Vorwärts Nr. 3, 30. Jahrgang, August 1997

Von einer „Familienzusammenführung" konnte allerdings keine Rede sein . Denn in Hopfgarten in Tirol erwartete Sidonie nicht etwa die ersehnte leibliche Mutter, sondern eine stinkige, überfüllte Baracke. Das Kind wurde ganz einfach einem Transport von Zigeunern zugeteilt, der nach Auschwitz ging. Dort wurde Sidonie - sie war gut ernährt und kräftig - in eine Sonderabteilung gesteckt. Die Verbrecher im Ärztekittel - SS-Ärzte - probierten an ihr neue Medikamente aus. Der kleine Körper wurde mitTyphusbazillen verseucht , bis das Mädchen immer schwächer wurde. Als Sidonie für weitere Versuche nicht mehr kräftig genug war, wurde sie 1943 von der Nazi-Vernichtungsmaschinerie vergast. \11] n:aJ n w GEDENKENaber politisch opportun Wie sehr die Auseinandersetzung der Sozialdemokratie mit der Vergangenheit im Widerspruch zu den Sonntagsreden steht, machte Hackl in seiner von der großbürgerlichen „Presse" dokumentierten „Rede vor dem Buffet" deutlich: Nachdem er das Schicksal von Sidonie dem Vergessen entrissen hatte, bemühte er sich um eine Rehabili tierung in der SPÖ-dominierten Gemeinde Sierning. Alle Versuche der Familie Breirather, Sidonie etwa mit einer Tafel zu gedenken, waren fruchtlos geblieben , die Vertröstungen durch die verschiedenen Bürgermeister sind zahlreich. Hans Brei rather Josefa Breirather Als jedoch Hackl für sein Buch mit einem internationalen Pre is ausgezeichnet wu rde und di e „Steyrer Zeitung" groß berichtete, kam man unter Zugzwang. Freilich nur halbherzig , denn man begnügte sich mit der „di - plomatischen Lösung", eine Gedenktafel am selbst für ortskundige schwer zu findenden Jugendheim der Sozialistischen Jugend anzubringen. So macht man es allen recht , die Rechten D er Fall Sidonie, des „Mädchens mit den schwarzen Augen", ist auch ein Beweis für die Mögl ichkeit menschlicher Größe und Standhaft igkeit in der Zeit des Faschismus. Der nach den Februarereignissen des Jahres 1934 zur KPÖ gekommene Hans Breirather (1 899 bis 1980) - er war vom Mai bis Dezember 1945 KPÖ-Bürgermeister von Sierning und in der Folge mehrere Perioden Gemeinderat sowie Ortsparteiobmann der KPÖ-Sierning - und seine Frau Josefa (1902 bis 1989) bemühten sich mit allen Kräften um das Schicksal ihrer Ziehtochter. Kommunistische Publikationen - so etwa eine Dokumentation zur Geschichte der Steyrer KPÖ aus Anlaß des 60-jährigen Bestehens der KPÖ im Jahre 1978 - sind mehrfach auf diesen tragischen Fall eingegangen. Noch heute erinnern sich in der Ortschaft Letten viele ältere Menschen an das ,,Mädchen mit den schwarzen Augen", für das in Österreich kein Platz war, weil sie nicht in die Pläne der Nazis von „Rassereinheit" paßte und deswegen sterben mußte. hatten keinen direkten Angriffspunkt auf die Gemeindeobrigkeit, und den Linken konnte man sagen, es sei ohnehin eine Tafel angebracht worden. Doch hat der Fall eine Fortsetzung , denn nachdem Sidonies Stiefbruder Manfred Breirather nicht locker ließ , versprachen die sozialdemokratischen Gemeindeväter in einer schwachen Stunde, einen neuen Kindergarten nach SidonieAdlersburg zu benennen. Freilich sind im Oktober 1997Wahlen und vor diesen ist ein solcher Akt politisch gar nicht opportun, das könnte doch Stimmen kosten . Eine Haltung, die Fred Breirather frappant an das ständige Zurückweichen und Nachgeben der Sozialdemokratie in den dreiß iger Jahren erinnert. Die Begegnung mit Fred Breirather - der für ihn den „Gehörten gleich doppelt verkörpert, nämlich als Polizist und Kommunist" - war für Hackl geradezu schicksalhaft. Er ordnet sie doch dem ,,Unterabschnitt Sozialdemokratie und Antikommunismus" ein, der insbesondere im Steyrer Raum heftig geblüht hat, und das weit über den Oktoberstreik 1950 hinaus. Schon als Kind hat sich Hackl nach den Worten seines Doppelgängers das „Mißverhältnis von antikommunistischer Inbrunst und kommunistischer Absenz" seinen eigenen Reim gemacht. 5 Handschlag über den Gräbern der Februarkämpfer Die traditionelle Industriestadt Steyr ist dabei in besonderer Weise ein Spiegelbild für das ambivalente Spannungsfeld zwischen Sozialdemokratie und Faschismus. War doch nicht nur der ehemalige SP-Bürgermeister Sichelrader, sondern auch nicht wenige von der Parteiführung enttäuschte Arbeiter nach 1934 mit fl iegenden Fahnen zu den Nazis übergewechselt, hatten, wie Hackl schreibt, den Nazis über die Gräber der Februaropfer hinweg die Hände gereicht. U mgekehrt wurden die Hochburgen der NSDAP - etwa der aus dem Boden gestampfte Stadtteil Münichholz - nach 1945 zu den absoluten Hochburgen der Sozialdemokratie wie die Historikerin Brigitte Kepplinger in einer Untersuchung über das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Faschismus konstatierte. Und mit demAufstieg der FPÖ nach 1986 ist wiederum der Gegentrend festzustellen , denn schon 1991 wurde die Haider-Bewegung in der drittgrößten Stadt Oberösterreichs zweitstärkste Partei , was freilich die SPÖ nicht hinderte, dem FP-Vizebürgermeister Leopold Pfeil ausgerechnet das sensible Kulturressort zu überlassen. U nd so streute Hackl auch der trotz nur mehr relativer Mehrheit immer noch dominanten SPÖ der Stadt Steyr Salz in die Wunden : Schon in seinem jüngsten Buch findet sich die Geschichte des örtlichen Vereins Mauthausen Aktiv, der an die Stadt mit dem Vorsch lag herantrat als Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung anläßlich des 55. Jahrestages der „Reichskristallnacht" im Jahre 1993 die wenigen noch lebenden Jüdinnen und Juden aus Steyr in die Stadt ihrer Vertreibung durch den Faschismus einzuladen. Das Vorhaben scheiterte daran, daß die Stadt kein Geld für die Reiseund Unterbringungskosten aufbringen konnte, wohl deswegen , weil man dem schwereichen BMW-Konzern für die Errichtung dessen Steyrer Werkes gemeinsam mit Bund und Land satte Millionen Förderungen zuteil werden lassen mußte. Höchstens einen Empfang mit Augenbad und einem Glaserl Wein wäre man bereit gewesen zu finanzieren.

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