Namenforscher muß diese Sprachgesetze sogar restlos beherrschen, und das ist eine hohe Anforderung, denn es gibt deren mehrere hundert; allein an Lautgesetzen, welche vom mittelhochdeutschen zum neuhochdeutschen Sprachzustand führen, gibt es deren, alles z>ufammengenommen, mehr als ein halbes Hundert. Dabei ist es zu wenig, allein die Gesetzmäßigkeit der Lautgeschichte zu kennen. Auch die Wörter verändern sich, etwa bildet sich die Bedeutung und der Sinn dieser Wörter im- Laufe der Jahrhunderte um. Greifen wir wieder zurück auf die zitierten Anfangszeilen des Nibelungenliedes. Im Mittelhochdeutschen ist diu höchzil oder im Nibelungenlied das hüchgezlten nicht allein die Trauungsfeierlichkeit, wie bei unserem entsprechenden Wort Hochzeit, sondern jede hohe Zeit, außer der Trauung auch die Taufe, die Siegesfeier usw. Es hat sich der Wortsinn verändert. Auch diese Bedcutungsveränderungen der Wörter sind bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfen, auch darüber gibt es feststehende Sprachgesetze. Ferner heißt es an der zitierten Stelle des Nibelungenliedes von heleden lobebaeren sowie von grüzer recken slriten; die Ausdrücke lobe- baere und recke gebrauchen wir normaler Weise nicht mehr, fürs erste Wort müßten mir etwa „lobenswert", fürs zweite etwa „erprobter Abenteurer und Held" einsetzen. Es sind alte Wörter verschwunden und ausgestorben und durch neue Wörter sozusagen ersetzt worden. Auch dieser Wortersatz vollzieht sich wieder nach bestimmten Sprachgesetzen. Alle Sprachgesetze zusammen haben es im Laufe eines Jahrtausends erreicht, daß sich die ganze Sprache in ihren Grundfesten bis zur Unverständlichkeit umgebildet hat. Die althochdeutschen Sprachdenkmäler verstehen wir ohne genaues Vorstudium nicht mehr, wir müssen althochdeutsch nahezu wie eine Fremdsprache lernen, selbst dann, wenn das althochdeutsche Denkmal im Dialekt -unseres -eigenen Staates und Landes aufgeschrieben worden war. Alle inzwischen durchgeführten Veränderungen hat also der Namenforscher möglichst vollständig zu kennen, denn viele unserer Ortsnamen reichen bis in diese althochdeutsche Periode, manche sogar noch weiter zurück. Man stelle sich vor, was herauskäme, wenn die Namenkunde alle diese Sprachgesetze unberücksichtigt lassen würde. Es würden bestimmt die meisten Namendeutungen falsch werden; würde sich der Erklärer allein aufs Erraten oder, wollen wir es volkstümlich sagen, auf seine gute Nase verlassen, die Etymologien würden vor dem Auge des Fachkundigen einer vernichtenden Kritik anheimfallen. Desgleichen ist auch die dialektgeographische Verbreitung aller dieser Gesetze einst und jetzt in Betracht zu ziehen. Wer sie unberücksichtigt läßt, geht in die Irre. Durch die Anwenduna di-eser Gesetze auf die Namenforschung unterscheidet sich der Fachmann vom Dilettanten. Ein dilettantischer Namenforscher hat einmal vorgeschlagen, den Namen der Landeshauptstadt von Kärnten, filcgenfurf, vom deutschen Wort klag, klage, das ist der Sumpf, der Morast, abzuleiten. Dieses Wort filcg(e) existiert wirklich in der genannten Bedeutung. Es ist allerdings ausgesprochen plattdeutsch, in Oesterreich ist es gänzlich unbekannt und hat nie existiert. An und für sich wäre es verlockend, Klagenfurt als Furt im Sumpfgebiet auszulegen, denn die Umgebung von Klagenfurt war tatsächlich bis ins ausgehende 19. Jahrhundert Moorland. Trotzdem scheitert -diese Auslegung sofort an ihrer dialektgeographischen Unmöglichkeit. Daraus ersieht man, welch hohe Anforderungen die Namenkunde an ihre Betreuer stellt. Zur hieb- und stichfesten Deutung von Ortsnamen ist außer der Bekanntschaft mit der amtlichen Schreibform und mit der mundartlichen Lautung noch mehr erforderlich. Um die älteste Gestalt des Namens, die uns endlich seine einwandfreie Erklärung -gestattet, sicher zu -untermauern, sollen wir auch noch die urkundlichen Formen aus vergangenen Jahrhunderten zusammentragen, 64
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