Veröffentlichungen des Kulturamtes, Heft 19, Februar 1959

Sie bekannte, ihr Kind getötet zu haben Von Dr. Ilse Reumann Bei dem Akt der Maria Seyfridtin liegen die zwei Teile eines gebrochenen Urteilsstabes. Sorgsam vorbereitet für den Tag der Hinrichtung, poliert und in der Mitte eingekerbt, damit er ohne Schwierigkeiten gebrochen werden konnte, war dieser Stab das Symbol für ein Leben, das verwirkt worden war durch das Verbrechen des Kindesmordes und das so jäh endete unter dem Beil des Scharfrichters. Fein säuberlich zusammengebunden und beschriftet, legte der Steyrer Stadtrichter Athanasius Schückl am 17. März 1679 nach Vollstreckung des Urteils den gebrochenen Stab zu den Akten, womit der Fall Seyfridt erledigt und abgeschlossen war. Auf einem dem gebrochenen Stab beiliegenden Zettel steht vermerkt: „Urtlsstäbl Maria Seyfridtin, ledigen Standts, welche wegen ihrer aigenen ermordeten Leibesfrucht ich als kaiserl. Stadtrichter allhir auf dem Platze negst des Prangers öffentlich enthaubten lassen." Es ist nicht der einzige unter den Kriminalakten des Archivs unserer Stadt, der die Aufschrift: Jnfanticidium (Kindesmord) trägt, aber er ist der einzige vollständige und zeigt klar, was vor etwa 300 Jahren einer Kindesmörderin unabwendbar bevorstand. Bei den andern Akten fehlt meist das Urteil, doch können wir die verschiedenen Strafen aus den übriggebliebenen Blättern lesen — und vieles lesen wir mit Entsetzen. Was sind drei Jahrhunderte im Ablauf der Geschichte? Im Spiegel dieser Gerichtsurteile erscheinen sie uns als eine Ewigkeit und es fällt schwer zu begreifen, daß es eine Zeit gab, in der man es als einen Akt der Gerechtigkeit ansah, Hinrichtungen als eine Art von Massaker zu zelebrieren, ja selbst an dem Toten noch weiter Vergeltung zu üben durch Aussetzen des Leichnams, Verweigerung eines Begräbnisses oder Verscharrung an irgend einem ungeweihten, ja schändlichen Ort. Noch stehen die Bürgerhäuser, deren Fassaden wir mit Freude bewundern und die ein Gruß aus alten, großen Tagen unserer Zeit sind, noch spüren wir in den Gassen und Gäßchen, auf den Stiegen und Plätzen unserer Stadt den Atem vergangener Jahrhunderte — man kann sogar die Hast und den Lärm unseres Alltags darüber vergessen, den riesigen Gegensatz der äußeren Lebensformen. Doch diese Brücke versagt uns den Dienst nur zu oft, wenn es um das Verständnis des Denkens u. Fühlens vergangener Generationen geht, wie es sich in der Gemeinschaft der Familie, der Stadt und des Staates offenbarte auf allen Gebieten des privaten und öffentlichen Lebens, vielleicht am krassesten bei einem Blick in die Gerichtsakten. 18

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