Vorwärts Nr. 2, 26. Jahrgang, Juni 1993

II DER OSTERREICHISCHE WEG Die österreichische Neutralität für die EG aufzugeben wäre falsch. Es hieße, sich in die Festungs- und Supermachtideologie der Gemeinschaft einzufügen. Die notwendige Internationalisierung ist mit der Neutralität zu erreichen, ihr Inhalt bedarf allerdings einer Neudefinition. Die Akzente der EG -Befürworter haben sich in den vergangenen Monaten verschoben :Wurde 1989 in der Debatte um das österreichische Beitrittsansuchen argumentiert , es gelte Mitglied der EG zu werden , um wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden, und dies sei auch bei Beibehaltung der Neutralität möglich , so he ißt es heute : Die Neutralität biete nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes keinen aus - reichenden Schutz vor dem in Europa wiederauflebenden Nationalismus. Wir sollten deshalb besser heute als morgen über die EG in die Westeuropäische Union (Alois Mock) oder direkt in die NATO hineingehen (Jörg Haider). Internationalisierung · ohne EG-Beitritt Einen objektiven Hintergrund der EGDebatte bildet aber nicht nur die Veränderung im internationalen Umfeld Österreichs, sondern die Tatsache ,daß sich unser Land dem Prozeß der Internationalisierung tatsächlich nicht entziehen kann .Ein EG-Beitritt sei, wird behauptet , die Voraussetzung dafür, diesen Prozeß aktiv im Interesse Österreichs mitzugestalten. In der Tat besteht angesichts der europaweiten Aktivität transnationaler Konzerne, der aus dem Ruder geratenen Währungsspekulation oder auch der grenzüberschreitenden Umweltprobleme Bedarf an internationaler Abstimmung . So unbestreitbar wie dies, so fragwürdig ist die Schlußfolgerung, daß die supra - nationalen EG-Strukturen den dafür geeigneten Rahmen abgeben . Viel eher wirken nämlich die grenzenlosen Kapitalfreiheiten und das Wachstumsmodell des Binnenmarktes krisenerzeugend als krisenbewältigend . Das Schengener Abkommen etwa, mit dem die EG die Grenzen gegenüber den europäischen und außereuropäischen Habenichtsen dichtmacht, oder die Schaffung einer eigenen , global aktivierbaren Militärmacht werden keineswegs die sozialen und ökologischen Probleme der heutigen Welt lindern; sie zeigen aber, daß Versuche zu militärischen "Lösungen" wieder im Bereich des Denkbaren liegen . Für Österreich ergibt sich ein weiterer wesentlicher Aspekt des Problems daraus, daß wir wirtschaftlich (fünfzig Prozent Außenhandelsanteil, Bindung der Geld- und Währungspolitik an die Deutsche Bundesbank) schon längst an Deutschland angeschlossen sind und daher den "Deutsche Block" in der EG verstärken würden . Worüber wir also in der Beitrittsdebatte streiten, ist nicht ein Anschluß an Europa, sondern die Abschaffung der Mag. Walter Baier Sekretär des Bundesvo rstandes der KPÖ. Grenzen zu Deutschland , was bekanntermaßen noch den spezifischen historischen Hintergrund hat , daß zweimal in diesem Jahrhundert die österreichische Politik als Juniorpartner deutscherGroßmachtinteressen agierte und sich schuldhaft in zwei Weltkriege verwickelte . Alternativen zum EGEuropa Wenn zutrifft , daß Binnenmarkt und Maastricht die großen europäischen und außereuropä ischen Entwicklungsprobleme nicht lösen , sondern sehr wahrscheinlich verschärfen werden , so wird ein auf Dem i litarisierung qualitat ives , ökologisch und sozial verträgliches Wachstum sowie auf Gleichberechtigung zielendes Konzept für Europa immer dringender. Also eine Alternative, die von den Interessen der Menschen und nicht der Konzerne ausgeht und die jetzt entstandenen sozialen Gräben e inebnet und eurozentrische Sichtweisen überwindet. Für Öste rre ich bedeutet das , einerseits von den sozialen Interessen der Mehrheit unserer Lands leute auszugehen und gle ichzeitig die Möglichkeiten zu einer positiven Beeinflussung der internationalen Beziehungen beizubehalten, welche die Neutralität schafft. Es kann dabei aber das traditionelle Neutralitätsverständnis nicht einfach fortgeschrieben werden , sondern muß sich unter neuen Bedingungen neuen Problemen stellen . Die vor uns stehende Grundfrage läßt sich auch so formulieren : Wie könnte Österreich einen optimalen Beitrag zu einerökologisch und sozial verträglichen Gestaltung der Internationali sierung leisten: als Teil der EG , mit ihrer nach Maastricht sich verfestigenden Festungs- und Supermachtideologie , oder als selbständiger , neu t raler Kleinstaat im Zentrum Europas? Zukunft unserer Neutralität Bisweilen wird die Verteidigung der österreichischen Neutralität als Versuch, den Status quo zu zementieren, mißverstanden. Allerdings hat sich der außenpol itische Status quo schon längst ausgelöst. Aus dem bisher Gesagten e rgib t s ich als Resümee ein Minimalprogramm mit dem Ziel, den Inhalt der Neutralität neu zu bestimmen. 1 Neutralität erfordet1 ein aktives Engagement für friedliche Konfliktbeil egung. Die KSZE sollte in Richtung Konf Iiktverhütung , internat ionale Vert rauensbildung und Entmilitari sierung weiterentwickelt werden. Dazu gehören Flüchtlings-politik und humanitäre Hilfe, die nicht egoistischen, pol itisch-taktischen Kalkülen unterli egen. :l Durch die Formierung der EG zu einer ökonomischen und politischen Supermacht droht ein "Eiserner Vorhang" der Armut mitten in Europa niederzugehen. Österreichische Außenund Außenhandelspolitik (als deren wesentlichster Teil) wird sich daher zunehmend an den schre ienden sozialen Gegensätzen in Europa zu bewähren haben . Sinnvolle wirtschaftliche Kooperation ist ein Hauptkriterium für politische Stabilität und ökologische Sicherheit auf unserem Kont inent. 3 Einer der Hauptgründe des sozialen und wirtschaftlichenDesasters, in das der Zusammenbruch des Realsozialismus überging , liegt in unüberlegt aufgepfropften marktwirtschaftlichen Strukturen und im Ausverkauf der leistungsfähigsten Sektoren an das ausländische (meist deutsche) Großkapital. Österreichs Politik müßte im eigenen Interesse mithelfen , Alternativen zum sozialen Ruin des Ostens zu formulieren und zu verwirklichen . Das wird nicht gehen , ohne die geschichtlich gewachsene Strukturen sowie die nationalen und sozialen Besonderheiten zu respektieren , also auch nach dem Ende des kalten Krieges 11 Neutraler Kleinstaat oder Teil der EG mit ihrer Festungsund Supermachtideologie? 11 ein Europa der Koexistenz unterschiedl icher Gesellschaften zu akzeptieren. Die vor allem von der BRD in die DDR praktizierte Politik der sozialen Demontage und des "Plattmachens" droht im Unterschied dazu zu einer Explosion mit unabwägbaren Konsequenzen zu führen . tf f!I Es kann nicht um eine Isolation Österreichs von Westeuropa gehen. Eine neutrale Außen - und Außenhandelspol itik wird die Kooperation mit der EG suchen, ihr allerdings keinen Monopolstatus einräumen. Strukturen wie die OECD VORMERKEN Öffentliche Gemeinderatssitzung Do. 8. Juli 1993 um 14 Uhr Rathaus-Saal, 1. Stock oder ECE stellen alternativ bzw. ergänzende Rahmen dar. Weltweit geht es um eine Entmilitarisierung der Sicherheitspolitik, um Vertrauensbildung und Abrüstung. Die Ause inandersetzung um die nukleare Abrüstung verliert daher nicht an Bedeutung, sondern gewinnt neue Aspekte : 1995 läuft etwa der bestehende Atomwaffen-Sperrvertrag aus und muß neu verhandelt werden . Die Nichtweiterverbreitung von atomaren und anderen Massenvernichtungswaffen ist heute ebenso eine Kernfrage wie die Forderung nach vollständiger Vernichtung der angehäuften Bestände. Ein allgemeiner Atomteststopp ließe s ich als Sofortmaßnahme mit Signalwirkung verwirkl ichen . t~i,'1% 0 Notwendig ist eine eindeutige Positionsbestimmung in der globalen Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd zugunsten von Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit , ökologischer Vernunft, für gerechte Weltwirt - schaftsbeziehungen und Entschuldung. Das verlangt weiters , Widerspruch gegen alle Versuche einzulegen, die technische, militärische und ökonomische Überlegenheit der kapitalistischen Großmächte zu nutzen , um dem "Rest" der Welt (80 Prozent der Weltbevölkerung) ihre Ordnung aufzuzwingen. -~jl Opposition erfordert der Versuch , die UNO wieder zu einem Instrument des lnterventionismus zu machen . Im Gegenteil: Durch eine Reform ihrer Strukturen und Institutionen müßte sie zu einer Plattform für demokratische Debatten und praktische Lösungen der globalen Probleme werden . if % iti Schließlich brauchen wir eine grundsätzlich anders geartete öffentliche Meinung im eigenen Land. Eine vom deutschen Medienkapital monopolisierte Massenpresse und ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk,der sich zum Sparchrohr einer Kriegspartei macht, sind mit Neutralität ebenso unverträglich wie ein Außenminister, der Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet fordert. 1 WIR SIND FÜR AUTOFREIEN STADTPLATZ UND MEHR RADWEGE KEINE PARKGEBÜHREN !

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