Zwei Jahre später starb Leopold Werndl an Cholera. Josefa Werndl führte, unterstützt von ihren Söhnen Josef und Franz, den Betrieb fort. Im Bewußtsein seiner Verantwortung als ältester der Geschwister setzte Josef seine ganze Persönlichkeit für den elterlichen Betrieb ein und übernahm nach und nach immer mehr die Leitung desselben. Die Situation um das Jahr 1859 war signifikant für Steyr und wiederholte sich in den nächsten Jahrzehnten. 1859 stand der Krieg mit Sardinien vor der Tür. Handel und Gewerbe stockten. Nur die Armaturerzeugung bei Werndl, der durch die Einführung von Maschinen der Waffenerzeugung neue Impulse zu geben versuchte, und dessen Werkstätten zum größten Industriebetrieb Oberösterreichs angewachsen waren, stieg immer mehr. Die Inflation verhalf dem Gewerbe zu einem bedeutenden Absatz im Ausland. Viele Menschen wanderten zu, es herrschte eine unglaubliche Wohnungsnot. Dann aber ging das Silberagio wieder zurück. Deflation trat ein. Die Industrie konnte nicht mehr exportieren, die Waffen und Eisengewerbe stockten, die Arbeiter mußten entlassen werden. Es herrschte allgemeine Verarmung und Arbeitslosigkeit. Die Stadtgemeinde, deren Prosperität von der Industrie abhing, mußte ungeheure Schulden machen, um die Not wenigstens halbwegs zu lindern. Werndls Streben zu Beginn der 60iger Jahre war es, bei dem Problem des Hinterladerverschlusses eine erzeugungsmäßig einfache und vor allem billige Lösung zu finden. Werndls Weitblick erkannte, daß die Ablösung des Vorderladers nur eine Frage der Zeit war. Mit einem eigenen Gewehr und der für Großaufträge bereitstehenden Fabrik zu jenem Zeitpunkt sah er seine große Chance zum Aufstieg. So studierte er gemeinsam mit seinem Werkmeister und späteren Direktor Karl Holub 1863 in Amerika den neuesten Stand der amerikanischen Technik, vor allem das sogenannte Austauschprinzip, das in größerem Umfange damals nur in Amerika praktiziert wurde. Um die Mutter von der Last des Erbbetriebes zu befreien, wurde am 16. April 1864 die Firma „Josef und Franz Werndl & Comp. Waffenfabrik und Sägemühle in Oberletten“ gegründet. Josef Werndl wurde die Geschäftsführung, die Vertretung nach außen und die Zeichnung übertragen. Werndl, beseelt mit einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft des Fortschrittes, investierte das ganze und nicht unbeträchtliche Vermögen der Familie in Maschinen und Fabrikshallen und bereitete sich nach den in Amerika gewonnenen Erkenntnissen auf die Massenproduktion vor, obwohl weder das Verschlußproblem hinreichend gelöst noch Großaufträgö in Aussicht gestellt waren. Ohne diesen zuversichtlichen Glauben an den Fortschritt, dem zu dienen er sich berufen fühlte, und ohne das nötige Übermaß an Selbstvertrauen wäre es nicht möglich gewesen, die Zweifel und Schwierigkeiten zu überwinden. Es darf daher nicht überraschen, daß später die Herstellung von Elektroartikeln gleich in Serie aufgenommen wurde. 38
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