Vorwärts Nr. 4, 6. Jahrgang, Mai 1972

Das ist bekanntlich auch die Voraussetzung für weitere Schritte zur Entspannung. FRAGE: An welche Schritte denken Sie dabei? ANTWORT: Ein wichtiger Schritt zur Entspannung, der seit der Unterzeichnung der Verträge getan wurde, ist der Abschluß des Vierseitigen Abkommens ilber Westberlin. Weiter wurde ein Transitabkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der BRD unterzeichnet. Zu gleicher Zeit- wurden zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Westberlin Vereinbarungen über den Besucherverkehr und andere Erleich tcmngen getroffen. Das alles kann selbstverständlich erst dann voll wirksam werden, wenn die Verträge von Moskau und Warschau ratifiziert s ind . Erst durch die Ratifizierung sind auch weitere Schritte möglich, di e die Atmosphäre in Europa günstig beeinflussen. FRAGE: Ein Sch~itt zur weiteren Normalisi erung des Verhöltoisses zwischen der DDR und der BRD Ist ja schon In Vorbereitung. Wir meinen den Verkehrsvertrag. Wie sind die Aussichten In diesem Punkte zu beurteilen~ ANTWORT: Der Verkehrsvertrag ist ein Teil des Normalisierungsprozesses zwischen der DDR und der BRD, der nur bei Ratifizierung der· Verträge von Moskau und Warschau vorankommen kann. Die Verhandlungen über den Verkehrsvertrag haben bereits zur Übereinstimmung in vielen Punkten geführt. Da auf beiden Seiten der gute Wille vorhanden ist, zu einem· positiven Ergebnis zu kommen, stehen die Chancen für seine baldige Paraphierung nicht schlechl. Mit diesem Vertrag würden sich zweifellos Erleichterungen im Verkehr zwischen der DDR und der BRD und insbesondere für die Bürger dieser Staaten ergeben. FRAGE: Muß man nicht annehmen, daß auch die Bürger der Bundesrepublik Deutschland an solchen Fortschritten interessiert · sind? ANTWORT: Zweifellos ist das der Fall . Das kam besonders deutlich zum Ausdruck im Zusammenhang . mit unserer Geste des guten Willens, durch die die Regelungen des bekannten Transitabkommens und der Ver-" einbarungen mit dem Westberliner Senat schon vor Inkrafttreten der entsprechenden Abkommen von uns zeitweilig angewandt wurden. Die Bürger der BRD und Westberlin~ konnten sich in der Praxis davon überzeugen, welche Vorteile sie haben, wenn nach der Ratifizierung der Verträge auch diese Regelungen ständig wirksam werden. Die Geste des guten Willens war ein Beispiel dafür, welche hoffnungsvolle Entwicklung auch weiterhin möglich wäre. FRAGE: Das heißt also, mon kann auch über die schon unterzeichneten und im Stadium der Verhandlungen befindlichen Abkommen und Verträge hinaus nach einer Ratifizierung mit weiteren Schritten rechnen? ANTWORT: Unsere Politik ist entsprechend den · BP.schlüssen des VIII. Parteitages und ·der (Cemeinsanien koordinierten Außenpö,litik der sozialistischen Staatengemeinschaft auf sicheren Frieden in Europa, auf friedliche Koexistenz mit den kapitalistischen Staaten, einschließlich der BRD, gerichtet. Im Sinne dieser Poli:. tik habe ich bekanntlich während unseres Besuches in der Volksrepublik Bulgarien erklärt, daß die DDR bereit ist, nach der Ratifizierung .der Verträge zwischen der UdSSR und der Volksrepublik Polen mit der BRD in eineri Meinungsaustausch über die Herstellung normaler Beziehungen zwischen .der Deutschen Demokrat!,. sehen Republik und der Bundesrepublik Deutschland einzutreten und die hierfür erforderlichen völkeirechtsmäßigen Vereinbarungen zu treffen. Es könnte eine Entwicklung eingeleitet werden, die zu einem friedlichen Nebeneinander zwischen der DDR und ·der BRD führt, zu normalen, gutnachbarlichen Beziehungen . mit dem Ausblick zu einem Miteinander im Interesse des Friedens, im Inter.:. esse der Bürger beider Staaten. FRAGE: Was geschähe, wenn es den Herren Barzel, Strauß und ihresgleld1en gelönge, mit ihren Manövern die Ratifizierung zu hintertreiben? ANTWORT: Die Verträge von Moskau und Warschau würden nicht rechtswirksam werden, auch nicht das Vierseitige Abkommen über Westberlin, ·auch nicht das Transitabkommen zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der BRD, auch nicht die Vereinbarungen zwischen qer Regierung der DDR und dem Senat von Westberlin. Eine Nichtinkraftsetzung der Verträge von Moskau und Warschau würde nicht nur die Beziehungen zwischen der UdSSR, der VR Polen und der BRD zurückwerfen. Sie würde auch alles zunic..11.te machen, was an Ansätzen für die ·Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der DDR und per BRD erreicht werden konnte. Wird die Ra-: tifizierung der Verträge verhindert, dann ist diese Entwicklung durch die Kräfte des kalten Krieges und der Konfrontation zunächst einmal blokkiert. Den Völkern Europas erwachsen daraus neue Gefahren. FRAGE: Womit müßte man rechnen, wenn tatsächlich eine Regierung unter Bari.el zustande käme? ANTWORT: Davon kann man sich ganz gut eine Vorstellung machen, denn die CDU/CSU hat ja 20 .Jahre lang an der Spitze der Regierung in Bonn gestanden. Jeder erinnert sich an diese Zeit. Die CDU/CSU-Regierungen setzten auf eine Politik der Stärke und verschlechterten laufend die Beziehungen zu den sozialistischen Ländern. Mit dieser Politik haben sie es fertiggebracht , daß auch die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD weit schlechter wurden als die Beziehungen zwischen Stnaten, deren Bürger nicht die_ gleiche Sprache sprechen. 20 Jahre lang haben führende Kreise der CDU/CSU - obwohl sie oft das Wort "Mensch- . lichkett• in den Mund nahmen - eine Politik der Feindschaft gegenüber der DDR gepredigt und betrieben. Sie haben den Graben zwischen der ·DDR und der BRD immer tiefer gemacht. Freilich befanden sie sich mit dieser Politik schon vor Jahren in der Sackgasse, und sie hätten heute weniger Aussichten denn je, damit Erfolge zu erringen. Ihre Politik führte zu einer zunehmenden Isolierung der BRD, selbst im Lager der NATO. FRAGE: Herr Barzel behauptet, auch er würde Verträge schließen wollen, ober „bessere". ANTWORT: Davon kann überhaupt keine Rede sein. Weder die Sowjetunion noch Volkspolen noch die DDR werden auf neue Verhandlungen über die Verträge eingehen. Ich wiederhole daher, was ich bereits in Sofia sagte: Die Herren Barzel und Strauß sind für uns keine Partner. Auch die Sowjetunion hat es bekanntlich abgelehnt, über die bereits unterzeichneten Verträge noch einmal zu verhandeln. Wenn die CDU/CSU die bereits unterzeichneten Verträge ablehnt, so heißt das, sie will überhaupt keine V:erträge, sie will den kalten Krieg. Sie · will die Konfrontation. So aber können nur gewissenlose PoÜtiker handeln, die die leidvollen Lehren der Geschichte unseres Kontinents in den Wind schlagen und aufs neue mit dem Feuer spielen. Es sind Politiker, die den wahnwitzigen Gedanken im.:. mer noch nicht aufgegeben haben, die Ergebnisse des .zweiten Weltkrieges doch noch zu korrigieren. Es sind in der Tat Politiker des Unheils gewesen und geblieben. Ihr heimtückischer Angriff gegen die Ratifizierung der Verträge in .diesen Tagen beweist es vor der ganzen Welt aufs neue. FRAGE: Die Entscheidung der BRD für oder gegen die Ratifizierung ist demnach eine Entscheidung von außerordentlich weittragender Bedeutung? ANTWORT: Das kann ·man wohl sagen. Die BRD steht in diesen Tagen vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Sie muß jetzt wählen zwischen Entspannung und Verschärfung der Lage, zwischen Zusammenarbeit und kaltem Krieg, zwischen Normalisierung der Beziehungen auch mit der DDR oder erneuter -Verhärtung der Konfrontation. Man kann nur hnffen, daß die · Abgeordneten des Bundestages sich dieser weitreichenden Verantwortung bewußt sind und alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit durch die Ratifizierung eine neue Lage in Europa zum Nutzen aller er:.tstehen kann. Die historische Chance, die heute für Europa gegeben ist, die Chance, ein Kontinent des Friedens zu werden, sollte nicht verspielt werden. Sie zu nutzen ist im Interesse des Friedens und der BJrger beider deutscher Staaten ein Gebot der Stunde.

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