F.L. Jahn und der Turnverein Steyr

6. Deutschliberale und Deutschnationale Zwar istr eine Neuordnung der Habsburgermonarchie schon im Oktoberdiplom von 1860 und im Februarpatent von 1861 versucht worden , doch die große Staatsreform gelang erst 1867 mit der Schaffung der Doppelmonarchie. Die österreichische und die ungarische Reichshälfte haben nur die Heeres-, die Außen- und die Finanzpolitik gemeinsam, ansonsten getrennte Parlamente sowie eigene Regierungen mit Ministerpräsidenten und Ressortministern. Die bestimmende Kraft im östeneichischen Reichsrat sind von 1867 bis 1879 die Deutschliberalen. Die Partei des besitzenden Groß- und Bildungsbürgertums stellt (aufgrund eines sie begünstigenden Zensuswahlrechts) zu Anfang ihrer He1TSchaft nicht weniger als 118 von 186 Abgeordneten. Aufgrund politischer Kompetenz und massiver Presse-Unterstützung erreichen die Liberalen mehr als zehn Jahre lang eine weit über ihre schmale Basis hinausgehende Breitenwirkung. Das Reformwerk der Liberalen umfasst drei Gebiete: Als Ve1treter der Demokratie und des Mehrheitsprinzips geht es ihnen um Verfassung und Rechtsstaat, auf dem Gebiet der Kultur erstreben sie freiheitliche Bildungsgesetze, auf dem Gebiet der Wirtschaft kommt es zu einer Blüte der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Am 21. Dezember 1867 wird das heute noch geltende Staatsgrundgesetz beschlossen, dessen Artikel 2 lautet: ,, Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich. " Es folgen die nach dem Monat ihres Inkrafttretens so genannten „Maigesetze", welche vor allem Ehe und Schule betreffen und den Einfluss der katholischen Kirche massiv zurückdrängen. Die weitere Entwicklung der österreichischen Innenpolitik wird ganz wesentlich vom Nationalitätenproblem beeinflusst. Während in der ungarischen Reichshälfte die Ungarn die Mehrheit bilden, sind in der österreichischen Reichshälfte die Deutschen in der Minderheit und haben zunehmend das Problem, ihre Vormachtstellung zu behaupten. Zusätzlich nagt an den Deutschösterreichern, dass sie aus dem deutschen Nationalstaat ausgeschlossen sind, für den sie 1848 geblutet haben. Sie blicken mit Selmsucht über die Grenze und verehren Männer wie Jahn, Arndt und Bismarck, obwohl sie alle Vertreter des kleindeutschen Gedankens sind. 32

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