Robert Stumpfl - Das alte Schultheater in Steyr

43 Die Charakteristik findet Weilen „ganz schablonenhaft", offenbar Scherers Kritik mißverstehend, der unter anderem schreibt: „sanftmütige liebe ist den reden der familienmitglieder ausgeprägt, aber so sprechen auch gleich Potiphar und Pharao zu Josephs), vas lasier wird gar nicht ausgemalt." Daß Brunner Potiphar und Pharao als herzensgute „sanftmütige" Menschen zeichnet, ist doch kein Mangel an Charakterisierungskunst, widerspricht auch gar nicht der biblischen Auffassung. Und daß das Laster nicht näher ausgemalt wird, ist bei einem Schul ­ meister verständlich; Scherer hat diesen Zug auch richtig gewürdigt. Von schablonenhafter Zeichnung kann man nicht einmal bei den kleineren Rollen sprechen. Vielmehr beweist Brunner durch eine Reihe feiner Züge, daß er jede feiner Gestalten für sich liebevoll ausgemalt und konsequent das ganze Stück hindurch im Auge behalten hat. Einwandfrei hat er auch die schwierige Ausgabe gelöst, die Söhne Jacobs in ihrer Charakteristik auseinanderzuhalten. Die Sonderstellung, die Rüben, der Älteste, einnimmt, ergibt sich aus der Bibel (Cap. 37, 22ff.). Er ist der einzige, der für Joseph eintritt. Als die Brüder Joseph ermorden, schlägt er vor, ihn in die Grube zu werfen: „Er wollte ihn aber aus ihrer Hand erretten, daß er ihn seinem Vater wiederbrächte." (Cap. 37, 22.) Joseph wird dann in Abwesenheit Rubens verkauft, und weiter heißt es in der Bibel (Cap. 37): „29. Als nun Rüben wieder zur Grube kam und fand Jo ­ seph nicht darinnen, zerriß er sein Kleid. 30. Und kam wieder zu seinen Brüdern und sprach: Der Knabe ist nicht da, wo soll ich hin? 31. Dann nahmen sie Josephs Rock . . . usw." Mehr oder weniger haben sich fast alle Dramatiker des XVI. Jahrhunderts hier an die Schrift gehalten. Brunner aber genügte der biblische Bericht nicht. Verschiedene Fragen mochten sich ihm aufdrängen: War ­ um trat Rüben als ältester nicht energischer gegen die bösen Brüder auf? Und als Joseph verschwunden war, warum forderte er dann nicht Rechenschaft von den Brüdern? Und womit sollte man sein Schweigen dem Vater gegenüber motivieren? Diese Fragen haben Brunner zu einer eigenartigen Abweichung von der Bibel veranlaßt: Er zieht als Motivierung Rubens Blutschande mit Bilha (Cap. 35) heran: Seit dieser Tat, so ergänzt Brunner, hat Rüben seine Autorität als Ältester verloren, und durch einen Hinweis auf seine Schande können ihn die Haupträdelsführer Simeon (der Zweitälteste) und Levi (der Dritte) jederzeit zum Schweigen bringen. Kaum wagt er schüchtern ein Wort für Joseph einzulegen (I, 1), fährt ihn Simon an: Was du gethan hast / man wol weis / Dein schand las dir selbs machen heiß, "st Weilen macht daraus (S. 99): „Pharao spricht zu Joseph ungefähr ebenso wie Potiphar . . .", was gar keinen Sinn ergibt. Warum sollten die beiden besonders ver ­ schieden sprechen?

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