Robert Stumpfl - Das alte Schultheater in Steyr

84 Stellen wir die beiden Steyrer Schuldramatiker nebeneinander, so zeigen sich nur wenig Berührungspunkte. Es hat den Anschein, als wären die Tra ­ ditionen der alten Schule zugleich mit ihren Mauern eingestürzt. Nichts von Brunners duldsamer Religiosität ist in der religiösen Unduldsamkeit des Mau ­ ritius wiederzufinden. Auf der einen Seite fanden wir innigste Liebe zu Gott und den Menschen, ein empfindsames Gemüt, dem aller Kampf ferne lag; auf der anderen kirchlich- pädagogische Kampfeslust und unerbittliche Härte. Dort aus dem Herzen ge ­ wachsene Kunstwerke, Gott zur Ehre und den Menschen zur Erbauung; hier konstruierte Tendenzstücke, Götzen zum Trotz und den Menschen zur Belehrung. Zwei Welten stehen sich hier fremd gegenüber, zwei Elemente der deutschen Reformationszeit überhaupt, die beide doch in Einem wurzeln — in Martin Luther. !II. Die Vühnenverhältnisse. Dem Theater des Mittelalters und der Renaissancezeit hat man in letzter Zeit — auch von literarhistorischer Seite — wachsendes Interesse entgegen ­ gebracht. Mehr und mehr kommt man zur Einsicht, daß ein Schauspiel — sofern es nicht zum Buchdrama entartet ist — nur im Zusammenhang mit seinen bühnentechnischen Grundlagen richtig beurteilt werden kann und daß diese Grundlagen sich im Laufe der Zeiten ständig ändern. Von der Shakespeare ­ forschung nahmen — schon bei den Romantikern — die ersten Rekonstruktions- versuche älterer Bühnen ihren Ausgang. Heute ist man so weit, auch bei den Dramen Schillers die technische Eigenart und Gebundenheit der Klassikerbühne zu berücksichtigen"»). Ist jedoch die Kulissenbühne immerhin der modernen Bühne durch das gemeinsame „Guckkasten"format eng verwandt, so erscheinen die vorbarocken Jnszenierungsformen von den heute bestehenden grund ­ verschieden. Gegenüber dem katholischen Mittelalter, das eine gewisse internationale Uniformität auch in den Formen des Theaters bewahrte, bereitet im 16. Jahr ­ hundert eine besondere Schwierigkeit der Umstand, daß durch die revolutionären Bewegungen des Humanismus und der Reformation die traditionelle Form zersplittert und eine kaum übersehbare Mannigfaltigkeit von Bühnenmöglich- keiten geschaffen wurde, die der neuen — schon individualistischen — Experi- mentierlust Tür und Tor öffnete"^). So ergibt sich die Notwendigkeit, bei Dramatikern jener Epoche in jedem Einzelfall eine Spezialrekonstruktion zu versuchen. Denn in einer Zeit, die nur Vergl. Julius Petersen, Schiller und die Bühne (Palaestra XXXII), Berlin 1904. ^) Einen Versuch systematischer Klärung habe ich in meiner Arbeit über „Die Bühnen- möglichkeiten im XVI. Jahrhundert, Bausteine zur deutschen Theatergeschichte" unternommen; dort findet sich auch die einschlägige Literatur verzeichnet.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2