Gürtel, ein Stück Stoff aus der Häftlingskleidung und Zeichnungen aus dem KZ-Lager an Karl Ramsmaier, Vorsitzender des Komitees „Mauthausen aktiv" Steyr und an Christa Nowshard, Pädagogische Abteilung - Museum industrielle Arbeitswelt. Somit können diese Originalgegenstände aus dem ehemaligen KZSteyr in der ZEITWERKSTÄTTE ausgestellt werden.

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