Robert Stumpfl - Das alte Schultheater in Steyr

99 Die Vorzüge des Brunnerschen Bühueutypus sind nicht zu übersehen. Glän ­ zend scheint hier das Problem der mittelalterlichen Simultanbühne im ge ­ schlossenen oder doch abgeschlossenen Raum ohne Preisgabe der Innenszenen (wie bei der Terenzbühne oder der Kölner Laurentiusbühne von 1581) gelöst. Die Beschränkung auf zwei feste Standorte (mit Mansionen) sowie die Verwen ­ dung der freigelassenen Bühnenmitte als neutrales Spielfeld ermöglichten mit Hilfe einer fein durchdachten Szenenführung die simultane Vorführung weit auseinanderliegender Parallelhandlungen auch auf einer im Vergleich zum Spielraum der Mysterienspiele stark beschränkten BUHnenfläche (konzentrierte Simultanbühne). Da die Mansionen durch Vorhänge verschließbar sind, wird eine gegenseitige Störung der allzunahe zusammengerückten Szenen leicht ver ­ mieden. Übrigens steht Brunners Vorhangtechnik in der Überlieferung des 16. Jahrhunderts ziemlich einzig da^°). Die Häuser zu beiden Seiten, als sichtbare Gegenüberstellung der beiden Pole, zwischen denen sich das Stück abspielt, geben der ganzen Vorführung eine übersichtliche Geschlossenheit, wie sie kaum auf einer anderen Bühne erreichbar wäre. Erst in diesem Rahmen schließen sich die episch-gleichförmig dahinschreiten- den Szenenreihen der Bibel zu einem künstlerischen Gesamtbild zusammen. Erst das anschauliche Nebeneinander bringt den inneren Zusammenhang und damit den tieferen Sinn der einzelnen Szenen im Bilde des ganzen Spieles zur vollen Geltung. Wir sind heute durch die bereits seit drei Jahrhunderten fast ausschließlich herrschende italienische Verwandlungsbühne so an das Nacheinander der Szenen gewöhnt, daß wir uns das Nebeneinander der Simultanbühne kaum vorstellen können^"). Und doch bot die Simultantechnik - — neben kleinen Mängeln, die allerdings ein illusionsarmes Publikum von heute schwer überwinden würde — eine Reihe unschätzbarer Vorteile. Die Fülle gleichzeitiger Eindrücke, die bei den mittelalterlichen Mysterienspielen vor allem die Schaulust der Menge befriedigen Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Schriften der Gesellschaft für Theater- geschichte Bd. 32, Berlin 1923). Für eine spätere Zeit fall die Möglichkeit einer solchen Bühnenform nicht bestellten werden. Für Brunner ist sie gewiß zu kompliziert, zu ent ­ wickelt! Abgesehen von einer Stelle des „Tobias": Sih / Sih / wie steht das Volck vmbs Hans, die auf eine Plastische Form der Mansionen deutet, spricht auch die' ganze Führung der Simultanhandlungen in seinen Dramen gegen die Annahme von „Neben- bühnen". Sollte tatsächlich das spätere Jesuitentheater die kubische Simultanbühne „geschaffen" haben, so wäre ihre Herkunft jedenfalls von einer flächigen Simultanbühne mit Mansionen abzuleitcn, die neben der Rederijkerbühne nun durch die Rekonstruktion der Brunnerschen Bühne auch auf deutschem Boden nachgewiesen ist. ssi>) Vergl. Stumpfl, Zeitschr. f. dt. Philol. 54, 1929, S. 62. Der Simultanaufbau moderner Inszenierungen wird in der Regel durch teilweise Verdunkelung der Bühne verdeckt, dient also letzten Endes meist nur als technischer Behelf der Sukzessionstechnik. Immerhin hat es unter den Bühnenexperimenten der letzten Jahre auch an richtigrEimultanbühnrn nicht gefehlt, doch scheitert ihreVerbreitung ander Ranmfrage.

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