Robert Stumpfl - Das alte Schultheater in Steyr

41 Die Geschichte des ägyptischen Joseph, deren früheste Dramatisierung in Deutschland schon ins XIII. Jahrhundert fällt, war im XVI. Jahrhundert einer der beliebtesten Stoffe der dramatischen Literatur. In einer stoffgeschichtlichen Arbeit hat A. von Weilen (Der ägyptische Joseph im Drama des XVI. Jahr ­ hundert, Wien 1887) die zahlreichen deutschen und lateinischen Bearbeitungen zu ­ sammengestellt und vor allem auf ihre gegenseitige Abhängigkeit untersucht. Dabei verfällt er, wie so viele vergleichende Literarhistoriker, in den Fehler, daß er oft ganz zufällige Ähnlichkeiten oder durch die gemeinsame Quelle (die Bibel!) gege ­ bene Übereinstimmungen als Beeinflussungen und Abhängigkeiten hinzustellen sucht. Gerade für eine Zeit, in der die skrupellosesten „literarischen Diebstähle" an der Tagesordnung waren, in der man vielfach den literarischen Eigentums ­ begriff überhaupt noch nicht kannte, Bearbeitungen unter dem Namen des Be ­ arbeiters in Druck erschienen, ohne daß man es meist für notwendig hielt, den Verfasser des Originals überhaupt zu erwähnen (Mauritius d. Ä.!), und wört ­ liche Entlehnungen Regel waren, für eine solche Zeit ist ein derartig spitzfindiges Verfahren, dem schließlich auch die wenigen selbständig gearbeiteten Werke zum Opfer fallen müssen, ganz unzulässig. Zu welchen „Ergebnissen" diese „ver ­ gleichende" Methode führen kann, zeigt Weilens Analyse von Brunners „Jacob" (S. 92 ff.), aus der man den Eindruck gewinnen müßte, als handle es sich im Großen und Ganzen um nicht viel mehr als ein aus dem Züricher Joseph von 1540 (Rueff zugeschri-eben) und dem lateinischen Drama des Martin Bal- ticus von 1556 (Ex. in München) zusammengesetztes Plagiat. Greifen wir einige Beispiele heraus: Daß Levi bei Brunuer (I, 3, V. 332) Joseph auffordert, den Rock auszuziehen, benutzt Weilen sofort zu einem Hinweis auf Simeons Auf ­ forderung bei Rueff, ohne zu bedenken, daß doch der Rock als später notwendiges Requisit ausgezogen werden m u ß, ganz abgesehen davon, daß es auch in der Bibel steht: 1. Buch Mose, Cap. 37, 23. Wenn sich dann die Brüder, nachdem sie Joseph in die Grube geworfen haben, zum Essen niederlassen, so ist das „wie bei Ruefs", obwohl es auch in der Bibel (Cap. 37, 25) heißt: „Und setzten sich nieder zu essen." Wenn beim Verkauf Josephs (I, 4) gefeilscht wird, so ist das „nach Balticus", obwohl bei diesem Judas die übertriebene Forderung stellt, bei Brunuer aber — - viel passender — Simeon, während hier Juda vermittelt. Wenn wir bei der Beschreibung der Verführungsszene II, 4 (Weilen S. 94) lesen: Der Teufel „spilet zu rucks, wie Balticus (!) sagt . . .", so ist dies allerdings nur ein grober Druckfehler, da hier statt Balticus, bei dem überhaupt keine Teufel Vor ­ kommen, Brunuer stehen soll. Daß die Kleider der Gehenkten den Dienern über ­ lassen werden (III, 1), ist ein im XVI. Jahrhundert allgemein verbreitetes Mo- titü") und gestattet natürlich n i ch t, „wieder auf den Züricher Joseph als Quelle hinzuwcisen" (Weilen S. 96) usw. "y Vergl. dieselbe Sitte in der altfranzösischen Mirakel- und Mysteriendichtnng (Ger ­ hard Lindner, Die Henker und ihre Gesellen . . ., Tiss. Greifswald 1902, S. 36).

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