Steyrer Tagebuch, Sondernummer Wehrgraben, 1982-1983

Meinungen Interview mit einem Wehrgrabenbewohner (Mai 1982} Ich wohne schon 52 Jahre im Wehrgraben . Meine Erinnerung geht auf das Jahr 1934 zurück, als der Bürgerkrieg war . Auf der Ennsleite waren die Schutzbündler , am Tabor das Militär und über uns wurde drüber geschoßen. Die He i mwehr kam von hinten über den Damberg . Die Schutzbündler, die bekannt waren, wurden einige Zeit eingesperrt, später wieder freigelassen . Es gab wieder Arbeit . In der Nazizeit g ingen die, die keine Arbeit hatten , zu de n Naz is . Ich war dama l s in der Wehrgrabenschule und mußte zur HJ , das war Pflicht . Im l etzten Kriegsjahr g i ng ich in die HTL in Steyr , d ie dann als Kaserne für de n Volks sturm verwendet und nach Linz verlegt wurde. Mi t 14 wollten sie uns auch für den Vo l ksst ur m einzi ehen, aber da kamen - Gott sei Dank schon die Amis . 1945 fing ich in den Stey r - Werken zu arbeite n an . Die Leute in meinem Jahrgang zogen später großteils in Neubauten . Aber im Herze n s ind sie noch immer Wehrgrab l er, denn für sie ist das eine Heimat da unten. De r Fluß gab uns nicht nur Nahrung, es war damals so , daß wir Kinder die Fische stahlen . Außerdem war jeder Strauch , jeder Baum, di e ganze Gegend uns ve rtraut . Wi r kannten d i e Leute und das verbindet mit dieser Gegend . Es ist s c hon ·1972 der Beschluß gefaß t worde n, den Wehrgraben zuzuschiitten. Dieser Beschluß ge ht me i ner Me i nung nach auf di e Nazizeit zurück . Wenn sie da unte n die zwei Torbögen sehen , dann müsse n s i e wissen , daß damals schon e i ne Straße geradeaus bi s Zwischenbrücken g eplan t war . 1972 wurde di eser Plan a ufgegriffen . Aber vom Zuschütten kann deshalb keine Rede sein . Denn die Leu te, die den Kanal vor 600 Jahren bauten, di e haben sich dabei schon was gedacht . Außerhalb der Nutzung für die I ndustrie war der Kanal auch für d i e Bannung der Hochwassergefahr nötig . Diese Begründung alleine müßte schon für die Erhaltung des Kanals genügen . Außer meiner Bindung zum Wehrgraben als Heimat , hat der Kanal auch für mich seine Bedeutung als Arbeiterviertel , das We rndl gebaut hat: Eysnfeld, Aichet , Wehrgraben . Der Großteil der Häuser steht auf Holzpiloten, natürlich fällt das automatisch zusammen, wenn man das Grundwasser entzieht . Einmal wurde für 2 Monate das Wasser entzogen , worauf an der Wehrgrabenschule Risse entstanden , sodaß sie ein Jahr geschlossen war Ich glaube, wenn man jetzt das Wehrgrabenwasser entzieht , werden die alten Häuser verfallen. Dann baut man neue hin , die sich miemand leisten kann . Es gibt zwar Förderungen von der Landesregierung , a be r wa rum so l l i c h iri:<'1Hlwohin bitte n ge hen um etwas , was mir ohnc-h i n zus t e ht. Unser Altba u s t e ht se it 19~? . wir ha be n di e Wohnung mode rni s i e rt. M;,n s i eht , da ß das mög lich is t . Wenn es je tz. t d i c 1.-ör de rung von de r Landesreg i e r ung gi b t und d ie Geme inde zahlt 30 Mi lli one n Schilli ng , so knnn man um d ieses Gel d lläuser hc runte r1>ut zen, gena u so wie am St:idtpl a tz. M.111 ka nn e ine Revi t a l is l e rung beg inr,e n , di e s o ausscha ue n könnte, daß man ei ne n a liquo t e n Haus anteil a n j e ne vergi bt, di e d i e Häuse r he r unte r put zen. Ode r im Eysnfe J d gibt es z .b . Zusamme n legungen von Wohnungen, da wä r e n d ie Mitte l bP.ssc:r a nge l egt, wie be im Zuschütte n. Oder man könn te c;eschii f te in d i e Häuser ba ue n . D i e si nd so so l i d , da ß man eine Maue r he r aus n<: hmen kön11 t e . Wenn es junge Leut e g ibt , könnte ma n auch Ka ffeehäuse r hauen . D:n; ganze Vi ertel ist iibe ralte t . De r Koh lange r wird z . B. in den nä chsten zehn Jahren Abgewohnt se in , obwohl ich de n Leu t e n sehr ve r gönne , daß sie lange l e be n . Do r t gi b t es auch Wohnungen mit Bad, also kö nnten junge Leu t e hin. Man hat auch das Ka be lfe rn,;ehen ver l eg t , abe r von den 70 Le ute n dor t , ha ben 7 e in Kabelfernsehen , wei l j eder fragt s i c h: Wozu jetzt noch? Für mich i s t de r lVe hrgraben erst dann gere t te t, we nn de r Beschluß vom 1 . April 1982 für Nul l und Nichtig erklärt wird . Wen~ der Wehrgraben zugeschüttet wird, so müßte sic h be im Vo rbeigehen jeder Gemeinder at schämen. Aber Gott sei Dank hat sich i n le tzte r Ze it im Denken dieser Herren schon manches geändert.

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