Vorwärts Nr. 3, 18. Jahrgang, Oktober 1985

... Fortsetzung ern nicht bereit, kostbare Milch gegen Geldscheine zu geben, deren Wert keinesfalls gesichert war. Die Milchkommandos hatten Tag und Nacht zu tun. Sie mußten Tabak beschaffer:, denn für Tabak gaben die Bauern Milch her. Um zwei Uhr früh schon waren die Milchhol er bei den ersten Bauern- höfen. In ganz St eyr-Ost gab es nicht einmal zehn int a kt e Lastautos , und die paar waren Hol zvergaser. Vi ele Stunden lang mußt e das Milch - kommando Treibstoff besorgen, d as heißt Ho lz schneiden und hacken. Trotz dieser ungeheuren Schwi eri gke it en wa r es mög li ch , di e Kl einkin - der und Säug linge sowi e di e still end en Mütt er mit Mil ch zu versorgen. Er st Wochen spä ter ge la ng es , Mo lk ereieinrichtungen a ufzu treiben und im Brauereigebä ude in der Pachergasse ent stand eine eigene vo n den Kommuni sten gesc ha ffene Mo lk erei unt er de r Le itung vo n Julius Böhm. Es wa r ein e Sensa ti o n , übe r di e sich a ll e freut en , a ls zum ersten Mal nach la nge r Zeit zwei Dekag ramm Butt er für j edes Kl einkind er- zeugt und a usgegebe1i werden ko nnt e n . Am 8. Mai 1945 gab es in Stey r-Os t kein Bro t , keinen Sac k Mehl oder Getreide . Aber a uf ve rschwi egenen Wegen erfuhren di e Stad t funkti o - näre, daß unweit der Stadt 17 Waggo n Ha fer lage n . In müh samer Ar - beit wurde der Hafer nach Steyr gebracht , gema hl en und Stey r-Os t hat - te Haferbrot, etwas trocken und brüchig , a ber es füllt e immerhin di e hungrigen Mägen. Die Flei schrationen standen in den e rste n T agen der Teilung nur auf dem Papier. Im Garten des Kinderfreunde heimcs a uf der Ennsleite tummelten sich eingefangene Pferde vo n de r Wehrmacht. Seltsam, die Tiere wurden von Tag zu Tag weniger, d a für a ber gab es bei den Fleischhauern auf der Ennsleite und im Wohngebi e t Müni ch - holz frisches Fleisch. Ein nicht zu unterschätzendes Problem war das Fehle n von Ge ld . Di e Stadtkasse befand sich im Rathaus und das Rathaus lag in Steyr-West. Die Gemeinde Steyr-Ost hatte keine Mark in ihrer Kasse . Man brauchte aber Geld, um die Arbeiter zu bezahlen, um einkaufen zu können. Zwei Kommuni sten übernahmen eine schwere Aufgabe . Franz Draber, eben der Todeszelle entronnen, und sein Freund Hans Strauß schwam- men in fin sterer Nacht über die Enns . Sie stellten die Verbindung zu den Funktionären von Steyr-West her. Sie bekamen Geld und durch- schwammen noch einmal den Fluß, schlichen sich durch die Postenket- ten und Steyr-Ost hatte für eine Zeitlang Finanzmittel. Später, als die Arbeit des neuen Gemeinderates schon etwas besser eingespielt war, ka- men die Stadtväter auf eine naheliegende Idee: In Steyr-Ost stand ein Fort setzung .. . Foto Juli 1945: Vizekanzler und KPÖ-Vorsitzender Johann Koplenig in der Mitte der Stadt - und Bezirksverwaltung von Steyr-Ost und Vertreter der sowjetischen Stadt-Kommanda ntur anläßlich der 1. Parteikonferenz am 7. und 8. Juli I945 Seite II ... Fortsetzung Heimat verloren oder gar den »Anschluß mit einem freudigen Ja begrüßten«, hatte sich erfüllt: das freie , unabhängige, demokra- tische Österreich war wiederer- standen . · Antifaschistische Einheit Am selben Tag, an dem die Un- abhängigkeitsproklamation be- schlossen worden war, hatte sich die Provisorische Staatsregie- rung unter Staatskanzler Dr. Karl Renner konstituiert. Ihre Staats- sekretäre wurden von den drei demokratischen Parteien gestellt und ihre Zusammensetzung spie- gelte insbesondere die in der letzten Kriegsphase herausgebil- dete antifaschistische Einheit wieder. Wie sehr die Proklamation der Unabhängigkeit Österreich der überwiegenden Mehrheit unse- res Volkes entsprach , zeigten an- sc haulich die machtvollen De- mo nstrationen zwei Tage später im befreiten Wien. Zehntausende Mensc hen säumten die Ring- s traße und begrüßten die neue Regi erung. die Männer der neuen Stadtverwaltung Wiens und die Vertreter der Wiener Bezirke, die gemeinsam vom Rathaus zum Parlament marschierten, um in einem feierlichen Staatsakt die symbolische Inbesitznahme des Parlaments durch das österrei- chische Volk zu vollziehen . Über- all herrschte Jubel. Überall weh- ten di e rotweißroten Fahnen Österreich und die roten Fahnen der Arbeiterschaft. Vor dem Par- lament tanzten die Menschen in der Frühlinqssonne . Eine sowjeti- sche Militärkapelle spielte öster- reichische Weisen. Auf der Parlamentsrampe wur- den die Mitglieder der Provisori- schen Staatsregierung vom so- wjetischen Stadtkommandanten Generalleutnant Blagodatow be- grüßt, der der Hoffnung Ausdruck gab, »daß die neue österreichi- sche Regierung mit voller Unter- stützung der Roten Armee den Aufbau des demokratischen Österreich vollbringen wird«. Staatskanzler Renner versicher- te: »Das österreichische Volk wird niemals vergessen, daß es nur durch die Kraft und durch den siegreichen Vormarsch der Ro- ten Armee gelungen ist, Öster- reich seine Unabhängigkeit wie- derzugeben . Wir werden allzeit dafür dankbar sein.« Fortsetzung ...

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