Vorwärts Nr. 3, 30. Jahrgang, August 1997

Erich Hackl, sein Doppelgänger und die Stevrer Sozialdemokratie III _, zwar uberaus freundlich„ alM!r ziemlich feige"' E rich Hackls Erzählungen sind nicht bescheiden . Sie möchten den Käfig der Gegenwart sprengen , um die Mauer der Vergangenheit niederzureißen ." Als das Karl-Renner-Institut und die Bildungsorganisation der SPÖ diese Worte von Ruth Klüger als Aufputz für die Einladung zur Verleihung des ,,Bruno-Kreisky-Preises für das politische Buch" verwendete, war den Veranstaltern deren Brisanz woh l nicht so recht bewußt. Anders als bei früheren Auszeichnungen entschied sich der Schriftsteller Erich Hackl nämlich diesmal, den Preis anzunehmen , ihn jedoch nicht für sich selbst zu verwenden, sondern die 30.000 Schilling dem seit 1994 bestehenden und von öffentlichen Stellen finanziell kurz gehaltenen Integrationsproj ekt Paraplü für In- und Ausländerinnen in seiner Geburtsstadt Steyr zur Verfügung zu stellen . Eine „Rede vor dem Buffet11 D as wäre noch nichts besonderes gewesen, hätte nicht Hackl in sei - ner „Rede vor dem Buffet" anläßlich der Preisverleihung am 26. Mai 1997 in der Kreisky-Villa in der Wiener Armbrustergasse in burl esker Till -EulenspiegelManier sich als sein eigener Doppelgänger ausgegeben und wäre er nicht in pointierter Schärfe mit dem gestörten Verhältnis der Sozialdemokratie zum Antifaschismus und Auswirkungen ihres Handelns oder besser Nichthandelns für von ihm literarisch dargestellte Personen ins Gericht gegangen. E s ist ja kein Ge~eimnis, daß die Spitzen der SPO in ihren Sonntagsreden immer dann den Antifaschismus entdecken, wenn er möglichst unverbindlich ist und dazu dient, sich von der als Ausgeburt des Bösen dargestellten Haider-FPÖ abzugrenzen - um sich dann bei den Alltagshandlungen als getreue Erfüller der Forderungen der FPÖ - nicht nur bei der Asylgesetzgebung - zu erweisen. Auch in seinem jüngsten Buch , fü r das er heuer ausgezeichnet wurde, zeigt Hackl wieder Beispiele dieses gestörten Verhältn isses auf. ,, In fester Umarmung", erschienen 1996 im Diogenes-Verlag, ist ein Sammelband über Außenseiter, über Menschen, die vom Establishment an den Rand gedrängt wurden und manchmal daran sogar zugrunde gegangen sind . DER FALL SIDONIE Sidonie Adlersburg 1933 - 1943 S chon mit seinem später von der viel zu früh verstorbenen Fi lmemacherin Karin Brandauer zu einem eindrucksvollen Fernsehfilm verarbeiteten Erstlingswerk, der Erzählung „Abschied von Sidonie" (Diogenes, 1989) hatte sich Hackl einen Namen gemacht. Hackl schuf mit der literarischen Aufarbeitung des erschütternden „Falles" des RomaMädchens Sidonie Ad lersburg, das nach seiner Verschickung ins KZAuschwitz zugrundegegangen ist, eine bleibende Erinnerung und demaskierte das Steyrer Kleinbürgertum und seine Unterwürfigkeit unter der NS-Herrschaft auf sehr anschauliche Weise. 4 Erich Hackl, geboren 1954 in Steyr. Nach dem Studium der Germanistik und Hispanistik Lehrer und Lehrbeau[tragter an der Universität in Madrid und Wien . Lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Wien . D ie 1933 geborene Sidonie Adlersburg war als Findelkind in der Steyrer Nachbargemeinde Sierning von der Familie Josefa und Hans Breirather liebevoll aufgenommen und gemeinsam mit dem eigenen Sohn Manfred aufgezogen worden . Es hätte alle Chancen gehabt , der Vernichtungsmaschinerie der Nazis - als „Zigeunerkind" stand Sidonie auf der Nazi-Liste minderwertiger Rassen - entgehen zu können. Denn die Familie des bekannten Arbeiterfunktionärs und Februarkämpfers Breirather wandte alle Mühe auf, um dem Mädchen auch in der schwierigen Kriegszeit eine freundliche Kindheit zu ermöglichen. Mit „nordischer List" Aber Sidonie wurde der Familie Breirather durch eine „nordische List" entrissen. Vom Jugendamt Steyr wurde nämlich der Familie erklärt, daß die Mutter des Mädchens aufgefunden werden konnte und das Kind daher „zur Mutter gehöre". Hans Breirather glaubte, der Mutter ihr Kind nicht vorenthalten zu können und mußte mitansehen, wie das Mädchen von der Fürsorgerin weggebracht wurde. Die Fürsorgerin, wie auch andere Verantwortliche des Magistrats, waren auch nach 1945 hochgeachtete Personen im Sinne bester „Wendehälsigkeit" und konnten sich wie später Kurt Waldheim an nichts mehr erinnern.

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