Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, März 1953

sattelfesten Namenforscher. Er darf sich nicht nur mit den eingehenden Kenntnissen über die deutsche Sprachgeschichte begnügen, er muß, dieser neuen Tatsache Rechnung tragend, sich auch mit allen Sprachgesetzen des Slawischen vertraut machen. Der Fachmann würde sagen, er darf nicht allein Germanist, er muß auch Slawist sein. Wir werden aus den folgenden Zeilen erfahren, daß noch weitere Sprachvölker arri Aufbau der oberösterreichischen Namengebung beteiligt genesen waren. Dies waren in vorgeschichtlicher Zeit die Kelten, die Illyrer und die Veneter, ferner noch die Ur-Jtalikkr. Diese Ur-Jtaliker waren jene uralte Völkerschaft, von der ein bestimmter Volksstamm, die Latiner, im Altertum die Stadt Rom gründete. Von Rom aus wieder wurde im späteren Altertum das gewaltige Römerreich erobert, das wir aus dem Geschichtsunterricht gut kennen. Zu diesem Römerreich, das von Nordafvika und Kleinasien angefangen über Griechenland durch ganz Südeuropa bis Spanien gereicht hatte, hat mit Norikum seit der Zeitenwende auch unsere Umgebung von Steyr durch vier Jahrhunderte gehört; zu einer Zeit, als sich aus dem Ur-Jtalischen längst eine neue Sprache, das Lateinische, entwickelt hatte. Folglich muß der Namenforscher in Oberösterreich über die Germanistik und Slawistik hinaus die Sprachgesetze des Jllyrischen, des Keltischen, des Venetischen, des Ur-Jtalischen, aber auch detz Lateinischen und dessen romanische Tochtersprachen ständig bei der Hand haben. Erst dann vermag er wirklich alle Namen unserer Gegend sicher zu erklären. Das ist eine gewaltige Wissensfülle. Damit ist sein methodischer Weg noch immer nicht zu Ende. Gesetzt den Fall, es wäre ihm dank dieser Kenntnisse tatsächlich gelungen, alle Siedlungsnamen von Oberösterreich oder wenigstens in der Umgebung von Steyr nach menschlichem Ermessen richtig zu deuten, so fehlen immer noch zwei Leistungen, damit er seine Arbeit wirklich mit historischen Erkenntnissen krönen darf. Erstens gilt es noch, nachzuprüfen, ob die gewonnene Deutung bei jedem einzelnen Namen auch zum Boden und seiner Geschichte gefällig dazupaßt. Diese Kontrolle nennen wir die Realprobe. Es haben sich ja die Namengeber selbst bei ihrer Schaffung neuer Ortsbezeichnungen immer auch etwas gedacht; die alten Namen sind nicht willkürlich erfunden worden, wie dies leider in unserer modernen, wenig bodenverpflichteten Zeit so gerne geschieht. Viele von uns sind bei ihren Namendeutungen immer noch von abgebrauchten romantischen und humanistischen Vorstellungen beherrscht. Nach ihnen soll die Deutung möglichst abenteuerlich ausfallen, sie soll, trenn nur irgendwie erdenkbar, von den beiden klassischen Sprachen, vom Lateinischen oder Altgriechischen, ausgehen und auch ln diesen beiden Sprachen tunlichst ein lehrreiches Sinnbild ergeben. Das war nicht das Streben von derjenigen ersten Dauerbeoölkerung, welche die Namen wirklich geschaffen hatte. Es ist eine feststehende Erfahrungstatsache, daß unsere österreichischen Ortsbezeichnungen aus älterer Zeit ausnahmslos sogenannte „echte" Namen darstellen, das sind Namen, welche entweder auf die Lage des Ortes oder auf seinen Kulturzustand Bezug nehmen, oder welche ein Besitzverhältnis ausdrücken. Ein Besitzname ist beispielsweise hargelsberg: der Ort liegt in der Mitte zwischen Steyr und Enns. Im zwölften Jahrhundert heißt es urkundlich Hoedigerisperg, das ist der Berg eines Mannes, der im Althochdeutschen haduger geheißen hat. Unser Haduger hatte vor vielleicht einem Jahrtausend bort einen Berg, das ist genau genommen ein agrarmäßig brauchbares Nutzungsgebiet, besessen. Das Wort Berg wird nämlich in unserem Dialekt seit altersher nicht nur für größere Bodenerhebungen, die es in Hargelsberg gar nicht gibt, sondern auch für jedes Stück wirtschaftlich verwertbares Land gebraucht, man denke etwa an den Ausdruck Weinberg: auch 66

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