Steyr und die Glaubenskämpfe

Vorwort. Wenn man in einer Stadt wie Steyr aufgewachsen ist und das Glück hat. mit Hilfe eines Bildungsganges, wie ihn Gymnasium und Hochschule bieten, nicht nur die Gegenwart ergreifen, sondern auch die Vergangenheit verstehen lernen zu können, so muß man sich, geht man nicht blind durch die Gassen und Gäßchen, über die Stiegen und Plätze dieser alten Stadt, eingeladen fühlen zu einem Exkurs in die Zeiten, da diese Giebelhäuser, diese Kapellen und Kirchen der Stolz einer freien, wohlhabenden und tatkräftigen Bürgerschaft waren. Die Gassen sind uns heute zu eng, die alte Stadt ist längst nur mehr die Reim¬ zelle einer größeren Industriestadt. Der Staub des modernen Verkehrs hüllt die stolzen Bürgerhäuser einer verklungenen Zeit ein, in denen Menschen leben, die ihre Bauart wenig praktisch und ihre Instandhaltung sehr kostspielig finden. Wer sich sein Trink¬ wasser im Zeitalter der Atomkraft noch vom Brunnen, der nicht selten außerhalb des Hauses ist, holen muß, verliert bald, wenn es überhaupt vorhanden war, das Verständ¬ nis für den historischen Wert des Gemäuers, innerhalb dessen er wohnt, noch dazu wenn die Stiege schmal und hoch, der Gang lang und finster, die Wohnung kalt und feucht ist. Im Winter nur, wenn die Lampe brennt und das Holz im Ofen kracht, wird es gemütlich in so einem alten Giebelhaus. Das Gefühl der Geborgenheit in starken Mauern bringt uns dann denen näher, die sie aufführen ließen zu einer Zeit. da der Besitz eines hauses den Bürger ausmachte und das „Bürgersein“ Rechte und Pflichten in wohlabgestimmtem Gleichmaß dem selbständig schaffenden Manne als Würde zuerkannte, beides als eine Freiheit, die nicht jedem zuteil ward. Unserer Zeit, die nur nach Rechten schreit und bestrebt ist, Pflichten auf ein Mindestmaß herabzudrücken, da sie Bürden sind und nichts anderes mehr bedeuten, ist auch das Verständnis für ein bürgerliches Leben, für seinen Sinn und Zweck mit dem Schwinden seiner Doraussetzungen verloren gegangen. Was Fremde bewundern, wenn sie im Sommer unser altes Stepr, von vielen das „österreichische Rothenburg“ genannt, besuchen, sind die kunst= und kulturhistorisch interessanten Bürgerhäuser mit den schönen Höfen, Arkaden, Gängen und Stiegen, die angen Straßen, die steilen Gäßchen und nicht zuletzt das Katzenkopfpflaster, das den Abschied von dem lieben Städtchen wesentlich leichter macht. Sie gehen auch in das Museum, es gehört dazu und ist gewissermaßen eine Ergänzung zur Besichtigung der Stadt. Kaum einer fühlt den Geist der alten Zeit in diesen Mauern lebendig werden, nimmt sich Zeit, ihn hervorzulocken, um sich erzählen zu lassen wie es damals war. Es geht auch schwer am Tage, da die neue Zeit so aufdringlich laut alles einhüllt, aber wer es versucht, langsamen Schrittes durch das nächtliche Sterr zu schlendern, dem wird mit den plastisch im Mondlicht stehenden Häusern auch die Vergangenheit so nahe rücken, daß er nur hören und sehen muß, um sie zu verstehen. Ein Fremder wird die alte Stadt als freundliche Erinnerung im Ge¬ dächtnis behalten. Wer seine Heimatstadt so kennt, der liebt sie und wird immer mehr von ihr wissen wollon. 5

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