4.1. Schmelztiegel Münichholz Entgegen den anderen Steyrer Stadtteilen, die aufg rund ihres langsamen Wachstums eine organisch gewachsene Struktu r aufzuweisen hatten , wies Münichholz ein buntes Gemisch an Bevölkerungsg ruppen auf, die praktisch über Nacht hier einen neuen Lebensbereich fanden. Von a l len H i mmelsrichtungen und Gauen des Großdeutschen Reiches strömten Menschen herbei und fanden, bedingt du rch den Ausbau der nationalsozial istischen Rüstungsmaschinerie, hier in Steyr eine neue Arbeitsstätte. Von ihrer regionalen Herkunft können wi r meh rere Bevölkerungsg ruppen unterscheiden : Die g rößte Gruppe bildeten Steyrer Arbeiter, die du rch das Wohnungselend in der Stadt in Baracken leben mußten. Viele von ihnen kamen von der Ennsleite, dem traditionellen Arbeiterviertel von Steyr. Aber auch aus der nächsten Umgebung, aus dem Bereich von Ramingsteg , siedelten Arbeiter von den Barackensiedlungen in die Neubauwohnungen. Die ehemaligen Kriegsgefangenenlager des ersten Weltkrieges in Ramingsteg bildeten nach 1 91 8 eine Keimzelle der Steyrer Arbeiterbewegung. In den Barackenlagern von Ramingsteg füh rte die Sozialdemokratie eine rege Organisationstätig keit du rch. Viele Zeugnisse geben heute noch Rückschluß auf diese U rorganisation der Arbeiterbewegung. Die Herkunft vieler Mün ichholzer aus Barackensiedlungen erklärt den schlechten Ruf, den man den Bewohnern viele Jahre lang noch andichtete. Parallelen gibt es in vielen Städten der Welt. Die Tendenz, daß man Armut und Elend diskriminiert, um sich dadurch den ,eigenen Platz an der Sonne' in der Rangordnung der Gesellschaft zu sichern, wiederholt sich an vielen Orten, zu jeder Zeit, und dü rfte al lgemein als bewah rendes Element bestimmter Kreise einzustufen sein. 1 ) Eine weitere Gruppe, die sich bald in die der »Altsteyrer« i nteg rierte, waren Arbeiter aus verschiedensten Teilen der Ostmark. Viele von ihnen hatten in der austrofaschistischen Ära ih ren Arbeitsplatz verloren und waren ausgesteuert. Der Einmarsch Hitlers und die kriegswi rtschaftlichen Aufträge brachten ihnen im von i h rer Heimat entfernten Steyr die Möglichkeit, endlich wieder Arbeit und Brot zu bekommen. Der Weg dieser Menschen nach Münichholz hat sich dann ähnlich abgezeichnet, wie der eines ausgesteuerten Arbeiters aus St. Pölten : »Als die Nationalsozial isten einmarschierten, habe ich eine Notstandsunterstützung bekommen. Ich mußte dann aufs Arbeitsamt in St. Pölten gehen, und dann hat es geheißen, daß alle, die jetzt vorgeladen wurden, nach Steyr oder nach Bremen in eine Flugzeugfabrik gehen müssen ; ansonsten wird uns die Notstandsunterstützung gestrichen. Ich meldete mich daher nach Steyr, wei l ich in St. Pölten meine Familie hatte und fing in Steyr zu arbeiten an. Meine Frau und meine Kinder blieben inzwischen in St. Pölten . . . Da die famil iäre Situation du rch die Trennung unmöglich wu rde, wollte ich wieder aufhören. Dies wurde m i r von der D irektion verweigert, mit der Beg ründung, daß ich den Steyr-Werken zugeteilt sei . So bekam i c h in Münichholz eine Wohnung. I nnerhalb von acht Tagen konnte ich übersiedeln. Von den »Werken« wu rde mir unentgeltlich ein Lastwagen zum Übersiedeln zur Verfügung gestellt. Wir bekamen dann Einheitsmöbe l ; so haben wir eigentlich Fuß gefaßt.« 2 ) Als privilegierte Gruppe innerhalb der Bevölkerung galten die Reichsdeutschen. Sie hatten in den Steyr-Werken oder im Bau besondere berufliche Stellungen ( Ingenieure im Werk oder in der Baukanzlei) inne und hoben sich von der übrigen Bevölkerung aufg rund ihres sozialen Status (und auch i h rer Wohnungen) ab.3) 6 1
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