Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, März 1953

und zwar möglichst alle. Je näher wir mit diesen urkundlichen Belegen an jenen Zeitpunkt herankommen, in dem der Name selbst wirklich entstanden ist, desto sicherer können wir ihn erklären. Und nun wollen wir einmal nachsehen, wie es sich dabei mit unseren beiden Beispielen, mit Steyr und Gleink, im Lichte der Urkunden verhält. Für den ei-Laut in Steyr haben mir laut- geschichllich ein mittelhochdeutsches Sfir mit langem i errechnet; weil der Ortsname Gleink jetzt ebenfalls mit ai ausgesprochen wird, dürfen wir folgerichtig auch bei ihm mit einem mhd. ©lins mit diesem langen i rechnen. Jetzt erkennen wir erst, wie wichtig die urkundlichen Formen werden. Die Rechnung war in beiden Fällen falsch. Die Stadt Steyr, bei der wir zuerst verharren wollen, hieß etwa im 11. Jahrhundert nicht Stir, es wurde vielmehr Stire mit angehängtem -e geschrieben. Auch der Fluß Steyr hieß damals genau so Stirn und später Stire, das Wort war weiblichen Geschlechtes und ist es als Fluhbezeichnung heute noch; wir sagen ja die Steyr. Wir haben bei unserer Lautrechnung nicht erwogen, daß nach den Sprachgesetzen auch die zweisilbige Lautung Stire möglich ist. Sie erinnert an eine uns wohl bekannte Form, an Styria. Dieses Styria wieder hat uns das alte Kirchenlatein des Landes überliefert. Die kirchenlateinischen Formen gehen nicht selten bis in uralte Zeiten zurück. Ein solcher Fall ist auch unser Styria. Darüber werden wir später noch näheres hören. Gleink aber heißt urkundlich in Wirklichkeit völlig anders. Hier haben wir mit mhd. ©link, auch was fein i betrifft, falsch gerechnet. Es wird nämlich im 12. Jahrhundert tatsächlich als Glunich, also mit u und nicht mit i, geschrieben. Gleink ist kein deutsches Wort mehr. Wie bei Steyr existiert auch hier ein Gewässer gleichen Namens, so wie die Stadt Steyr am Fluß Steyr liegt, befindet sich das Dorf Gleink an dem Bach Gleink. Auf die richtige Deutung wären wir bei. Gleink ohne die urkundlichen Schreibungen überhaupt nicht gekommen. Wir müssen schon eingehende Kenntnisse besitzen, um auf sie zu stoßen und um herauszubekommen, daß im Namen Gleink ein Wort steckt, das auf südslawischem Boden jetzt als kljunica entgegentritt. Kljunica ist ebenfalls Flußname, -ica ist eine sehr häufige Endung in südslawischen Gewässernamen, z. B. Bistrica, Strumica, Lesnica usw. Als Wortstamm bleibt Kljun übrig, das bedeutet die Schnepfe. Dann würde also Gleink einen Bach bezeichnen, der durch ein Gebiet im Schnepfenbereich fließt. Wir wissen, daß die Flußnamenendung -ica damals als ikja mit einem weit vorne gesprochenen k-Laut gesagt worden ist. Wir gelangen auf solche Weise zu einer frühslawischen Aussprache Kljuunikja. Ueber diese sehr weitgehenden lautgeschichtlichen Dinge schreibe ich aus mehreren Gründen. Erst aus diesem altslawischen Klju- nikja kann und muß im Althochdeutschen Glüniccha werden; so wurde unser Gleink vor einem Jahrtausend bestimmt auch genannt. Das ai in Gleink beruht gar nicht auf einem alten i, sondern auf einem alten, langen ü-Laut. Wir haben vergessen, daß ja auch das lange üü des Mittelhochdeutschen in unserem Dialekt zu ai geworden ist. Etwa ein mhd. hiuser (svrich hüüser) wird zwar in der Schriftsprache als Häuser geschrieben, im Dialekt aber als Haifa ausgesprochen. Genau genommen ist die amtliche Form Gleink also irgendwie unrichtig, svrachgeschichtlich genauer wäre die Schreibung Gläunk: Gleink folgt dem Dialekt und nicht der Sprachgeschichte. Unsere sprachgeschichtliche Korrektur aber, und darauf kam es uns hier an, verdanken wir der Urkundensprache. Damit steht man vor einer merkwürdigen Tatsache. Es gibt in der Umgebung von Steyr auch Namen slawischer Herkunft. Es müssen also hier vor langer Zeit Slawen gewohnt haben. Mit diesen slawischen Namen werden wir uns noch später beschäftigen. Hier, wo es allein auf die Methode ankommt, ergibt sich aus dieser Tatsache eine vergrößerte, sehr schwere Anforderung an den 5 65

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