Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr Der Handwerkerstand in der tausendjährigen Geschichte Steyrs Von Direktor Josef Ofner DieWehrbefestigungen der Stadt Steyr Von Dipl. Ing. Friedrich Berndt
Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr Der Handwerkerstand in der tausendjährigen Geschichte Steyrs Von Direktor Josef Ofner Die Wehrbefestigungen der Stadt Steyr Von Dipl. Ing. Fri edri ch Bern dt
Alle Rechte Vorbehalten Nachdruck nur mit Genehmigung des Kulturamtes der Stadt Steyr Eigentümer, Herausgeber und Verlag: Magistrat Steyr, Kulturamt Für den Inhalt verantwortlich: Dr. Erlefried Krobath Druck: Vereinsdruckerei Steyr
Z)e»L ■H'.a.nAcveJik&hstaMcl in der tausendjährigen Geschichte Steyrs) 7°se4 Adalbert Stifter, der in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mehrmals in Steyr weilte, sagt einmal anläßlich eines Besuches: „Hier ist die Stadt des Eisens und des Stahls!"3. Schon seit vielen Jahrhunderten bildet das Eisen, dem steirischen Erzberg in harter Arbeit abgerungen, die eherne Grundlage der gewerblichen Wirtschaft unserer Stadt. Doch nicht allein die Nähe der „Eisenwurzel", wie die schier unerschöpfliche Erzlagerstätte einst genannt wurde, sondern auch die günstige verkehrsgeographische Lage der Stadt an einem wichtigen nach Norden führenden Handelsweg, nicht allzu fern der West und Ost verbindenden Donau, war ausschlaggebend für ihren wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser bevorzugte Punkt, der im Hinblick auf die Kriegsereignisse des 10. Jahrhunderts auch von strategischer Bedeutung war, bewog wahrscheinlich auch das Geschlecht der Ottokare, die auf dem Felsen an der Steyrmündung thronende, seit 977 bezeugte Sttjraburg3 zur Residenz zu erwählen. Wenn wir von Linz absehen, das kurze Zeit Albrecht V. und Kaiser Friedrich am Abend seines Lebens beherbergte, war Steyr durch die bis 1192 währende Anwesenheit des genannten Herrschergeschlechtes die einzige Stadt im Lande ob der Enns, in der ein Landesfürst sich dauernd aufhielL. Diesem Umstand ist es wohl auch zuzuschreiben, daß unsere Stadt zur Eisenmetropole des Landes emporsteigen konnte und der Eisenhandel nicht an die Stadt Enns, dem älteren Handelsplatz, abgelenkt wurde3. An diesem gewinnbringenden Handel beteiligten sich auch die zu Bürgern gewordenen Adeligen, die einst im Dienste der Ottokare standen. Manche von ihren gelangten zu großem Reichtum und erwarben bedeutenden Grundbesitz3. Ihr Einfluß bei Hof hat sicherlich dazu beigetragen, daß der Handel mit Eisen der Stadt nicht verloren ging, sondern nur noch fester an diese gekettet wurde. Wie aus dem berühmten Albrechtinifchen Privileg vom Jahre 1287 hervorgeht, sicherten bereits die steirischen Markgrafen und später die Babenberger, wenn auch nur durch gewohnheitsmäßige Verleihung, der Stadt das Stapelrecht für Holz und Eisen aus dem Jnnerberg. Der große Freiheitsbrief Albrechts I. erklärt nun „offiziell" Steyr zum Niederlagsplatz für die genannten Rohstoffe. Drei Tage lang mußte das Eisen den Bürgern feilgeboten werden. Erst wenn sich innerhalb dieser Zeit kein Käufer fand, konnte es weitergeführt werden. Dieses, der mittelalterlichen Handelspolitik entspringende Zwangsrecht, jederzeit von der Stadt zäh verteidigt, — wir denken vor allem an die Streitigkeiten mit dem Stifte Admont, mit den Hammermeistern in den Seitentälern der Enns und an den langwierigen Kampf mit der Stadt Waidhofen, — legte den sicheren Grund zum Emporblühen der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, in der der Eisenhandel die dominierende Rolle spielte'. Mit der Entwicklung dieses Wirtschaftszweiges vollzog sich allmählich der Aufschwung des Handwerks, dessen Geschichte bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts nur mit recht spärlichen urkundlichen Nachrichten belegt werden 3
* -Vi tonn. Naturgemäß hören wir zuerst von solchen Gewerbetreibenden, die Lebensmittel, Bekleidung und Gegenstände des täglichen Bedarfes den Stadtbewohnern zu liefern hatten. Schon zur Zeit der Ottokare wird die Mühle beim Spital urkundlich erwähnt", das große Privilegium enthält die Bewilligung zur Errichtung von 16 Fleischbänken und in den landesfürstlichen Urbaren aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts lesen wir von der Mühle unterhalb der Burg, von Schneidern, Schustern, Webern und Schmieden in Steyrdorf und von Fischern in Ennsdorst. In diesem Vorort, der wie Steyrdorf damals noch nicht in den Burgfrieden der Stadt einbezogen war, hatte auch ein Hafner seine Werkstätte, in der im Jahre 1302 ein Brand ausbrach. Es ist dies die erste Nachricht über das Hafnerhandwerk in Oberösterreich". Die folgenden Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts erwähnen ab und zu nochmals das eine oder andere der genannten Gewerbe; 1360 ist in einem Bürgertestament von einer Sagmühl im Vogelsang11 und 1367 in einer Krems- münsterer Urkunde von einem Harnischmacher die Rede". Aber diese wenigen urkundlichen Belege dürfen uns nicht zu dem Schluß verleiten lassen, daß das Steyrer Handwerk in dieser Zeit bedeutungslos gewesen wäre. Dies trifft durchaus nicht zu, denn eine Reihe landesfürstlicher Privilegien und Befehle, wenn sie sich auch in erster Linie auf den Handel beziehen, lassen einen Aufstieg des Handwerks erkennen. Ich erinnere an das Jahrmarktsprivilegium 1347, das auf frühere Jahrmärkte hinweist, an die 4 WWW
1370 bis 1372 erlassenen Bestimmungen über den Handel mit Venedig und verweise schließlich darauf, daß in diesem Zeitraum schon Vereinigungen wirtschaftlicher und caritativer Natur genannt werden: 1309 die Fletzer-" und 1360 die Elendzeche". Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß schon gegen Ende dieses Jahrhunderts der größten eisenverarbeitenden Organisation, den Messerern, Zunftfreiheiten verliehen wurden. Herzog Ernst von Oesterreich bestätigt nämlich zwischen 1407 und 1411 in der im Schwertberger Archiv ausgefundenen, derzeit im oberösterreichischen Landesarchiv verwahrten Steyrer Messerer-Urkunde alle Privilegien, die schon vorher die Herzoge Wilhelm und Albrecht den Meistern des Messerer-Handwerks erteilten. Leider ist dieses Pergament etwas beschädigt, da es einmal als Bucheinband diente". Bevor ich jedoch auf die' Verleihung weiterer Handwerksordnungen eingehe, möchte ich vorher die soziale Stellung des Handwerkers kurz beleuchten und damit auch jene Umstände aufzeigen, die zur Bildung von Zechen führten. Die günstigen Lebensbedingungen in den mittelalterlichen Städten förderten die Einwanderung vom Land in diese: und wenn innerhalb der Stadtmauern der Platz schon zu sehr beschränkt war, siedelte man eben vor den Mauern in den Vorstädten". Ursprünglich konnte hier jeder ungehindert sein Handwerk ausüben, doch nur so lange, bis die Zahl der Handwerker, um den Bedarf an Erzeugnissen zu decken, erreicht war. Die angesessenen Gewerbetreibenden, die die Gefahr einer unliebsamen Konkurrenz abzuwehren suchten, waren daher eifrigst darauf bedacht, den Zuzug weiterer Handwerker in ihre Stadt zu verhindern. Dadurch ergab sich von selbst der Zusammenschluß gleichartiger Handwerker zu Handwerksverbänden". Ein weiterer Umstand, der eine solche Vereinigung begünstigte, war die große Kluft zwischen den ärmeren Handwerksklassen und den Erbbürgern oder Rittern, die in Steyr eine eigene Gemeinde bildeten. Schon im Verlauf des 13. Jahrhunderts sonderten sich die altangesessenen, durch den Eisenhandel reich gewordenen Geschlechter, das Patriziat, von der handwerktreibenden Bevölkerung, die nur mit ihren eigenen Erzeugnissen handeln durfte. Ursprünglich war die Trennung der beiden Bevölkerungsklassen so scharf abgegrenzt, daß gegenseitige Einheiraten ins Geschäft verboten waren". Die Aemter im Rate blieben ausschließlich den begüterten, eigentlichen Bürgern Vorbehalten. Diese Teilung der Stadtbewohner führte mit dem Erstarken der Zünfte im 15. Jahrhundert zu heftigen Auseinandersetzungen". Wie der bekannte Historiker Valentin Preuenhuber in seinen Steyrer Jahrbüchern erzählt, kam es auch in Steyr im November des Jahres 1506 zu einer Auflehnung der Handwerker wider die Ratsmitglieder. Unter Ulrich Prandtstetters Führung verlangten bei 180 gemeine Bürger und Handwerker u. a. vom Rat die Regelung der Bürgermeister- und Richterwahl, die Bekanntgabe der Stadtfreiheiten und forderten die Aufrichtung einer Ordnung, damit sich der Handwerker neben dem Bürger nähren könne. Dieses Vorgehen hatte zur Folge, daß die „Aufrührer", wie sie bezeichnet wurden, beim Kaiser verklagt und durch den Oberst-Hauptmann Wolfgang von Polheim die bevorstehende Bürgermeisterwahl eingestellt und eine Untersuchung eingeleitet wurde. Die Angeklagten wiesen bei ihrer Vernehmung darauf hin, daß sich die Ratsbürger mit dem Handel bereichern und den armen Handwerksmann verderben ließen. Als Beispiel führten sie Lorenz Gutbrodt an, der vor acht Jahren noch ein armer Diener gewesen sei und jetzt bei 8000 Gulden im Messerhandel verdient hätte. Der Rat hingegen gab zur Antwort, daß jeder, der das Bürgerrecht besitze „und 24 Pfund Pfennig anliegend im Burgfrieden habe, er sei Handwerker oder nicht, allen und jeden Handel mit Weinschenken, venedigischer Kaufmannschaft und anderen, wie es ihm nur gelüftet, treiben könne, wiewohl es besser wäre, der Handwerker bliebe bei seinem Handwerk und der andere Bürger bei seinem Gewe'rb." 5
Diese Streitsache wurde auch durch eine Entscheidung Kaiser Maximilians nicht beigelegt und zog sich hin bis zum Jahre 1511. Es wurden neuerlich Beschwerden gegen die Ratsbürger erhoben. Messerer, Klingenschmiede und Schleifer beklagten sich, daß der gute Stahl aus dem Lande geführt, der schlechte und weiche dagegen den Werkstätten gelassen werde, folglich der Handwerker keine gute Arbeit leisten könne und daher verderben müßte. Ein Messerergeselle, Sebastian Mureisen, dem ein Gerichtshandel nicht zu seinen Gunsten entschieden wurde, sagte sogar dem Rat die Fehde an, und Ulrich Prandtstetter drohte in einer geheimen Versammlung, daß man zu den Klingen greifen, die Ratsmitglieder durch die Fenster werfen und alle erschlagen werde. Das Endergebnis dieses Aufstandes war eine Niederlage der Handwerker. Von 35 beteiligten Personen erhielt die Mehrzahl eine Geldstrafe. Ulrich Prandtstetter hingegen und neun Handwerker wurden in Eisen geschlagen und auf Wagen über Linz nach Wien ins Gefängnis geschleppt. Zwei der Angeklagten konnten noch rechtzeitig die Flucht ergreifen. Einer von den beiden, Hans Scheubl, versteckte sich im Dominikanerkloster und floh dann in Mönchskleidern nach Vudweis. Die Gefangenen wurden im nächsten Jahre wieder auf freien Fuß gesetzt. In Steyr wurde ihnen jedoch die Ausübung ihres Handwerks untersagt, da sie behaupteten, unschuldig bestraft worden zu sein. Prandtstetter, der aus Oberösterreich auf ewige Zeiten verwiesen wurde, ging wie Scheubl ebenfalls nach Böhmen und suchte von dort aus neuerdings gegen die Steyrer Ratsbürger Anschuldigungen zu erheben. Preuenhuber ist der Meinung, daß er später geköpft worden fei20. Die sozialen Unterschiede zwischen den Handwerkern und den reichen Patrizierfamilien, die den Kaiser finanziell unterstützten und ihre Töchter an Adelige verheirateten, bestanden aber noch lange Zeit. Wenn auch, wie Preuenhuber in seinen Annalen einleitend bemerkt, zwei oder drei Meister aus dem Handwerk der Messerer der Stadtregierung beigezogen wurden, so war doch noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts der gesellschaftliche Abstand zwischen den Ratsbürgern und den übrigen Stadtbewohnern sehr groß. Dies beleuchtet recht anschaulich ein Ratsbeschluh aus dem Jahre 1583, nach welchem der von Magnus Ziegler und Hieronymus Händl bevormundeten bürgerlichen Jungfrau Regina Earerin die Anschaffung von zwei Atlas-Röcken in „pamarant- schen" und weißer Farbe für ihre Brautausstattung sowie das Tragen einer goldenen Halskette und eines Armschmuckes bei Strafe gänzliche und gar eingestellt und abgeschafft wurde. Lediglich einen veilchenbraunen Atlas-Rock bewilligte man ihr für die Hochzeit2^. Sogar die Kleidung und deren Farbe hat man um diese Zeit noch den gewöhnlichen Bürgersleuten vorgeschrieben. Neben Konkurrenz und Standesunterschied waren aber auch vielfach religiöse und soziale Erwägungen für den Zusammenschluß der Handwerker maßgebend. Zwei Grundtypen treten uns hier entgegen: Die Bruderschaften mit ihren religiös-kirchlichen Zielen und die Zechen, die entweder Bruderschaften oder ausgesprochene Standesorganisationen sein konnten und für die sich die Bezeichnungen „Handwerk", „Innung" und „Zunft" herausbildeten. Schließlich gab es um 1500 fast keine wirtschaftliche Standesgruppe, die nicht in irgend einer Weise, sei es durch einen Gottesdienst oder durch die Beteiligung am Fronleichnamsfest die Zugehörigkeit zur Kirche bezeugt hätte- __ Bekanntlich standen die Landesfürsten im 13. und 14. Jahrhundert den Zünften ob ihrer „Exklusivität" und ihren eigenmächtigen Preisfestsetzungen nicht sympathisch gegenüber, da sie in dem Vorgehen der Zechen eine Schädigung der übrigen städtischen Belange erblickten. Schon Ottokar von Böhmen befahl 1276 in Wien die Aufhebung der Zünfte auf zwei Jahre22 und noch 1435 war den Zunftmitgliedern eine Versammlung nur auf dem Rathaus in Gegenwart von zwei Ratsmitgliedern gestattet2^ Doch der mächtige genosien- 6
jchastliche Zug unter den Handwerkern in den österreichischen Städten war nicht aufzuhalten. Bereits im 14. Jahrhundert kannte man infolge der vorherrschenden Spezialisierung über hundert Gewerbe. Jedes Handwerk suchte sich die rechtliche Grundlage durch eine von der Obrigkeit verliehene Handwerksordnung zu verschaffen'". Während Steyr aus dem 14. Jahrhundert fast keine urkundlichen Nachrichten über das Zunftwesen besitzt, haben sich in Linz und Freistadt Handwerksordnungen aus dieser Zeit erhalten33. Da unsere Stadt aber irrt Mittelalter zu den vornehmsten Städten Oesterreichs zählte, kann man wohl annehmen, daß auch hiesigen Handwerksoerbänden schon in der zweiten Hälsle dieses Jahrhunderts Privilegien erteilt wurden. Reichlicher fließen die Quellen im 15. Jahrhundert. Sie berichten, daß außer den Messerern schon 1447 die Schneider3?, 1459 die Zimmerer33, 1466 die Klampferer33 ihre Handwerksordnung erhielten. Die Zahl der Innungen dürfte aber größer gewesen sein, da Preuenhuber erzählt, daß im Jahre 1471 zum Empfange Kaiser Friedrichs alle Zechen und Zünfte mit ihren Fahnen aus- riicften30. Wie aus den vorhandenen Zunfturkunden hervorgeht, erhielten gegen Ende des Jahrhunderts, und zwar 1483 die Beutler33, 1486 die Hafner33, 1488 die Klingenschmiede^ und 1495 die Steinmetze ihre Handwerksfreiheiten3^. 1496 lesen wir von den Meistern und Gesellen des Binderhandwerks33. Jedenfalls gehört auch die Handwerksordnung der Tischler noch dem 15. Jahrhundert an, da aus dem Jahre 1536 bereits eine Tischlergesellen-Ordnung vorliegt33. Vielleicht war es bei dem einen oder anderen Handwerk nur eine Erneuerung oder Verbesserung althergebrachter Privilegien. Dies dürfte sicherlich bei einigen Handwerksordnungen zutreffen, die erst im 16. oder gar im 17. Jahrhundert in den Archivalien erwähnt werden. Es kam auch vor, daß Zunftordnungen den Flammen zum Opfer fielen und wieder neu aufgerichtet werden mußten. So ging die Handwerksordnung der Klingenschmiede aus dem Jahre 1488 bei einem Brande in Steyrdorf3?, jene der Lederer beim großen Stadtbrand im August des Jahres 1727 zugrunde33. Im Jahre 1525 stand Steyr mit 22 Zechen und Bruderschaften an der Spitze der oberösterreichischen Städte. Ich nenne hier nur Unser lieben Frauen- und St.-Barbara-Zeche und Bruderschaft der Messerer, die Dreifaltigkeitszeche der Schneider. Unseres Herrn Fronleichnamszeche der Klingenschmiede, Schleifer, Schlosser, Bäcker und Fleischhacker und die St.-Jakobs-Bruderschaft, der die Schuster, Binder, Scherenschmiede, Hafner, Weber, Ahlschmiede und Bürstenbinder angehörten3". Auffallend ist, daß sich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts die Bestätigungen von Handwerksfreiheiten geradezu häufen. Nad-
ler (1562)40, Feil- und Zirkelschmiede (1565)“, Kaltschmiede (1567)42, Färber (1569)43, Seiler (1579)14, Schuster (1580)45, Geimetzger (1580)46, Zweckschmiede (1580)4’, Bader (1589)48 und die Lederer (1596)49 werden in dieser Zeit mit Ordnungen begabt. Die Aufrichtung einer Handwerksordnung erbaten die Meister der städtischen Zechen vor allem zur Abstellung von allerlei Mißständen und zur „Pflanzung guter Mannszucht". Meist erfolgte die Erteilung der Handwerksfreiheiten durch die Stadtobrigkeit oder durch den Landesfürsten, besonders wenn es sich um eine Landesinnung handelte. Als Beispiel hiefür sei angeführt das Landhandwerk der Weißgerber und Sämischmacher, dessen Handwerksartikel Kaiser Karl VI. bestätigte8", das Leinweber-Handwerk84, die bürgerlichen Riemermeister in Linz und im ganzen Erzherzogtum Oesterreich ob der Enns82 und das Handwerk der bürgerlichen Sattler- und Kummetmacher. Nachdem sich letztere, die im 16. Jahrhundert noch selbständige Innungen waren, durch ungefähr 60 Jahre wegen verschiedener einschlägiger Arbeiten gegenseitig befehdet hatten, verfügte Kaiser Rudolf II., um dem jahrelangen Streit ein Ende zu bereiten, die Vereinigung beider Gewerbe in einer Zunft83. Zur Bildung neuer Zechen kam es im 16. und 17. Jahrhundert auch dadurch, daß sich verwandte Handwerkszweige, die in einer Innung vereinigt waren, trennten oder sich Handwerker eines Ortes aus einem größeren Zunftverband lösten. So waren die Zweckschmiede bis zum Jahre 1580 mit den Ahlfchmieden in einer Zunft beisammen. Nach der Trennung von den Ahl- schmieden umfaßte das Zweckschmiedhandwerk außer Steyr auch die Orte Waidhofen, Steinbach, Raming und Dambach84. Aehnlich lagen die Verhältnisse beim Posamentier- und Seidenstrickerhandwerk und beim Glasergewerbe. Bis 1661 gehörten diese Berufe dem Linzer Handwerk an. In diesem Jahre machten sich beide selbständig und erhielten ihre Handwerksordnung^. Anderseits hören wir wieder, daß 1777 die drei bürgerlichen Goldschmiede über Auftrag der Behörde dem Linzer-Mittel einverleibt wurden8". Hinsichtlich der Zunftzugehörigkeit einzelner Handwerker herrschte also eine große Mannigfaltigkeit, wie noch an einigen Beispielen gezeigt werden soll. Im Jahre 1569 reisten zwei Lebzeltermeister, Joachim Leuttner und Ulrich Hueber, nach Wien, um in das Wiener Handwerk ausgenommen zu werden8". Der Linzer Geigenbauer Johannes Havelka besaß für sein Handwerk ein kaiserliches Spezial-Privilegium für ganz Oberösterreich, so daß 1768 der Wiener Lauten- und Geigenmachergesell Johann Georg Adelbodinger in Steyr dieses Handwerk nicht ausüben konnte88. Auch der einzige behauste bürgerliche Kartenmaler in der Stadt genoß den Schutz der Regierung. Laut Dekret vom Jahre 1765 durfte „ohne allerhöchstes Vorwissen und Einwilligung" keinem weiteren Kartenmaler das Bürgerrecht verliehen werden89. Eine ähnliche Stellung nahm ferner das Handwerk der „Sekler oder Watschgermacher" ein, das um 1570 nur in Wien und in Steyr bestand, sonst nirgends in Ober- und Niederösterreich"". In diesem Zusammenhänge sei schließlich noch erwähnt, daß über das Landhandwerk der Kaltschmiede, Stampfern- oder Spengler in Oberösterreich die Herren von und zu Traun vom Kaiser als Vogt- und Schutzherren eingesetzt waren"4. Wollen wir nun einen Blick in die uralten vergilbten Pergamentblätter der Handwerksordnungen werfen. In ihren Grundzügen gliedern sie sich in die drei Hauptabschnitte: Lehrling, Geselle und Meister. Daneben enthalten sie Bestimmungen über die Wahl der Zech-, Für- und Beschaumeister, die Verwaltung von Geldbüchse und Lade, über den Jahrtag, die Versammlungen, die Mitgliedsbeiträge u. dgl. Die mühsame Stufenleiter zur Meisterwürde begann mit der Lehrzeit. Grundbedingung für die Aufnahme eines Lehrlings in das Handwerk war die 8
eheliche Geburt und der Nachweis ehrlicher Abstammung. Söhne fahrender Leute, von Quacksalbern, Spielleuten, Scharfrichtern und Abdeckern fanden niemals Eingang in die Zunft. Die Dauer der Lehrzeit betrug bei den meisten Berufen drei bis vier Jahre"", doch gab es auch Ausnahmen; so war bei den Steinmetzen eine fünfjährige Lehrzeit, bei den Goldschmieden um 1590 eine solche von sieben bis neun Jahren vorgeschrieben. Sie endete mit dem in feierlicher Weise durchgeführten Freispruch zum Gesellen und der Einhändigung des auf Pergament geschriebenen Lehrbriefes. Von den Gesellen oder Knechten verlangten die Zunftsatzungen bekanntlich eine mehrjährige Wanderzeit. Sie mußten in die Fremde ziehen, ehe sie das Meisterrecht erwerben konnten. In den fremden Herbergen fanden die Handwerksburschen gastliche Aufnahme, man ließ ihnen alle Unterstützung angedeihen. Wehe aber dem Gesellen, der wegen Unredlichkeit vom Handwerk gescholten oder aus diesem ausgeschlossen wurde. Er konnte seiner Bestrafung nicht entrinnen. Laufzettel eilten von Stadt zu Stadt, kein Meister nahm ihn in seine Werkstätte, er wurde „getrieben" von Ort zu Ort, bis er wieder redlich geworden war. Ein solcher Laufbrief, „Treibzettel" genannt, wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom hiesigen Handwerk der Stuck- und Glockengießer ausgestellt: „Wir Meister und Gesellen in Steyr", so heißt es in diesem Schriftstück, „lassen Johann Alter von Nürnberg treiben und halten ihn nicht für gut, bis er bezahle die 2 Gulden 20 Kreuzer, welche er bei einem Wirt angesagt, und wir zwei Meister hievor gut gestanden." 1747 verbot der Landeshauptmann die „ärgerlichen Treibzettel", die er in einem Schreiben an das Steyrer Handwerk als „Handwerkspossen" bezeichnete"". Die väterliche Fürsorge des Meisters wurde nicht nur dem Lehrling, sondern nuch dem Gesellen zuteil. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestand ursprünglich ein ideales familiäres Verhältnis, das jedoch zu bestehen aufhörte, als ein Großteil der Gesellen aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen das Meisterrecht nicht mehr erlangen konnte. Die Gesellen gründeten daher zur Sicherung ihrer Interessen eigene Standesorganisationen"'. In Steyr gab es, um nur einige zu nennen, die Zeche der Messerer-, Klingenschmiede-, der Tischler-, Metzger-, Schneider-, Zeug- und Leinwebergefellen und die Bruderschaft der Nadlergesellen"". Um angetanes Unrecht abzuwehren, griffen die Handwerksknechte auch zu schärferen Mitteln, sie verweigerten die Arbeit. Die Steyrer Klingenschmied-Ordnung mahnt die Gesellen, nicht aus Werktagen Feiertage zu machen. Falls sie von den Meistern ungerecht behandelt würden, mögen sie sich an die Fürmeister beziehungsweise an den Richter wenden"" Ab und zu wird auch über das ausgelassene Verhalten der Gesellen geklagt. Im Ratsprotokoll aus dem Jahre 1583 findet sich eine Beschwerde über das mutwillige Benehmen der Messerergesellen in Steyrdorf"', in jenem aus 1600 beanständet man die Kürschnergesellen, die mit Panzerhemden und Schwertern angetan, lärmend durch die Gassen der Stadt zogen"". Bei den Weißgerbern bestand in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Brauch des „Abend-Ausfchenkens", wenn reisende Gesellen ankamen. Drei- bis viermal in der Woche zechten die Gesellen in der Herberge, was eine minderwertige Leistung in der Werkstatt und andere schlechte Handlungen zur Folge hatte. Auch in Deutschland war diese Sitte verbreitet, denn 1549 erkundigt sich der Breslauer Magistrat bei dem Steyrer Weißgerber-Handwerk, wie es in Oesterreich in dieser Hinsicht gehalten werde. Aber schon im folgenden Jahre wurde das Abend-Ausschenken durch eine kaiserliche Verordnung untersagt"". Die tägliche Arbeitszeit der Gesellen war nicht in allen Gewerben gleich. Im allgemeinen begann das Tagwerk schon recht zeitlich in der Früh und endete oft spät am Abend. Die Messerer und Hafner z. B. arbeiteten von 4 Uhr früh bis 7 Uhr abends, die Gürtler hingegen von 5 Uhr morgens bis 21 Uhr'". 9
Nicht leicht war es für den Gesellen, die Meisterwürde zu erlangen und einen eigenen Hausstand zu begründen. Er mußte nochmals seine eheliche Geburt Nachweisen, hatte zu bezeugen, daß er seine Lehrzeit vorschriftsmäßig zurückgelegt und vom Meister redlich Abschied genommen habe. Er mußte das Bürgerrecht besitzen und sich einem strengen Befähigungsnachweis, der Meisterprüfung, unterziehen. Während im Mittelalter die Anfertigung von Meisterstücken zunächst nur von Kunsthandwerkern wie Goldschmieden, Malern und -auch Drechslern gefordert wurde, findet sich später diese Einrichtung fast bei allen gewerblichen Berufen und erschwerte manchmal ganz bedeutend die Erlangung des Meistertitels77. Hiefür nun einige interessante Beispiele. Bei den Schrotschmieden wurde nach der Handwerksordnung aus dem Jahre 1655 als Meisterstück die Anfertigung folgender Werkzeuge innerhalb eines Tages verlangt: ein Sattlermesser, ein Bodenmesser für Binder, ein Rundmesser zum „Taufel-Aufschneiden"-, zwei Stoßeisen, zwei Winkeleisen, zwei Stemmeisen und ein langes Sagblatt für Orgelmacher7'. Ein angehender Nadlermeister wiederum hatte 300 gerade Schusternadeln, 300 Schneidernadeln und 300 Kürschnernadeln zu machen7'. Innerhalb von zwei Tagen mußte ein Zimmerergeselle nachstehende Aufgabe schriftlich lösen: „Nach dem jungen Maßstab ein aufgesetzte Stuben mit den geleimten Dürren, drauf ein wohlabgebundenes Ueberzimmer und Ueberschlag was zu solcher Stuben, Ueberzimmer und Dürren vonnöten und man bedürftig ift"74. Die Meisterprüfung der Bader bestand in der Herstellung von vier Pflastern und in der Beantwortung von 59 Fragen, die der bestellte Stadtmedikus an den Prüfling richtete. Eine Frage z. B. lautete: Wie erkennt man den Biß eines tollwütigen Hundes? Antwort: Man bringe Blut von der Bißwunde auf ein Stück Brot und werfe es irgend einem Hunde vor. Läßt dieser es liegen, dann stammt der Biß von einem tollwütigen Tier7'. Besondere Schwierigkeiten aber bereitete im 18. Jahrhundert die Erreichung des Meisterrechtes bei den Schneidern. Die Prüfung dauerte vierzehn Tage. Im sogenannten „Stuckhaus" hatte der angehende Meister bis zur Probe fertigzustellen: ein Priesterkleid mit zwei „Leviten", ein Frauenkleid, einen Prälatenrock, ferner die sogenannte „Reiterei", bestehend aus einem Herrenmantel mit zwei Kragen, einem samtenen Rock, einem Leib und einer Hose, außerdem für vier Lakeien die Mäntel samt Kragen, Röcke, Westen, Hosen, Strümpfe und Handschuhe. Fast unerschwinglich aber waren die mit diesem „Stuckmachen" verbundenen Auslagen. Abgesehen von den Materialkosten hatte der angehende Meister für die Zusammengänge des Handwerks, für mehrere Mahlzeiten, bei welchen Suppe, Rindfleisch, Kraut, Braten und Salat aufgetragen wurden, für die Getränke, für den Ratskommissär, für achtzehn Meister, welche die Stücke aufzugeben hatten, für den Zechmeister, an Meistergebühr und „Fahnentaler" insgesamt bei hundert Gulden auszugeben7'. Der Magistrat, der in allen Handwerkssachen die zuständige Behörde darstellte, verbot aber von Zeit zu Zeit derartige Auswüchse. 1682 setzte er beim Binderhandwerk die Kosten für das Meisterstück von 50 auf 20 Gulden herab'7 und 1766 verlangte er vom Schneiderhandwerk, daß die anzufertigenden Meisterarbeiten um die Hälfte verringert werden und der „Stuckmeister" nicht mehr als 50 Gulden zu bezahlen habe7'. Bekanntlich hatten es Meistersöhne und Gesellen, die gewillt waren, eines Meisters Tochter oder Witwe zu heiraten, viel leichter: ihnen wurde das Meisterstück zur Hälfte oder ganz erlassen. Auch gegen den Willen des Handwerks konnte eine Aufnahme in dasselbe erfolgen, wenn sich der Rat für einen bestimmten Handwerker interessierte. Ich nenne als Beispiel Thomas Achleitner, der um 1580 in die Zunft der Zimmerer ausgenommen werden mußte, weil er durch eine lange Zeit schon Arbeiten an den städtischen Wasserbauten verrichtete7'. 10
Die Handwerksversammlungen alle Quatember und am Jahrtag, dem Festtag des Schutzpatrons der Innung, fanden in der Herberge statt. Bei offener Lade, in der Privilegien, Geldbüchse und Zunftsiegel verwahrt lagen, erfolgte die Wahl der Zechmeister, die Rechnungslegung über Einnahmen und Ausgaben, das Aufdingen und Freisprechen der Lehrlinge sowie die Erledigung verschiedener Zunftangelegenheiten8". Diese Versammlungen ließ die Stadtobrigkeit stets durch einen Abgesandten, dem Ratskommissär, überwachen, der über den Verlauf der Versammlung eine ausführliche Relation dem Bürgermeister vorzulegen hatte. Am Jahrtag herrschte manchmal überschäumende Fröhlichkeit. Dies zeigt eine Jahrtagsrechnung der Metzgerknechts aus dem Jahre 1735, die über den Brauch des „Brunnenwerfens" berichtet. Sie zeigt folgende Ausgabeposten: „Demjenigen Fleischhacker, so sich hat in den Brunn werfen lassen geben 38 kr., zwei Buben so ihm die Füß gehalten 14 kr., einen Fremden in Brunn geworfen 12 kr." Die Sitte des Brunnenwerfens findet noch im Jahre 1764 Erwähnung8*. GESELLENHUMPEN D. HAFNERZUNFT IN STEYR. Zeichnung von Fachlehrer A. Blümel. Uebertretungen, die sich einzelne Gewerbetreibende oder eine ganze Zeche zuschulden kommen ließen, belegte der Rat mit Geld- oder Arreststrafen. Als im Jahre 1572 die Gastwirte das Ungeld, eine Getränkesteuer, nicht rechtzeitig erlegten und über beschehene Aufforderung auch nicht auf dem Rathaus erschienen, lieh sie der Rat so lange in den Turm schaffen, bis jeder seine Schuld beglichen und außerdem noch einen ungarischen Gulden bezahlt hatte83. 1680 öffneten zwei Vräuer ohne Wissen der Visierer die Sudpfannen. Sie mußten dafür zur Strafe auf zwei Stunden in den „Ofen", wo sie in kniender Stellung verharren mußten83. Wegen ungebührlicher Forderungen des Herbergsvaters Leopold Angerer brachten 1723 die Hafner ihre Lade und ihr Schild ohne Bewilligung des Rates zu ihrem Zechmeister. Das ganze Handwerk er11
hielt deshalb eine halbtägige Arreststrafe, die die Meister in der Bürgerstube, die Gesellen im Dienerhaus zu verbüßen hatten. Die Zunfttruhe aber mußte wieder in die Herberge zurückgestellt roerben84. Die Zünfle durften nur mit Genehmigung der Stadtbehörde die Artikel ihrer Ordnung abändern und wurden, wie noch gezeigt werden wird, auch hinsichtlich Preisgestaltung und Qualität ihrer Erzeugnisse vom Rate kontrolliert. Wollen wir nun die wirtschaftliche Lage des Handwerkerstandes seit dem 15. Jahrhundert einer kurzen Betrachtung unterziehen. Die vielverzweigte Eisenindustrie, die sich im 14. Jahrhundert zu entwickeln begann, breitete sich, die Wasserkräfte der Steyr ausnützend, hauptsächlich in Steyrdorf und Aichet aus. Neben Huf-, Hammer- und Neigerschmieden, Harnischmachern, Bognern, Panzerstrickern und Sporern, Haubenschmieden und Schwertfegern, neben Pfannen-, Nagel-, Blech- und Zweckschmieden, Drahtziehern, Feilhauern, Schlossern, Ahl- und Zirkelschmieden entfaltete sich vom 14. bis zum 16. Jahrhundert am mächtigsten die Messererzeugung, welche die Klingenschmiede, Schleifer und die eigentlichen Messerer umfaßte. Die Herstellung eines Messers vollzog sich seit dem 15. Jahrhundert in der Weise, daß der Klingenschmied die Rohklinge schmiedete, der Schleifer ihr die „Schneid" gab und der Messerer die Schale dazu anfertigte. Diese Arbeit verrichteten vielfach neben den Gesellen auch besondere Lohnarbeiter, die Schrater oder Schalenmacher. Das tägliche Arbeitsquantum der Klingenschmiede war im allgemeinen festgesetzt mit ein bis drei Schwertern oder 20 bis 40 Stück kleineren Messern. Mit großer Sorgfalt wurde das Rohmaterial, der Stahl, ausgesucht, der „recht gegärbt, nicht rauch und grob gezaint sein" durfte. Sorgfältig war aber auch die Ausführung der Messerwaren. Kein Wunder, wenn die mit dem Zeichen der Steyrer Messerer geschlagenen Erzeugnisse in aller Welt begehrt wurden. England, Frankreich, Deutschland, Böhmen, Italien, Ungarn, Polen, Rußland und der Orient waren die Absatzgebiete der hiesigen Messerverleger88. Eine Blütezeit der Eisenindustrie war auch immer eine Blütezeit für die anderen Gewerbe in unserer Stadt. So war es schon im 15. Jahrhundert. Die Stadtpfarrkirche, das prächtige Bummerlhaus und andere hübsche spätgotische Bürgerhäuser erinnern noch heute an die Zeit bürgerlichen Wohlstandes im ausklingenden Mittelalter. Aber schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts zeigte sich, hervorgerufen durch verschiedene Kriegsereignisse, ein Niedergang der gewerblichen Wirtschaft. Als 1495 Kaiser Maximilian I. die Stadt neuerlich um 700-Gulden ersuchte, klagten die Steyrer, daß sie seit zwölf Jahren vielfältige Aufschläge zu leisten hätten, daß seit dreißig Jahren das Messerer-Handwerk so schlecht und solche Zeit noch nie gewesen wäre88. Diese Krisenzeit dauerte an bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Sie spiegelt sich in dem oben geschilderten Streit zwischen Ratsbürgern und Handwerkern, sie kommt zum Ausdruck nach 1534, in welchem Jahre die Quellen zu berichten wissen, daß die Stadt durch Türkenkriege, Teuerung und Geldentwertung in große Armut geraten fei87. Doch der nimmermüde Fleiß der Gewerbetreibenden wußte auch diesen Tiefstand verhältnismäßig rasch zu überwinden. Um die Mitte dieses Jahrhunderts erlebt das Handwerk, trotz der religiösen Ereignisse, neuerlich einen bedeutenden Aufschwungs. Zu Anfang des Jahrhunderts fand die Sensen- und Sichelerzeugung hier Eingang88, 1540 kamen die Schermesserschmiede von Waidhofen nach Steyr88 und um 1543 war der Raum innerhalb der Stadtmauern schon so beschränkt, daß für die Messerer auf dem Wieserfeld Wohn- und Arbeitsstätten erbaut werden mußten84. Aus dieser Zeit stammt das älteste Steuerbuch der Stadt, das bereits ein vielgestaltiges Handwerksleben aufweist8'. Die 1569 einsetzenden Ratsprotokolle erzählen von den Messinghütt- 12
werken Werner Mannstains zu Steyr und Reichraming00, von den Rat- oder Rotschmieden Hans Winkler01 und Hans Lang, sie berichten von dem Bau einer Glocken-Gießstatt am Graben00, sie erwähnen Pulvermacher00, lange und kurze Schleifer07, Sieberer, „Sehl"-00, geber=", Kozen-100, Karten- und Handschuhmachers Seit die Schußwaffen zur Zeit Kaiser Maximilians allgemein Verbreitung fanden, wurde die Erzeugung derselben auch in Steyr betrieben. 1551 lesen wir von den Büchsenmachern Wolfgang Aigner und Max Steinacher10^. Den Metzgern wurde 1583 das Schlachten in den Häusern untersagt und vor dem neuen Tor eine Schlachtbrücke erbaut. Es wurde ihnen ferner das Jnschlitt-Ausbrennen und das Kerzenmachen verboten. Diese Arbeiten mußten in der Hütte vor dem Neutor verrichtet werden, um den lästigen Geruch aus der Stadt zum Verschwinden zu bringen103. 1590 bewilligt der Rat dem Fleischhacker-Handwerk die Führung eines Handwerkssiegels, doch den „Ochsenkopf" in demselben zu führen, wurde aus „sondern bedennckhen" nicht gestattet101. ' Da die Stadtbewohner ihren Warenbedarf bei den ansässigen zunst- mäßigen Handwerkern decken mußten, hatte die Stadtobrigkeit stets ein wachsames Auge für Qualität und Quantität gewerblicher Erzeugnisse. Zahlreich sind die Drohungen, Mahnungen und Strafen, die in dieser Hinsicht ausgesprochen wurden. Einer ständigen Kontrolle waren die Fleischhauer und Bäcker unterworfen. Die „Brotbeschauer" mußten jede Woche bei den hiesigen Bäckern, an Wochenmarktstagen bei den Geibäckern das Brotgewicht überprüfen. In der Faschingsund Fastenzeit hatten die Handwerksmeister dem Rat eine Anzahl „Peiglmuster" zur Auswahl vorzulegen100. Als 1577 bei der Brotbeschau das Gebäck abermals zu gering befunden wurde, diktierte der Bürgermeister für ein Lot Gewichtsabgang die Zahlung eines Dukaten und kündigte gleichzeitig an, daß im Wiederholungsfälle mit der „Schupfen" vorgegangen werden müsse00. Die „Bäckerschupfen", eine mittelalterliche Strafmaschine, war ein hölzerner Korb oder Käfig an einem mächtigen Hebel, mit dem man den in den Korb gesperrten Bäckermeister beliebig oft ins Wasser tauchen konnte. Die ältere Art dieser Vorrichtung war die „Prelle". Man hängte sie mit Vorliebe über schmutziges Wasser. Sie war so gebaut, daß sich der Sträfling aus derselben durch einen Sprung in die Pfütze befreien tonnte107. Noch im Jahre 1772 wurde in Steyr die Bäckerschupfe neuerlich aufgerichtet103. Wie die Bäcker, so mußten auch die anderen Berufe tüchtige Arbeit leisten. Im Jahre 1577 wurde der Bader Hans Heindl zu einer Geldstrafe von sieben Taler verurteilt, weil er dem Mörder Hans Fidler, der im Stadtgefängnis feine letzten Tage verbrachte und aus „Teufelischer eingebung" einen Krug zerbiß, die im Halse Fidlers steckenden Scherben mit seinen Instrumenten nur noch besser in den Schlund hinabgetrieben habe100. Wegen der liederlichen Arbeit drohten um 1580 die Stadtväter den Steinmetzen und Maurern, dem wälischen Steinmetz Caspar Dorette allhier sein Steinwerk hauen und verkaufen zu lassen110. 1590 wurde dem Papierer Valentin Pramer nahegelegt, besseres Papier zu machen, da man es sonst von anderen Orten beziehen müßte111 und im gleichen Jahre mußten die Ziegelofen-Besitzer auf dem Rathaus erscheinen, weil die Ziegel so schlecht waren, daß sie bei Regenwetter zerbröckelten1^. Galt es aber, besondere Arbeiten anzufertigen, dann berief der Rat aus anderen Städten die Fachleute. Nach der Hochwasserkatastrophe im Jahre 1572 ließ man aus Wien Baumeister kommrn, die über den Wiederaufbau der eingestürzten Stadtmauern und Gebäude ihr Gutachten abgaben m. Aus Augsburg holte man 1577 den Uhrmacher Georg Wagner, dem der Auftrag zuteil wurde, das Uhrwerk auf dem Rathausturm einzurichten111. 13
In besonderem Ansehen muß um diese Zeit die Goldschmiedekunst gestanden sein, denn man findet nicht selten die Namen von Meistern und Gesellen dieses schönen Handwerks in den Ratsprotokollen verzeichnet. Neben Gold- und Silberarbeiten pflegten sie auch den „Stachelschnitt"115 unb mancher von ihnen war in jener Zeit auch Kupferstecher wie 3. B. der Wiener Johann Bloy oder der Nürnberger Hans Hensel448. In Steyr lebte damals der bürgerliche Goldschmied Wolfgang Hauser, dem wir die älteste Stadtansicht aus dem Jahre 1584 verdanken147. Er hat noch später, um 1611, vom Burgfried unserer Stadt Kupferstiche' angefertigt. Für zweihundert Exemplare erhielt er vom Rat 50 Mer118. In Blütezeiten des Handwerks, wie uns eine solche eben in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entgegentritt, spielten die Jahrmärkte eine besondere Rolle. Da sie zumeist für den Handel mit gewerblichen Erzeugnissen bestimmt waren, besaßen sie eine hervorragende Bedeutung für die Stadtwirtschaft442. Man könnte sie als eine Art Gewerbeausstellung in früheren Jahrhunderten bezeichnen. Bor dem 18. Jahrhundert gab es nur einen Jahrmarkt, nämlich den Frühjahrsmarkt' einige Wochen nach Oftern420. Rückte die Marktzeit heran, wurde mit den Vorbereitungsarbeiten begonnen. Der Stadtzimmermeister überwachte die Aufstellung der Hütten auf dem Stadtplatz424, der Stadtwache und dem „Bettlrichter" wurde eingeschärft, auf das „lose Ge- sind" achtzuhaben, damit es nicht haufenweis in die Stadt hereinlaufe122, feuerpolizeiliche Maßnahmen wurden getroffen und die Straßen und Plätze von Unrat und Schmutz gesäubert. Damals gab es noch keine Müllabfuhr. Schutt und Kot warf man auf die Gaffe oder in den Zwinger, in den Häusern hielt man Schweine, Gestank verschlechterte die Luft. Vor dem St.-Gilgen-Tor bei der Stadtpfarrkirche und vor den Stadtmauern, besonders vor jenen in Steyrdorf, häufte sich der Mist derart, daß 1596 sogar die Schießlucken mit Unrat verlegt mctren123. Jedes Jahr traf der Rat Anordnungen, um diese Uebelstände zu beseitigen. Kurz vor Beginn des Marktes besichtigten „Beschaumeister" die Warenlager der „auswendigen" oder Geimeister, wofür sie eine bestimmte Gebühr zu erlegen hatten. Was den strengen Anforderungen des Handwerks nicht entsprach, durfte nicht verkauft merben124. Den Geischneidern z. B. war nur das Feilhalten bestimmtKr Erzeugnisse wie Manns- und Weibskleider aus schlechtem Tuch gestattet, schon nach fünf Tagen mußten sie den Markt wieder verlassen42". Lebzelter aus der Umgebung konnten ihren Met nur in den Hütten ausschenken428. Auswärtige Hafner durften nicht mehr als zwei Fuhren Tonwaren auf den Markt bringen127. Eine Stunde lang, von 11 bis 12 Uhr, wurde am Donnerstag nach Jubilate, das ist der dritte Sonntag nach Ostern, die „Freiung" feierlich eingeläutet428. Noch heute sehen wir im Stadtmuseum einen Arm, der ein Gerichtsschwert hält. Dieses Symbol der „fürstlichen Freiung" wurde am Rathaus angebracht. Der Marktplatz stand nun während der Marktzeit unter einem besonderen „Rechts- und Friedensschutz". Jeder, der hier eine Freveltat beging, wurde vor einem eigenen Marktgericht abgeurteilt. Unter dem Schutz des Landesfürsten standen auch die Marktbesucher außerhalb des Stadtgebietes, ihnen wurde das „freie Geleite" zuteil422. Kauf14 Bild rechts: Die tFarfifreit:eit
leute aus Linz und Wien, Böhmen und Mähren, Augsburg, Regensburg, Nürnberg und anderen Städten fanden sich zu solchen Zeiten in Steyr ein. Fremden und einheimischen Handels- und Handwerksleuten war das Feilhalten ihrer Waren bis zum sechsten Sonntag nach Ostern, also über vierzehn Tage, gestattet. Nach Ausläutung des Marktes durften fremde Kaufleute in der Stadl nichts mehr verkaufen^". Bedingt durch die mannigfachen Beziehungen der alten Eisenstadt zu den deutschen Städten, bedingt durch Reformation und Humanismus und durch die Wohlhabenheit des Handwerkerstandes fand im 16. und noch im 17. Jahrhundert die Dichtkunst in Steyr eine besondere Pflege. Während Schulmänner an ihren Unterrichtsanstalten biblische und weltliche Komödien in deutscher und lateinischer Sprache inszenierten, widmeten sich poesiefreundliche Bürger der edlen Kunst des Meistergesanges. Als Ahnherr der Steyrer Meistersinger wird der sagenhafte Heinrich von Ofterdingen genannt. Obwohl der Nürnberger Jeronimus Rieger schon im Jahre 1542 zu Steyr das Meisterlied „Klag über alle Welt" dichtete, läßt sich nicht mit Bestimmtheit der Bestand einer Singschule um diese Zeit Nachweisen. Ebenso fraglich ist es, ob Hans Sachs anläßlich seines Welser Aufenthaltes auch Steyr besuchte. Erst im Jahre 1562 nennt uns Lorenz Wessel, ein Kürschner aus Essen, in einem zu Ehren der Steyrer Meistersinger gedichteten Liede, die zwölf Begründer des Meistergesanges in unserer Stadt, von denen allein zehn den eisenverarbeitenden Berufen angehörten. Im gleichen Jahre schrieb Wessel auch für die Steyrer Meistersinger das poetische Gesetzbuch, die Tabulatur^". Die Ratsprotokolle sowie einige Meistersinger-Liederhandschriften in den Bibliotheken von Göttweig, Wien, München und Dresden vermitteln uns die Namen und zum Teil auch die Dichtungen jener Handwerker, die in der Eifen- stadt ihrer „lieblichen Kunst" oblagen. Von den 34 Meistersingern, die sich in Steyr entweder dauernd oder nur vorübergehend aufhielten, seien hier nur erwähnt der Ahlschmied Severin Kriegsauer, der berühmteste Meistersinger Oesterreichs, der Nadler Peter Heiberger, bekannt durch zwei größere Liedersammlungen, der Messerer Lorenz Hagmair und der Bortenschlager Niklas Lindtwurm. In der einschlägigen Literatur wird als Versammlungsort für die feierlichen Singschulen^ neben der Spital- und Bruderhauskirche auch die Schulkirche (Dominikanerkirche) angesehen. Diese Vermutung mag für manche Singschulen zutreffen, doch wird in den Ratsprotokollen aus den Jahren 1599 und 1601 ausdrücklich die Abhaltung der Singschule im Rathaus erwähnt. In der damaligen Zeit fanden im Saal des Rathauses häufig Komödienaufführungen und Tanzveranstaltungen statt. Es dürften sich bei diesen Veranstaltungen der Meistersinger, die gewöhnlich um Ostern und Weihnachten durchgeführt wurden, auch manchmal Unzukömmlichkeiten zugetragen haben, da der Rat von jenen Meistern, die um 15
die Bewilligung einer Singschule ansuchten, fast jedesmal „gebührende Bescheidenheit" und die Enthaltung „ärgerlicher ©fang" verlangte und zur Ueberwachung dieser Anordnung eigene Deputierte bestimmte. Daß sich der Ruhm der Steyrer Meistersinger weit über die Grenzen der engeren Heimat verbreitete, bezeugt ein Straßburger Meisterlied aus dem Jahre 1597m. Beträchtlich ist die Zahl der von 1599 bis 1624 durchgeführten Singschulen; ich fand in den Ratsprotokollen für diese Zeit nicht weniger als 35 verzeichnet. Dies zeigt wohl am deutlichsten, daß unsere Stadt zu den hervorragendsten Pflegestätten der „holdseligen Kunst" im damaligen Oesterreich zählte, ja man kann Steyr als die österreichische Stadt der Meistersinger bezeichnen^. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß sich sogar Messerer und Kürschnergesellen mit Komödienaufführungen befaßten, bekannt ist der Schwertertanz der Messerer, der 1680 noch zur Aufführung gelangte135. Gewaltige Ueberschwemmungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts, ein starkes Umsichgreifen von Infektionskrankheiten um 1583 wirkten sich ungünstig auf die gewerbliche Wirtschaft aus. Es ist auch immer ein bedenkliches Zeichen, wenn sich Handwerksmeister um eine Art Nebenbeschäftigung oder gar um einen anderen Beruf umsehen, und gerade zwischen 1580 und 1590 zeigt sich diese Erscheinung. Gürtler und Fleischhacker befassen sich mit dem Bierausschank135, der Zuckerbacher Stefan Hager unterhält in Aichet eine Winkelschule13' und der Gürtlermeister Hans Ruf wird Ratsdiener133. Im letzten Jahrzehnt des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage des Handwerks durch die Türkengefahr, durch Bauernunruhen, durch den Niedergang des Eisenwesens und durch die religiösen Verhältnisse. Doch werden in den Jahren vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges noch zwei hübsche Renaissance-Bauten aufgesührt: Das Schnallentor und der Jnnerbergerstadel. Besonders die Sgrafstto- oder Kratzmalereien an letzterem erfreuen noch heute unser Auge. Diese Art der Wandflächenverzierung stammt aus Oberitalien und wurde bei uns von italienischen („wälischen") Maurern ausgeführt, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer häufiger in unsere Gegend kamen133. Die hinlänglich bekannten politischen und religiösen Begebenheiten zu Steyr in den ersten zwei Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges wie Bauernaufstände, Abwanderung protestantischer Bürger, Truppeneinquartierungen und andere Ereignisse, die den Wohlstand der Bevölkerung von Jahr zu Jahr verringerten, erzählt uns in schlichter Sprache ein Handwerksmeister, der Färber Jakob Zetl, der in Ennsdorf seine Werkstätte hatte. Seine Schilderung der Zustände um 1622 erinnert uns lebhaft an die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. So weiß der Chronist zu berichten, daß oftmals am Morgen bei hundert Personen vor dem Brotladen warteten, daß der Wert des Geldes auf die Hälfte und später auf ein Viertel sank, daß die Städter zu den Bauern hinauswanderten, um sich für Silberschmuck, Zinngeschirr, Bettzeug und andere Mobilien Getreide einzutauschen113. Die im Jahre 1583 vom Landesfürsten gegründete Eisenhandlungskompanie brach unter den Ereignissen zu Beginn des 17. Jahrhunderts völlig zusammen. Um dem Eisenwesen aber wieder einen Aufschwung zu verleihen, wurde 1625 die Innerberger Hauptgewerkschaft ins Leben gerufen, die Rad- und Hammerwerke sowie die Steyrer Eisenhandlungsgesellschaft vereinigte. Doch nur einige Jahrzehnte blühte das neuorganisierte Eisenwesen. Geldmangel, Uneinigkeit der Mitglieder, der wirtschaftliche Tiefstand der Stadt von 1638 bis 1660 und andere Umstände brachten die Hauptgewerkschaft fast an den Rand des Abgrundes, so daß 1669 eine Reform notwendig wurde111. Den Niedergang des Eisenwesens verspürten nicht nur die Eisenarbeiter, auch andere Gewerbe erlitten hiedurch beträchtlichen Schaden. Um 1660 beklagten 16
die Binder die geringe Nachfrage nach „Sensenfaßl", wurden doch fünf Jahre früher noch jährlich zwei- bis dreihundert Stück benötigt142. Den katastrophalen Zustand Steyrs vor dreihundert Jahren beleuchtet wohl am besten die bekannte Tatsache, daß von 600 Häusern 70 eingestürzt, 141 verödet und 191 von verarmten Leuten bewohnt waren, die keinerlei Abgaben leisten konnten E. Häufig ist in den Ratsprotokollen des Jahres 1648 von der „silberarmen Zeit" die Rede. Es ist eine bekannte Tatsache, daß sich in wirtschaftlich schlechten Zeiten verschiedene Mißstände zeigen, daß Außenseiter wie Störer, Stümpler oder Fretter sich bemerkbar machen, daß Preisüberschreitungen Vorkommen oder sich das eine oder andere Handwerk Uebergriffe in das Arbeitsgebiet eines anderen erlaubt. Aus den vielen Beispielen in dieser Hinsicht greife ich nur ein paar heraus. Im Jahre 1660 untersagte der Magistrat 94 ledigen „Menschern" und Bürgerstöchtern den Verkauf selbstgestrickter oder gehäkelter Erzeugnisse. Falls die ledigen „Menscher", so heißt es in dem Ratsbeschluß, sich nicht fügen wollten, würden sie ins Narrenhäusl111 gesperrt und dann aus der Stadt entfernt werden. Den Bürgerstöchtern drohte man mit Leibesstrafenllr’. 1667 wollten die Fleischhauer das Rindfleisch um 14 Pfennig verkaufen. Auch darüber ist der Rat sehr ungehalten und erläßt folgende Verfügung: „Wegen dieses Frevels soll jeder, der dies tut, von 1 Uhr nachmittags bis 4 Uhr früh in den Kasten geschafft werden. Das bessere Rindfleisch ist um 10, das schlechtere um 9 Pfennig festgesetzt"110. Der weitaus größte Teil der Zunftakten ist erfüllt von Handwerksstreitigkeiten. Solche hat es immer gegeben, aber in Zeiten eines flauen Geschäftsganges waren sie im Zunehmen begriffen, so am Anfang und am Ende des 16. Jahrhunderts und nach dem Jahre 1626. Es beschweren sich die Säckler über die Ringmacher, die ihnen „das Brot vorm Maul" abschneiden und eine „Schmelerung des Handwerks" verursachen111, die Tuchscherer führen Klage wider die Tuchhändler1^, die Klampferer bringen beim Rat zur Anzeige, daß die Kupferschmiede die Dächer mit weißem Blech decken110, die Stadtschneider sind ungehalten über die Schneider in Garsten, weil diese Arbeiten in die Stadt liefern150, die Tischler wiederum sind von Haß erfüllt gegen die Zimmerer, weil sie Kasten, Gewandtruhen und Wiegen erzeugen, obwohl in einem Vertrag schon einmal die Arbeiten für jedes Handwerk festgelegt wurden151, 5d)tlb des Gasthauses „Zur goldenen Senfe" Zeichnung von J. Drausinger die Huf- und Hammerschmiede können nicht zusehen, wie Geimeister Ketten und andere Erzeugnisse auf den Wochenmärkten verkaufen152. So konnte man diese Beispiele noch beliebig lang fortsetzen. Die Schlichtung dieser Streitfälle oblag gewöhnlich der Stadtobrigkeit. Verhältnismäßig groß ist in diesem Zeitraum die Zahl der bestätigten Handwerksordnungen. In vielen Fällen handelt es sich aber nur um eine verbesserte Neuauflage alter Zunftsatzungen. 17
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden sich auf den Steyrer Jahrmärkten regelmäßig viele Savoyarden ein, entweder als Handelsleute oder als Hausierer. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich der eine oder der andere Geschäftsmann dauernd in unserer Stadt niedergelassen hat, denn fremde Namen treten auf: 1663 ein Rauchfangkehrer Rigol, 1670 der Pfundlederer Franz Rupert Relignon, 1693 der Gastwirt Gregor Bellatore u. a.163. Doch nicht nur fremde Geschäftsleute, sondern auch neue Berufe wie Bilder- und Kupferdrucker131. Geschwindwürstelmacher, Tabakappaldisten und Buchdrucker tauchen in diesem Zeitabschnitt in Steyr auf. Eingehender seien hier die Tabakmacher und die Buchdrucker besprochen. Erstere besaßen ein kaiserliches Privilegium zur Tabakerzeugung. Den ersten Tabak in Oberösterreich ließ Graf Heinrich Wilhelm von Starhemberg auf seiner Herrschaft Schwertberg 1659 pflanzen. Zur Beize verwendeten die Schwertberger Tabakbauer eine Mischung von gleichen Teilen Anis, Gallus und Gummi. 1676 entstand in Enns eine Tabakfabrik, der aber von 1682 bis 1694 das Privilegium zur Tabakerzeugung vorübergehend entzogen wurde. Während dieser Zeit gab es in vielen Orten unseres Landes die Tabakmacher oder Tabakappaldisten, in Steyr waren es ihrer elf1®. Das Tabakrauchen wurde von der Stadtbehörde nicht gerne gesehen. Schon 1679 warf man dem Advokaten Johann Mayr „sein schändliches Tabaksaufen" vor. Im Jahre 1725 stellte der Rat ärgerlich fest, daß „nicht nur das Bauernvolk, sondern auch Zimmerleut, Maurer, Tagwerker, sogar Stallburschen die Tabakpfeifen fortwährend im Maul tragen. Wer sich weigert, diese hinwegzutun, dem soll der Gerichtsdiener dieselbe mit Gewalt aus dem Maul nehmen und alsogleich zerbrechen." Noch im Jahre 1812 war das Rauchen auf dem Stadtplatz bei einer vierundzwanzigstündigen Arreststrafe verboten1®. Buchdrucker lassen sich in Steyr schon im 16. Jahrhundert Nachweisen13", doch tritt die Kunst des Buchdruckes mehr an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert in Erscheinung. Zahlreich sind die sogenannten „Steyrer Drucke", in der Hauptsache religiöse Bücher, die in den Werkstätten der Buchdrucker Auinger, Roßmann, Schütz, Grünwald, Jahn, Menhardt, Wimmer und Medter im 17. und 18. Jahrhundert hergestellt wurden1®. Auinger druckte u. a. eine Predigt des berühmten Wiener Kanzelredners Abraham a Sancta Clara 159 und Menhardt Werke des ersten oberösterreichischen Dialektdichters P. Maurus Lindemayr199. . Die hundert Jahre zwischen 1650 und 1750 waren durchaus nicht immer sorglose Zeiten. Kriege, Krankheiten und Stadtbrände verzeichnet die Stadtchronik. Aber trotz aller Schicksalsschläge erholte sich, wenn auch nur langsam, die Stadt und mit ihr das Handwerk. Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts bemühte sich die Stadtobrigkeit, die Bewilligung für einen zweiten Jahrmarkt zu erhalten. Mit kaiserlicher Genehmigung konnte er im Herbst des Jahres 1700 zum erstenmal abgehalten werden1". Für die Bauarbeiter gab es jedenfalls in dieser Zeit genug Arbeit. Entstanden doch damals einige kirchliche Bauten wie das Kapuzinerkloster, die Michaeler- und Dominikanerkirche und die Klosterkirche der Zölestinerinnen in der Berggasse. Am Rande der Stadt ließ der berühmte Garstner Abt Anselm Angerer, der Sohn eines Steyrer Messerers, die vielbewunderte barocke Stiftskirche zu Garsten und die interessante Wallfahrtskirche Christkindl erbauen. Daneben vollzog sich der Wiederaufbau der durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges verwahrlosten oder später durch Brände ruinierten Bürgerhäuser, die zum Teil mit schönen Barockfassaden versehen wurden. Pro Tag bezahlte um 1705 der Magistrat einem Maurer 17, einem Zimmermann 16 und einem Tagwerker 10 Kreuzer1^.
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