Veröffentlichungen des Kulturamtes, Heft Dezember 1950

Niemand wird sich wohl dem edlen Reize dieser Ornamentbildungen entziehen können, die aus unser Gemüt noch in der gleichen Weise ansprechen, wie sie es zur Zeit ihrer Entstehung getan haben mögen. Vier Jahrhunderte haben dieser Formensprache nichts von ihrer Wirkung nehmen können, ja, einzelne dieser Ornamente sind in ihrer Haltung so vornehm-feierlich, daß sie sich über die Gebundenheit an irgendeine Formgesinnung weit erheben und durchaus zeitlos anmuten, ein neuerliches Zeichen dafür, daß alles wahrhaft Schöne nichts mit der stets sich wandelnden Zeit zu tun hat, sondern wie der Raum ein Ewigbeharrendes, ein unvergänglich Gültiges darstellt, und daß dieses wahrhaft Schöne aus tieferen Gründen quillt, als aus dem seichten Geplätscher der bloßen Mode. So wie die Musik eines Anton Bruckner ungeachtet ihrer ganz neuen Ausdrucksweise ihre nährenden Wurzeln tief in die Welten Bachs und Beethovens senkt, so kann jede andere große Leistung nur aus der Verbundenheit mit den Leistungen vorhergegangener Jahrhunderte erworben werden. Und zwar mühsam erworben werden! Alles andere ist höchstens für eine kleine Weile unterhaltend und interessant, wie alles vom Herkommen Abweichende. Aber wieder über eine kleine Weile spricht niemand mehr davon, oder man wundert sich höchstens über derartige Entgleisungen des guten Geschmackes. Was aber seinen Wert behält, kommt aus Schöpferhänden, die vom Blicke auf die unwandelbare Natur und von der tiefen Verbundenheit mit dem Wesen des Ursprünglich-Volk- haften geleitet sind. Es ist dann gleichgültig, ob der beschenkte Betrachter ein Kind der Durchgeistigung seiner Zeit ist oder ob er — davon unberührt — in Unwissenheit groß wurde. Beide, der Wissende und der unwissende Laie, werden staunend bewegt und ergriffen sein von Anmut und Schönheit, welche sie noch immer als ihre eigene Sehnsucht empfinden, in deren Zunge zu reden aber nur jenen beschieden ist, die sich die Aufgeschlossenheit der Natur gegenüber und die Reinheit des Herzens bewahrt haben. 31

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