Vorwärts Nr. 1, 30. Jahrgang, Februar 1997

Erster weiblicher Architekt in Österreich Margarethe Schütte-Lihotzky 100 Jahre Die Architektin, antifaschistische Widerstandskämpferin, Kämpferin für die Befreiung der Frau, die Kommunistin Margarethe Schütte, Ehrenpräsidentin des Bundes Demokratischer Frauen Österreichs, feierte am 23. Jänner 1997 ihren 100. Geburtstag. Der KPÖ-Bezirksvorstand Steyr und die Redaktion „vorwärts" gratulieren auf diesem Weg auf das herzlichste. Höhere Tochter profiliert sich in einem Männerberuf Die am 23. Jänner 1897 geborene Tochter eines österreichischen Staatsbeamten des Stadterweiterungsfonds zeigte schon früh eine Tendenz sich Aufgaben zu stellen, an die sich andere Frauen nicht wagten. Als einzige Frau begann sie 1915 an der Wiener Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für angewandte Kunst) in der Klasse von Oskar Strnad (1879-1935) und Heinrich Tessenow (1876-1950) Architektur zu studieren. 1917 nahm sie an einem Wettbewerb für Abeiterwohnungen teil. Ihr Lehrer Strnad rät ihr: ,,Bevor Sie nur einen Strich machen, gehen Sie hinaus in di e Arbeiterbezirke und schauen Sie sich an, wie die Arbeiter wirkli ch wohnen." Für ihr diesbezüg liches Proj ekt erhi elt Grete Lihotzky den Max Mauthner-Preis, 1919 wurde sie mit dem Lobmeyr-Preis ausgezeichnet. In diesen frühen Aufbruchjahren der Republik arbeitete Grete Lihotzky ab 1920 mit Adolf Loos (1870-1933). Sie begeisterte sich für die von der sozialdemokratischen Wiener Stadtverwaltung propagierte Siedlerbewegung und für den sozialen Wohnbau. Ab 1921 entwarf sie für die ,,Gesiba" und den „Verband für Siedlungsund Kleingartenwesen" Musterhäuser. Sie lieferte das Konzept für vier Häuser in der Werkbundsiedlung, diese waren die kleinsten und billigsten dieses Bauexperiments und waren daher sofort verkauft . Grete Lihotzky interessierte sich vor allem für die Verbesserung des Wohnstandards der arbeitenden Menschen. Soziales Bauen wird verlangt Es war in Wien eine Zeit der stürmischen Ideen und zukunftsweisenden Neugestal - tungen, vor allem im Bereich des sozialen Wohnbaus. 1926 wurde Grete Lohotzky von Ernst May nach Frankfurt an das Hochbauamt der Stadt Frankfurt geholt. Hier setzt sie ihr 1921 formuliertes Leitmotiv „Wohnung ist die realisierte Organisation unserer Lebensgewohnheiten" zielstrebig um. Frankfurt war ein Experiment in modernem Margarelhe Schülte-Liholzky, Ehrenpräsidentin des Bundes Demokrati scher Frauen Österreichs. Urbanismus. Man forderte - wie im „roten Wien" - soziales Bauen und lehnte gleichermaßen finstere Mietskasernen und luxuriös verziertes Art Deco ab. Für das Frankfurter Bauamt entwarf sie u.a. die sogenannte „Frankfurter Küche", die in etwa der bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg so populär gewordenen amerikanischen Küche entsprach . Es war eine serienmäßig hergestellte, funktionelle und billige Küche. Für Grete Schütte-Lihotzky war die Konzeption der Küche kein Problem der Inneneinrichtung, sondern eine Bau- und Eigentumsfrage. Denn die komplett vorgefertigte Küche blieb integraler Bestandteil des Wohnobjekts und somit dem Eigentum des Mieters entzogen. 1930 ging sie mit Ernst May und ihrem Mann Wilhelm Schütte - sie hatte ihn in Frankfurt kennengelernt und 1927 geheiratet , in die Sowjetunion. Grete Schütte arbeitete an de Projektierung von bausystembezogener Architektur für die neuen Schwerindustriestädte. Von der Sowjetunion aus besuchte sie auch China und Japan. 1938 wurde sie an die Akademie der Schönen Künste in Istanbul berufen, wo sie Landschulen in Anatolien plante. Unter dem Eindruck der Ereignisse des März 1938 trat sie der Kommunistischen Partei bei. 1940 kehrte sie von der Türkei in konspirativemAuftrag nach Österreich zurück. Schon nach 25 Tagen illegaler Arbeit fiel sie in die Hände der Gestapo. Nur glückl ichen Umständen war es zu danken, daß sie dem sicheren Todesurteil entging, sie wurde aber zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie verbrachte insgesamt vier Jahre in Haft, davon zweieinhalb Jahre im Gefängnis von Aichbach in Bayern. Über diese schreckliche Zeit schrieb sie ,,Erinnerungen aus dem Widerstand 19381945". 1986 drehte die österreichische Filmregisseurin Susanne Zanke einen Fernsehfilm unter dem Titel „Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind" über Margarethe Schütte-Lihotzkys Tätigkeit in der Widerstandsbewegung. Nach 1945 fast Berufsverbot Ende 1946 kehrte sie dann nach Österreich zurück. Sie gehörte dem Bund demokratischer Frauen an, wo sie auch Präsidentin wurde. Zunächst erhielt sie über Vermittlung des Plakatkünstlers Viktor Slama noch den Auftrag, an der Ausstellung „Wien baut auf", mitzuarbeiten. Jedoch hatte sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur KPÖ de facto Berufsverbot. Nachdem die Gemeinde Wien sie von öffentlichen Aufträgen faktisch ausschloß, konnte sie in ihrer Heimatstadt nur zwei Wohnhäuser und zwei Kindergärten errichten. Man schickte sie mit einer Delegation von Künstlern nach China, von Kuba wurde sie zu Vorträgen eingeladen. Weitere Aufträge blieben aber aus. Gemeinsam mit ihrem Mann und Prof. Fritz Weber übernahm sie zwischen 1953 und 1956 den Auftrag zur Errichtung des neuen Verlagshauses des Globus-Verlages der KPÖ am Hochstädtplatz in Wien. Als verspätete Ehrung könnte man den ihr 1980 verliehenen Preis für Architektur der Stadt Wien bezeichnen . Das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst lehnte sie wegen des damals amtierenden Bundespräsidenten Kurt Waldheim ab, den IKEA-Award nahm sie an. Noch immer steckt sie voller Pläne und Ideen, sie schwärmt von Terrassenhäusern, von begrünten „Wohnbergen". Am 23. Jänner hat die Gesellschaft der bildenden Künstler Österreichs im Rahmen eines Festaktes Margarethe Schütte-Lihotzky die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

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